Lucy Grig (ed.): Popular Culture in the Ancient World, Cambridge: Cambridge University Press 2016, X + 369 S., ISBN 978-1-107-07489-7, GBP 75,00
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Populärkultur ist einer der gängigsten und gleichzeitig schwierigsten Begriffe in den (historischen) Kulturwissenschaften. Während ständig zahlreiche Werke publiziert werden, die diesen Begriff im Titel tragen - man denke insbesondere an Studien der Antikenrezeption - findet man selbst in diesen Publikationen normalerweise keine kritische Auseinandersetzung mit diesem Begriff, als ob jeder von uns eindeutig in der Lage wäre, "Populärkultur" zu erkennen, wenn man sie trifft. Dies ist aber nicht der Fall, und zwar nicht allein, weil der Postmodernismus die Grenze zwischen "Hochkultur" und "Populärkultur" abgeschafft hat; auch in Bezug auf andere Epochen ist die Vielfalt der Phänomene, die man unter "Populärkultur" verstehen könnte, sehr groß.
Holt Parker hat in einem Aufsatz aus dem Jahr 2011, der die theoretische Grundlage für diesen Sammelband bietet, sechs unterschiedliche Definitionen von Populärkultur geboten und deutlich gemacht, dass keine von diesen letztendlich zufrieden stellt. [1] Dies wird noch deutlicher, wenn man dann dazu noch gängige Begriffe wie "populäre Religion" oder "populäres Wissen" ins Feld zieht, die sich mit Populärkultur und ihren multiplen Bedeutungen überschneiden, aber nicht komplett überlappen. Die Gefahr, solche Begriffe implizit abwertend zu verwenden, im Sinne der "Kultur der nicht Ausgebildeten", und zwar aus einem Voltaire'schen Ansatz, nach dem die aufgeklärten Eliten rational handeln und dann top-down Mittel erfinden und durchsetzen, um die (automatisch dummen) Massen zu überzeugen und an sich zu ziehen, ist besonders groß in Bezug auf die Antike - eine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass die literarischen Quellen, die wir zur Verfügung haben, Produkte einer sozialen, politischen und ökonomischen Elite sind. Und dennoch reicht es an die eindeutigen Spuren literarischer Kenntnisse auch unter niedrigeren sozialen Schichten [2], oder an die caupona der Sieben Weisen in Pompeji zu denken [3], um zu merken, wie selbst in der klassischen Antike eine eindeutige Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur nicht zu ziehen ist.
Es ist ein großes Verdienst des vorliegenden Sammelbandes, diese begrifflichen Schwierigkeiten explizit zu thematisieren, und die Frage der Rekonstruktion der Populärkultur in der Antike aus einer theoretisch fundierten Perspektive zu untersuchen. Grigs Einführung (1-36) wird in diesem Sinne zweifellos ein zentraler Referenztext für die nächsten Jahre. Auf Gramsci, Bakhtin und anderen aufbauend und im expliziten Dialog mit der relevanten altertumswissenschaftlichen Literatur (insbesondere Horsfall, Toner und Forsdyke) verdeutlicht Grig die Fragestellungen und die Schwierigkeiten des Themas, die methodologischen Voraussetzungen und die oben beschriebene "Voltaire'sche" Falle, in die man viel zu einfach geraten kann (was die Verfasserin "two-tiered model" nennt).
Die weiteren 13 Beiträge, die exemplarisch Formen der antiken Populärkultur untersuchen, sind in vier Sektionen untergliedert. Die Herausgeberin betont, dass der Band keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat (explizit verzichtet man zum Beispiel, mit wenigen Ausnahmen, auf Analysen der visuellen Kultur und der Fokus liegt ausschließlich auf Texten). Der Band möchte vielmehr die Vielfalt, die "richness and diversity" der antiken Populärkultur verdeutlichen. Wahrscheinlich hat der Band auch aus diesem Grund kein Schlusswort. Das ist schade, weil die hier vorgestellten Materialien und Thesen ein "Zwischenfazit" verdient hätten. Auch im Rahmen der exemplarischen Herangehensweise hat der Sammelband kein echtes Gleichgewicht. Nur zwei Beiträge wurden Griechenland gewidmet, und beide dem demokratischen Athen: Canevaro untersucht die attischen Prozessreden und hebt die Präsenz der Populärkultur innerhalb der athenischen Institutionen und ihrer Mechanismen hervor (39-65); Robson analysiert die Komödien des Aristophanes und beschreibt, wie die Begriffe "high and low" in diesen Texten bewusst benutzt und konstruiert werden (66-87). Während kein Beitrag der hellenistischen Welt gewidmet wurde, thematisieren alle anderen Aufsätze Rom (Sektion 2, vier Beiträge), das römische Reich (Sektion 3, drei Beiträge) und die Spätantike (Sektion 4, vier Beiträge). Die Populärkultur der römischen Welt ist deshalb insgesamt aus einer viel größeren Perspektivenvielfalt beleuchtet worden, mit unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden, von politischen Studien, die die Rolle der "public opinion" in der späten Republik und die Funktion der "nicknames" in ihrer Formulierung (Rosillo-López, 91-106), sowie die Rolle der Invektive in der politischen Diskussion (Hawkins, 129-148) untersuchen, über die Existenz einer "plebejischen Kultur" in der Urbs (Courrier, 107-128), die intellektuelle Welt der "Non-Elite" (Toner, 167-188), die Formen der "populären Religion" (Jennings, 189-207), bis hin zur sonst sehr vernachlässigten römischen Musik (Vincent, 149-164).
