Michał Marciak: Sophene, Gordyene, and Adiabene. Three Regna Minora of Northern Mesopotamia Between East and West (= Impact of Empire; Vol. 26), Leiden / Boston: Brill 2017, XVI + 581 S., 78 s/w-Abb., ISBN 978-90-04-35070-0, EUR 160,00
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In den letzten vier Jahrzehnten standen wiederholt die kleineren Königreiche Vorderasiens, etwa Kappadokien, Kommagene, Media Atropatene, Charakene, Palmyra, Edessa und Hatra, im Mittelpunkt umfangreicherer Publikationen. Weniger Aufmerksamkeit hingegen brachte die althistorische Forschung den kleineren Königreichen Sophene, Gordyene und Adiabene in Nordmesopotamien entgegen. Diesen regna minora ist nun die vorliegende Monograhie von Michał Marciak gewidmet, der bereits seit 2012 mit mehreren kleineren Studien zu diesen Regionen hervorgetreten ist. [1]
Sein Ziel ist es, auf der Grundlage archäologischer, numismatischer, epigraphischer, bildlicher und literarischer Zeugnisse eine erste zusammenfassende Untersuchung der drei Königreiche zu bieten, die vor allem durch den Alexanderzug, die Mithridatischen Kriege und Roms Feldzüge gegen die Parther und Sāsāniden ins Visier westlicher Autoren wie Arrian, Tacitus, Ammianus Marcellinus oder Prokop gerieten und auch in der christlichen (armenischen und syrischen) Literatur präsent sind. Die vergleichende Betrachtung der drei Königreiche mit jeweils eigener Geschichte und Kultur begründet Marciak mit ihren Gemeinsamkeiten - der geographischen Lage im Grenzbereich zwischen dem Römischen Reich und dem Partherreich, ihrer Prägung durch diese beiden rivalisierenden Großmächte und der dennoch beachtlichen Bedeutung der drei regna durch ihre Lage an wichtigen Gebirgs- und Flussübergängen an den Grenzen zu Syrien und Armenien und als Transitgebiete für Warenströme und Truppenbewegungen.
Marciak hat seine Studie sehr klar gegliedert: Jedem der drei kleinen nordmesopotamischen Reiche ist ein Großkapitel gewidmet; die Arbeit besteht also aus drei Blöcken, die jeweils entlang dem Dreierschema "Historical Geography", "Cultural Landscape" und "Political History" abgearbeitet werden. Abgerundet wird die Untersuchung durch eine Zusammenfassung, ein Literaturverzeichnis sowie einen Anhang mit Abbildungen und Indices. Marciak lässt seine Untersuchung im Nordwesten Mesopotamiens beginnen, der erste Block fokussiert daher auf die zwischen Euphrat und Tigris gelegene Sophene. Die Grenzorte sind im Westen an der Grenze zu Kappadokien bzw. Melitene der Euphrat-Übergang Tomisa und im Osten der Tigris-Übergang bei Amida (Diyarbakır). Der nördliche Grenznachbar ist Großarmenien, dem die Sophene in der antiken Literatur mitunter zugerechnet wird - was schon allein auf Grund der familiären Beziehungen der beiden Herrscherdynastien nicht verwunderlich ist. Bis ins 6. Jahrhundert war der politische Status der Region zwischen dem oberen Euphrat und dem Haburdreieck zumeist durch Halbautonomie geprägt: Die Lokaldynasten blieben im Amt, wurden aber offiziell von Rom eingesetzt und mussten Hilfstruppen zur Verfügung stellen, römische Truppen waren an militärisch wichtigen Plätzen stationiert.
Im zweiten Block behandelt Marciak die Gordyene. Zunächst territorial begrenzt auf unzugängliche Gebirgsregionen im Taurus, habe sich die Gordyene ausgedehnt bis nach Nordmesopotamien mit dem Tigris und dem östlichen Habur und in die Vansee-Region. Der politische Status sei, abgesehen von einigen Jahrzehnten unabhängiger Königsherrschaft im 2./1. Jahrhundert v.Chr. der eines Klientelkönigreiches unter wechselnder Oberherrschaft (Arsakiden, Armenien, Adiabene, Rom, Sāsāniden) gewesen.
