Behnoosh Payvar: Space, Culture and the Youth in Iran. Observing Norm Creation Processes at the Artists' House, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2015, XXXIX + 190 S., ISBN 978-1-137-53715-7, EUR 85,59
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ayan Shome: Dialogue & Daggers. Notion of Authority and Legitimacy in the Early Delhi Sultanate (1192 C.E. - 1316 C.E.), New Delhi: Quills Ink 2014
Michael Winter / Amalia Levanoni (eds.): The Mamluks in Egyptian and Syrian Politics and Society, Leiden / Boston: Brill 2004
Florian Pohl: Islamic Education and the Public Sphere. Today's Pesantren in Indonesia , Münster: Waxmann 2009
Rifaat Y. Ebied / David Thomas (eds.): Muslim-Christian Polemic during the Crusades. The Letter from the People of Cyrus and Ibn Abī Ṭālib al-Dimashqī's Response, Leiden / Boston: Brill 2005
Walid A. Saleh: The Formation of the Classical Tafsīr-Tradition. The Qur'ān Commentary of al-Tha'labī (d. 427/1035), Leiden / Boston: Brill 2004
In ihrer empirischen Studie über die Normen und Werte der iranischen Jugend in Teheran analysiert die Autorin Behnoosh Payvar das "Künstlerhaus" beispielhaft, um Auskunft über die Wahrnehmung und Werte junger iranischer Menschen zu erlangen. Das Künstlerhaus wurde im Jahr 2000 in Teheran gegründet, um verschiedenen Künsten einen Raum zu bieten und künstlerisches Schaffen zu unterstützen. Dieser Raum wurde schnell zu einem wichtigen soziokulturellen Treffpunkt für diverse Gruppen und Künstler.
Die Daten für die empirische Untersuchung wurden aus Interviews, Gruppendiskussionen, persönlichen Gesprächen und Beobachtungen gesammelt. Außerdem wurden Dokumentationen, Bücher und andere veröffentlichte Materialien, sowie Literatur und Kunstwerke, die nach der Islamischen Revolution entstanden sind, berücksichtigt. Auch die Gesetze und Vorschriften der Islamischen Republik Iran sind wichtige Datensätze für die Untersuchung und wurden immer vor dem Hintergrund des alltäglichen Lebens in Teheran bewertet: Der "offiziellen Kultur", dem Gesetz und der inländischen Medien. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen dabei Werte wie Sicherheit, Hoffnung, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Besonders die Werte und Normen sind wichtig, so die Autorin, die beeinflussen, wie Menschen Dinge in ihrem alltäglichen Leben bewerten und handhaben. Sie sind ein wichtiger Indikator, um zu erfahren, wie sich die Werte in der Gesellschaft entwickeln und verändern.
Die "Jugend", auf die in der Untersuchung angespielt wird, sind Mädchen und Jungen, die nach der Islamischen Revolution 1979 geboren wurden und aus allen verschiedenen sozialen Schichten kommen. Diese Jugendlichen pochen auf das Recht der Individualität, der Wahl- und Handlungsfreiheit. Die Jugend in Iran stellt die Bevölkerungsmehrheit, deren Leben von sozialen und politischen Umbrüchen mitbestimmt wird. Besonders aus dem Internet und den Medien schwappt ein Weltbild in den Iran, das mit den Normen und Werten der religiösen Gesellschaft in Iran nicht konform ist: Das Internet ermutigt die jungen Menschen dazu, sich ein neues Weltbild anzueignen. Diese Jugendlichen erleben so einerseits die Gegensätze, andererseits die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihrem Zuhause und dem Rest der Welt.
In den drei Kapiteln analysiert die Autorin verschiedene relevante Aspekte für die empirische Studie. Im ersten Kapitel geht Behnoosh Payvar auf die Bedeutung eines Ortes oder Platzes ein, an dem sich Menschen entfalten und gemeinsame Werte teilen können: Die Rolle dieses Ortes nimmt für die Jugendlichen das Künstlerhaus in Teheran ein. Im zweiten Kapitel widmet sich die Autorin der Frage, wie die Jugendlichen in Teheran außerhalb des Künstlerhauses interagieren.