Die dritte Sektion enthält auch einen Beitrag von Pudsey über die "Kinderkultur" im römischen Ägypten (208-234) - die große Aufmerksamkeit für Lehre und Ausbildung und für Kinderbestattungen sind aber leider nicht genug, um die Aufnahme in diesen Band zu rechtfertigen: Pudseys Annahme, dass Kinderkultur als nicht-hegemonische Kultur (hegemonisch wäre nur die Kultur der Erwachsenen aus den Eliten) auch als Populärkultur zu definieren sei, wird nicht ausreichend ausgeführt, um überzeugend zu wirken. Fragen, wie diejenige nach der sozialen Differenzierung der Kinder, oder nach der progressiven Übernahme der Hegemonialkultur (wo ist die Grenze, nach der ein Kind seine "Kinderkultur" verloren hat und die "Erwachsenenkultur" übernommen hat?), werden kaum gestellt. Trotz der Aussage, nach der "popular culture theories" ein besseres Verständnis des Kinderlebens im römischen Ägypten erlauben würden, bleibt es völlig unklar, welchen Mehrwert solche Theorien für solch eine sozialhistorische Fragestellung haben könnten.
Die Sektion über die Spätantike ist diejenige, die am besten gelungen zu sein scheint: die vier Beiträge ergänzen sich gegenseitig und bilden eine konsequente Rekonstruktion, die die Folgen der "Christianisierung" im Bereich der Populärkultur beleuchten will. Grig (237-256) untersucht das Fest der Kalenden des Januar durch die Jahrhunderte der Spätantike und bietet damit eine musterhafte Studie von Formen der populären Religiosität jenseits von Bildern der feiernden und betrunkenen Masse, aber auch des Bildes eines progressiven Fortschritts einer neuen hegemonischen Kultur. Denzey Lewis (257-276) zeigt, durch eine Analyse der Katakomben, die Breite an magischen Riten, die dort durchgeführt wurden, und die keinesfalls durch Begriffe wie "Magie", "Superstition", versus "Orthodoxie" oder "Glaube" zu erklären sei. Maxwell (277-295) widmet sich dem Thema der populären Theologie: die Leidenschaft, mit der der spätantike Mensch, aus allen sozialen Schichten, über theologische Fragen debattierte, ist in der Tat wohl bekannt und häufig von den antiken Quellen (nicht ohne eine gewisse Irritation) hervorgehoben worden. [4] Dieser Beitrag zeigt ganz gut, wie teilweise sehr abstrakte und schwierige theologische Fragen (und dies gilt auch für die Philosophie in den vorherigen Jahrhunderten) auch für Menschen, die nicht über die rhetorische und philosophische Ausbildung der Eliten verfügten, interessant und zugänglich waren: "there was no distinction between theology and popular religion" (295) - und keine "two-tiers structure". Wie Maxwell, untersucht auch Magalhães de Oliveira hauptsächlich Homilien, führt aber wieder doch ein "two-tiers" System ein, in dem er diese Homilien als Zeichen einer Aushandlung interpretiert, durch die die "ecclesiastical leaders" mit den "plebeian traditions" interagierten. Der Beitrag beinhaltet einige sehr interessante Punkte, und der Autor hat sicherlich Recht, wenn er hervorhebt, dass "no ecclesiastical leader could ever be sure how their messages would be received in popular meetings" (317). In diesem Sinne hebt er eindeutig hervor, dass diese "plebejische Kultur" kein passiver Rezipient der Kulturen der Eliten ist, sondern das sich stets ändernde Produkt eines dialogischen Prozesses, in dem auch Konflikte nicht zu vermeiden sind. Und dennoch kann so eine Interpretation nur gelten, wenn man scharf zwischen den "leaders" und den "subaltern classes" trennt - was, insbesondere nach der Lektüre des Rests des Buchs, nicht überzeugend klingt.
Der Band ist insgesamt ein wichtiger Beitrag zu einem neuen und höchst komplexen Thema. Der theoretische Rahmen, den Grig in der Einleitung anbietet, wird ab sofort eine unabdingbare Lektüre in der Kulturgeschichte der Antike sein; die einzelnen Beiträge, wie bei Sammelbänden oftmals üblich, haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, können aber insgesamt einen guten Überblick des Potentials einer theoretisch fundierteren Erforschung der antiken Populärkultur bieten. Das Buch wurde sorgfältig redigiert und wird von einem sehr nützlichen Register ergänzt.
Anmerkungen:
[1] Holt Parker: Toward a Definition of Popular Culture, in: History and Theory 50 (2011), 147-170.
[2] S. z.B. die Präsenz von einem Vers aus Ovid, der auf einen Ziegel gekritzelt wurde: Giovannella Cresci Marrone: Un verso di Ovidio da una fornace romana nell'agro di Forum Vibii Caburrum, in: Epigraphica 58 (1996), 75-82.
[3] S. John R. Clarke: Looking at Laughter. Humor, Power, and Transgression in Roman Visual Culture, 100 BC-AD 300, Berkeley 2007, 125-131.
[4] Besonders bekannt: Gregor von Nyssa: PG 46, 557B.
Filippo Carlà-Uhink