Thomas M. Bohn: Der Vampir. Ein europäischer Mythos, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 368 S., ISBN 978-3-412-50180-8, EUR 25,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Der Vampir als Medienstar ist allen geläufig - viele werden ihn und Graf Dracula in Transsilvanien allerdings für eine Roman- oder Filmfigur aus einem Phantasieland halten. Der nicht nur bis Bram Stoker zurückreichenden Vorgeschichte und seiner auch mitteleuropäisch zu verortenden Geschichte und Mythenbildung hat sich der Gießener Osteuropahistoriker Thomas M. Bohn zugewandt. Er ist auch Mitherausgeber des dreibändigen Corpus Draculianum, einer Dokumentation zu Vlad Ţepeş Drăculea. Die im Erscheinen befindliche kritische Edition [1] macht die breite Überlieferung von Briefen, Urkunden und Erzählungen zugänglich.
Bohns Vampirbuch hat dagegen eine aufklärerische Mission, als professioneller Historiker kämpft er gegen Mythenbildung: Sogenannte "Vampire" gibt es nämlich gerade im rumänischen Karpatenbogen "hinter den Wäldern" gelegenen Transsilvanien nicht, dort heißen sie "strigoi" oder "moroi". Er identifiziert einen sogenannten "Vampirgürtel" (10), der entlang der östlichen Grenze Mitteleuropas verlaufe. In diesen Regionen finden sich die Vorstellungen von unverwesten Leichnamen, Untoten, Wiedergängern und "Nachzehrern" (Tote, die ihr Leichentuch verzehren). Bei den jeweiligen Bezeichnungen ist besondere Sorgfalt angesagt, denn die zeitgenössischen Schreibvarianten sind auch Belege für regionale Eigenarten. Die - wie der Autor etwas kryptisch formuliert - "auch inhaltlich besondere Rolle" (15) der Orts- und Personenregister ist nicht ganz konsequent durchgeführt: Gerade in den sich sprachlich überlappenden Grenzgebieten von Schlesien, Mähren und Oberungarn gibt es doch noch mehr Doppelungen, etwa die sowohl in Böhmen als auch in Schlesien zu findende Ortschaft Lewin (54), als das Register aufführt. Es ist aber ein Verdienst des Bandes, die sprachlichen Varianten des Vampirglaubens auch grafisch darzustellen: Die Vorsatzkarte "Militärgrenze und Vampirschauplätze in Ostmitteleuropa und Südosteuropa" führt die gängigen Bezeichnungen für "Blutsauger" und "Alpdruck" an. Etwas weniger gelungen, weil zu grob, ist die Nachsatzkarte, die versucht, beim "Nachzehrerglauben und [den] Vampirvorstellungen in Mitteleuropa" das "Nachholen vom Grabe aus" und "Nachholen durch direktes Aussaugen" zu unterscheiden.
Die Kernthese des Verfassers lautet, dass der Vampirismus als "imperiale Kategorie" dazu diene, die Überlegenheit des Westens über die barbarischen Zustände des Ostens zu demonstrieren. Dadurch ist auch die im Titel postulierte europäische Mythisierung des Vampirs gerechtfertigt, weil es einerseits um die tatsächlich auftretenden Fälle von Bekämpfung der schadenstiftenden Untoten geht und andererseits um deren Rezeption im restlichen Europa. Das Thema der Bedrohung der zivilisierten Welt durch primitive Kräfte aus der Peripherie gewann im Zuge des erstarkenden Nationalismus symbolischen Charakter, die Eindämmung diente der Wiederherstellung der inneren Ordnung und zur Zementierung des territorialen Status quo. Bram Stokers Dracula-Roman habe sich deshalb - bewusst oder unbewusst - gegen eine Balkanisierung und Russifizierung Südosteuropas gerichtet (25). Gleichzeitig sei der unsterbliche Blutsauger mit der Gothic Novel des 19. Jahrhundert vom Dorfmonster zum dekadenten Dandy mutiert.