Ihrer Meinung nach bestimmen die Gesetzte und Vorschriften der Islamischen Republik die individuellen Angelegenheiten der Menschen in Iran sehr stark, vor allem das persönliche Leben und ihre Entscheidungen. Die Autorin macht darauf aufmerksam, dass es spezielle Polizeikräfte gibt, die sich auf die jungen Leute fokussieren und ein ethisches und islamkonformes Alltagsverhalten fordern. Sie weiß, dass das Leben in Teheran täglich dadurch bestimmt wird, Wege zu finden, den Vorschriften der Regierung gerecht zu werden und Entscheidungen zu treffen, die die offiziellen Bestimmungen nicht verletzen. Innerhalb der Stadt Teheran gibt es jedoch große Unterschiede, die Vorstellung über eine "öffentliche Moral" variiert in den verschiedenen Distrikten. So sind Auftreten und Handlungsweisen einer Person möglicherweise in einem Teil der Stadt anstößig, in dem traditionellere Einwohner leben. In einem anderen Teil der Stadt kann eben dieses Auftreten und Handeln vollkommen akzeptabel sein und sogar ein hohes gesellschaftliches Ansehen mit sich bringen. Die Autorin macht auch darauf aufmerksam, dass die Medien eine bedeutende Rolle bei der Entstehung und Fortführung der Islamischen Revolution 1979 gespielt haben. Heutzutage sind besonders die sozialen Medien verlockend für die junge Bevölkerung Irans, da man durch das Teilen von Nachrichten und Videos auf Facebook oder YouTube eine unglaublich große Reichweite hat und im Prinzip die ganze Welt erreichen kann.
Behnoosh Payvar meint, dass die Hauptquelle für die Legitimation von Rechtsvorschriften die Religion ist: Die Scharia biete die Antwort auf die Frage, ob etwas legal sei oder nicht. Die Religion sei eng mit dem alltäglichen Leben in Teheran verknüpft. Als "erzwungene Institution" nötige sie die Bürger, sie zu respektieren und die religiösen Werte aufrechtzuerhalten, sei es Zuhause, am Arbeitsplatz oder auf der Straße. Das Gesetz fungiere als Instrument zur Durchführung von moralischen Regeln in der Gesellschaft. Bestimmte Werte und Moralvorstellungen werden klar im Gesetz definiert und es wird erwartet, dass die Individuen in der Gesellschaft diese Regeln respektieren und einhalten. Besonders die Kleidervorschriften aber machen den jungen Frauen und Männern in Iran zu schaffen, dies begründet die Autorin mit einem weltweiten Phänomen: Es wird immer wichtiger, wie der Körper aussieht und wie man sich kleidet. Behnoosh Payvar ist der Überzeugung, dass es die jungen Leute in ihrer Selbstwahrnehmung beeinträchtigt, dass sie nicht selbst entscheiden können, wie sie sich kleiden und ihren Körper präsentieren.
Im dritten Kapitel, der Bilanz, nimmt die Autorin erneut Stellung zu bisher niedergeschriebenen Thesen und weist darauf hin, dass im Künstlerhaus besonders Toleranz und Respekt Werte sind, die aktiv gelebt werden. Aufgrund ihrer Interviews kommt sie zu dem Schluss, dass sich die iranische Jugend eine offenere Gesellschaft, die unterschiedliche Denkweisen und Ideen toleriert und damit auch eine angenehmere soziale Atmosphäre schafft, wünscht. Nicht nur die alten Traditionen sollten respektiert werden, sondern auch junge, moderne. Die Jugendlichen im Künstlerhaus, so die Autorin, übten gemeinsam eine Toleranz, die Respekt und Frieden fördere, statt auf Konflikte und Gewalt aus zu sein.
Behnoosh Payvar gibt dem Leser in ihrer empirischen Studie einen gut strukturierten Überblick über ihr Thema: Mit Statistiken und Schaubildern demonstriert sie Zahlen und Fakten, anhand von Zitaten aus Interviews und Gesprächen stellt sie die Situation der Jugendlichen in Teheran dar. Durch ihre deutliche Sprache und die vielen aktuellen Bezüge wird dem Leser besonders deutlich, dass die Generation, die nach 1979 im Iran geboren ist, einen ganz anderen Bezug zur Regierung und den Vorschriften des Gesetztes hat, als die Generationen vor ihnen. Dank der Übersichtlichkeit des Buches eignet es sich hervorragend für einen ersten oder einen schon kenntnisreicheren Einblick in den Iran des 21. Jahrhunderts.
Esther Schirrmacher