Den dritten und umfangreichsten Block widmet Marciak der Adiabene, dem bedeutendsten der drei untersuchten regna minora. Daher ist die Adiabene am besten in der antiken Überlieferung bezeugt und stand - freilich auch der Konversion des adiabenischen Königshauses zum Judentum geschuldet - weitaus intensiver im Fokus der modernen altertumswissenschaftlichen Forschung als die Sophene und die Gordyene. Das Kerngebiet der Adiabene mit der Hauptstadt Arbela lag östlich des Tigris zwischen dem Großen und Kleinen Zab, begrenzt im Osten durch den Zagros und Medien. Die meiste Zeit seines Bestehens unterstand das Königreich Adiabene parthischer bzw. sāsānidischer Oberherrschaft, war von Roms Mesopotamien-Feldzügen jedoch nur in seinen westlich des Tigris gelegenen Territorien betroffen.
In der Schlusszusammenfassung stellt Marciak nochmals sehr präzise die Gemeinsamkeiten der drei regna minora heraus, nämlich ihre Entstehung im 3./2. Jahrhundert v.Chr., als die Seleukiden ihre Herrschaft an der Peripherie des Reiches nicht mehr aufrecht erhalten konnten und das Arsakidenreich noch nicht hinreichend etabliert war, um aus diesem Machtvakuum im mesopotamisch-zentralasiatischen Raum politischen Profit zu schlagen. Ebenfalls im Fokus steht die zweite Gemeinsamkeit der drei Königreiche - der politische Status, der in hellenistisch-parthischer Zeit durch ihre Eingliederung ins Arsakidenreich und den Verlust der Unabhängigkeit, nicht jedoch durch die Absetzung der Lokaldynasten charakterisiert ist.
Marciak legt drei überaus gelungene Regionalstudien vor, deren gemeinsame Betrachtung im vorliegenden Band gut begründet ist. Die Ergebnisse der Studie sind durchgängig überzeugend und durch die Berücksichtigung aller verfügbaren Quellengattungen solide untermauert. Die Kritik kann sich daher auf wenige Punkte beschränken: Auf einigen Karten im Abbildungsteil sind die Beschriftungen (grau auf grauem Hintergrund und in sehr kleiner Schrift) schwer lesbar (so bei Fig. 1, 9 und 31), und die Qualität einiger Abbildungen ist unzureichend (so etwa Fig. 11, 42, 45, 66 und 74). In der Diskussion der Tigris-Übergänge bei Amida (31-32, 34 und 105) ist zu berücksichtigen, dass der Ausgangspunkt der auf der Tabula Peutingeriana eingezeichneten Route über Tigranocerta nach Isumbo nicht der Tigris-Übergang Ad Tygrem ist, sondern Amida, das durch ein Zwei-Turm-Symbol ohne Name repräsentiert wird; das Toponym Ad Tygrem ist nicht mit einem Symbol versehen. Dass der Kartenzeichner zwischen Amida und Ad Tygrem keine Verbindung eingefügt hat, dürfte seinem Bestreben geschuldet sein, Überschneidungen mit anderen Beschriftungen zu vermeiden. Diese Route endet sicherlich nicht in Isumbo, sondern führt weiter nach Nordwesten über Satala nach Kleinasien und nach Nordosten über Artaxata nach Armenien. [2] Eine genaue Rekonstruktion dieser und anderer mesopotamischer Routen auf der Tabula Peutingeriana ist auf Grund des fehlerhaft dargestellten Euphrat/Tigris-Flusssystems äußerst schwierig; zu weiterführenden Ergebnisse gelangt hier (hoffentlich!) das im Oktober 2017 begonnene DFG-Projekt "Kommentar zur Tabula Peutingeriana". [3] Marciak sind nur wenige Fehler unterlaufen: Zu korrigieren sind ad Tigem in ad Tigrem (105) und Luther 1999 in Luther 1997 (356 Anm. 70).
Marciak hat eine gelungene und mit großer Sorgfalt verfasste Untersuchung vorgelegt, die für die weitere Forschung zum antiken Nordmesopotamien Maßstäbe setzt und sich insbesondere für die künftige Erarbeitung der Geographie dieser Region als unverzichtbares "Startkapital" erweisen wird.
Anmerkungen:
[1] Hier seien nur wenige Studien von Michał Marciak genannt: The Historical Geography of Gordyene. Part 1: Classical Sources, in: Anabasis 3 (2012) 173-213; The Historical Geography of Gordyene. Part 2: Oriental Sources, in: Anabasis 4 (2013) 159-169; The Cultural Landscape of Sophene from Hellenistic to Early Byzantine Times, in: GFA 17 (2014) 13-56.
[2] Richard J.A. Talbert (ed.): Barrington Atlas of the Greek and Roman Wold, Princeton/Oxford 2000, 87. 89.
[3] Die Webseite des Projekts ist zu erreichen unter http://www.ku.de/ggf/geschichte/altegesch/dfg-projekt-tabula-peutingeriana
Monika Schuol