Die Aufklärung hatte bereits Vorarbeit geleistet, die Verspottung des Aberglaubens und des Irrationalen war üblich unter der gelehrten Elite, der "Aberglauben" wurde zum Kampfbegriff (124). In der habsburgischen Zentrale Wien versuchte man, das Vorgehen gegen vermeintliche Vampire in den Außenbezirken des Vielvölkerstaats offiziell einzudämmen: 1755 sandte Kaiserin Maria Theresia ihren Leibarzt Gerard van Swieten nach Mähren, um die Vampirfälle zu untersuchen. Aufgrund seines Berichts verbot Maria Theresia die dort üblichen drastischen Abwehrmaßnahmen wie Pfählen und Verbrennen, die rechtlich als Grabschändung galten. Unter der osmanischen Obrigkeit hingegen, das ist bemerkenswert, griff der Vampirismus von den Christen auf die Muslime über, und die Obrigkeit zeigte im Interesse des sozialen Friedens mehr Toleranz: Sie duldete bei ihren christlichen Untertanen Grabschändungen zur Abwehr von "Wiedergängern" (97). Das transnationale Phänomen des Vampirs - so schließt Bohn sein Buch ab - sei ein Produkt der Phantasie und der Angst, seine Vernichtung habe dem "Dampfablassen" (296) gedient. Die Sündenbockfunktion gehört zu den interessantesten Fragestellungen der zu besprechenden Arbeit, über die man gerne mehr erfahren hätte. Eine Vertiefung mit Regionalstudien gehört allerdings gar nicht zum Ansatz von Bohns verdienstvoller und kenntnisreicher Zusammenschau, ebenso wenig wie die doch auffälligen Parallelen zu anderen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Blut stehenden, magischen Praktiken oder die Hexenverfolgung, die an die eben nicht blutsaugende, schadenstiftende Wiedergängerei anknüpft. Die Vernichtung der Vampire hatte gegenüber der Hexenverfolgung allerdings den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht epidemisch werden konnte, denn Tote konnten das "Schneeballsystem" gegenseitiger Beschuldigungen nicht in Gang setzen.
Bohns breite und fleißig zusammengetragene Darstellung reicht von den Sagen des mittelalterlichen Island über das frühneuzeitliche Schlesien und Polen bis hin zum neuzeitlichen Balkanraum. Er unterscheidet konkrete Vampirfälle von Vampirmotiven in Sagen und Märchen sprachlich durch die Verwendung von Präteritum und Präsens in seinen Paraphrasen der Quellen (14). Das ist ein löbliches Unterfangen, lässt einen aber bei vielen Passagen an der Zuordnung zweifeln (etwa 227, 244). Die Kommentare fallen außerdem weniger analytisch als wertend aus, so etwa wenn von einer "amüsanten Vampirgeschichte" mit "bizarrer Vampirbekämpfung" gesprochen wird (193). Jedes neue Thema wie etwa die "Aufklärung" oder jede neue behandelte Region wie "Siebenbürgen" wird mit einem einführenden Abschnitt bedacht. Die Lesbarkeit der umfangreichen schriftlichen Quellen erhöht er durch lange referierende Passagen, die optisch abgesetzt werden. Der Preis dafür ist allerdings der teils nicht ganz klare Quellenbezug (etwa 142). Da es kein eigenes Quellenverzeichnis gibt und das Register nicht vollständig ist - so fehlt etwa der breit besprochene Flückinger-Bericht von 1732 - lässt sich die Darstellung bisweilen nicht leicht nachvollziehen. Die kleine Quellenauswahl der Vampirtraktate (128f.) kommt etwas unvermittelt daher und hätte gerne auch über ein Register nachgewiesen werden können. Die fast als zufällig erscheinende Positionierung der Abbildungen wie bei Nummer 6 (99), die sich auf den ebenfalls nicht im Register nachgewiesenen Christian Reiter erst auf Seite 118 bezieht, spricht insgesamt nicht für ein gründliches Lektorat. Schade ist außerdem, dass die zwanzig beigefügten Abbildungen eher dokumentarischen Wert haben (z.B. 203), was bei einer für ein breiteres Publikum angelegten Veröffentlichung verwundert.
Der Autor hat ein wichtiges und gesamteuropäisches Thema in die Hand genommen, bei dem es gleichwohl besonders auf lokaler Ebene künftig noch einige Lücken zu schließen gilt.
Anmerkung:
[1] Adrian Gheorghe / Albert Weber: Corpus Draculianum. Dokumente und Chroniken zum walachischen Fürsten Vlad der Pfähler 1448-1650. Bd. 3: Die Überlieferung aus dem Osmanischen Reich. Postbyzantinische und osmanische Autoren, Wiesbaden 2013.
Karen Lambrecht