Anna Grosskopf: Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur. Eine Diskursgeschichte künstlerischer Techniken in der Moderne, Bielefeld: transcript 2016, 487 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-8376-3124-1, EUR 44,99
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Kunsttheoretische Auffassungen und speziell Ressentiments gegen moderne Strömungen manifestieren sich besonders eindrücklich in Karikaturen. Das rührt nicht zuletzt daher, dass sie als bissig zugespitzte Bild-Text-Kombinationen besser im Gedächtnis haften bleiben als rein sprachliche Darlegungen. In ihrer Dissertation führt Anna Grosskopf die Vielschichtigkeit und Relevanz von Kunstkarikaturen eindrucksvoll vor Augen, indem sie sich auf jene Motive konzentriert, die ein kunsttheoretisches und -historisches Stiefkind behandeln: Karikaturen, in denen die Arbeit des Künstlers, also die "materiellen und manuellen Seiten der Produktion" (12) von Kunst im Vordergrund stehen und weniger der Künstler als jener Intellektuelle, den die Kunsttheorie des 19. und 20. Jahrhunderts favorisiert.
Anhand zahlreicher Beispiele, die in erster Linie aus französischen, deutschen und englischen Satirezeitschriften sowie ab 1945 aus den USA stammen, betrachtet sie den Zeitraum zwischen 1830 und 1970, in dem die spezifisch künstlerische Tätigkeit in Kunstkarikaturen eine maßgebliche Rolle spielt. Da die Untersuchung auf eine "Diskursanalyse künstlerischer Techniken" (13) abzielt, ist es konsequent, wenn sie die Karikaturen primär "als kunsthistorische Dokumente betrachtet, deren Analyse ein tiefes Eindringen in zentrale kunsttheoretische Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts ermöglicht" (13).
In der Gliederung bündelt die Verfasserin thematische Blöcke, deren Entwicklung sie separat verfolgt. Daraus ergeben sich fünf Hauptkapitel über Malerei für den Salon (23-72), die künstlerische Verwendung von Werkzeugen aus Handwerk und Industrie (73-174), Pleinairmalerei und öffentliche Kunstproduktion (175-247), Abstraktion (249-377) und monochrome Bilder (379-447), die jeweils systematisch in weitere Unterabschnitte aufgeteilt sind. In Letzterem untersucht sie beispielsweise weiße und schwarze Monochrome jeweils getrennt, um klarzustellen, dass sie ganz unterschiedliche Aspekte, etwa das leere und das verdeckte Bild, adressieren. Die Notwendigkeit der Betrachtung von Themenblöcken ergibt sich aus dem gesichteten Material, denn es existiere erstens "keine kontinuierliche Spiegelung künstlerischer Techniken" (14), die einen einzigen geschichtlichen Überblick gestatte, und zweitens korrespondieren die Vorlieben von Karikaturisten nur bedingt mit den Akzentsetzungen zeitgenössischer Kunstdiskurse (vgl. 14). In der ausführlichen Zusammenfassung offenbart sich noch einmal der weitsichtige Ansatz der Arbeit, weil die Autorin hier unter anderem der Frage nachspürt, warum die Kunstkarikatur nach 1970 an Relevanz verloren hat. Eine Ursache liege demzufolge in einer zunehmenden Selbstreflexivität der Kunst, zu der auch die Auseinandersetzung mit der künstlerischen Produktion gehöre (vgl. 449-461, v.a. 458-459).
Anna Grosskopf ist insgesamt eine überzeugende und instruktive Untersuchung gelungen, welche die Rezeption der maßgeblichen Kunstströmungen zwischen 1830 und 1970 mitsamt ihren theoretischen Prämissen systematisch um eine oft vernachlässigte Perspektive erweitert. Dabei erhellt sie - wie es oben bereits anklingt - pointiert und kenntnisreich die Verständniskontexte zahlreicher Karikaturen, indem sie "oft eine erstaunliche diskursive Tiefe" unterhalb der "vordergründige[n] Leichtigkeit ihres Witzes" (449) auslotet. Selbst scheinbar oberflächliche Topoi wie die Desavouierung von Malern als Maurer oder Anstreicher entpuppen sich als schillernde Phänomene, deren diskursive Komplexität man auf den ersten Blick gar nicht durchschaut (vgl. 92-133). Grosskopf vergisst auch nicht, spezifische Begriffe aus Kunsttheorie und -kritik sowie vor allem technische Besonderheiten nuanciert im Licht historischer Diskurse zu beleuchten. Ihre Arbeit ist aus diesem Grund auch über den Themenrahmen der Kunstkarikatur hinaus hochgradig informativ und weist beinahe schon das Gepräge eines Nachschlagewerks auf.
Als Ausgangspunkte der Argumentation dienen präzise Einzelanalysen, welche die Verfasserin sukzessive miteinander verknüpft und zur Herausstellung ihres exemplarischen Charakters immer wieder in allgemeine Zusammenhänge und Entwicklungen einordnet. Auf diese Weise glückt es ihr, Mikroanalysen und Überblick überzeugend aufeinander zu beziehen. Dabei schafft die Verfasserin das Kunststück, die verschiedenen Kapitel durch eine umsichtige Gliederung vielschichtig miteinander zu vernetzen und verschiedene rote Fäden zu spannen, indem sie zum Beispiel Aspekte aus dem ersten Kapitel wie den Kampf verschiedener Malerschulen oder das zum Teil hohe Arbeitstempo von Salonmalern in späteren Abschnitten innerhalb anderer Kontexte mehrfach wieder aufgreift.
Angesichts der kontinuierlichen Argumentationsdichte fällt es schwer, eines der Kapitel besonders hervorzuheben. Das Ergebnis ist eine erfreulich differenzierte Erschließung des Themas, weil die Verfasserin immer wieder aufzuzeigen vermag, dass spezifische Eigenschaften des künstlerischen Produktionsprozesses wie die vorgebliche Kindlichkeit von Kunstwerken wie jener Gustave Courbets sowohl positive als auch negative Beurteilungen hervorrufen konnten - je nach der progressiveren oder konservativeren Haltung eines Karikaturisten (vgl. 258-287, v.a. 275).
Zur Anschaulichkeit trägt auch der Umstand bei, dass alle behandelten Karikaturen reproduziert sind. Die Qualität der 248 Abbildungen ist zwar nicht optimal, aber für die Argumentation völlig angemessen. Ungleich wichtiger ist, dass Grosskopf sehr breit gestreutes Material, darunter auch die Reproduktionen, in einer dichten Untersuchung zusammenführt, der man die zugrunde liegenden intensiven Recherchen bis ins kleinste Detail hinein durchgehend ansieht.
Aus der Mannigfaltigkeit des Materials ergeben sich freilich auch geringfügige Schwächen. Trotz der dichten Verknüpfung fragt man sich bisweilen, ob jede der besprochenen Karikaturen für die Argumentation unabdingbar ist. Als größtes Defizit ist gleichwohl das Fehlen eines Namens- und insbesondere eines Sachregisters zu bemängeln, denn nur mit diesem Instrument wäre eine angemessene Orientierung in dieser enzyklopädischen Materialvielfalt möglich, wenn man etwas nachschlagen möchte. Formal nicht ganz konsequent durchgehalten ist wiederum der Umgang mit fremdsprachigen Zitaten, die anfangs noch übersetzt und später nur noch im Text paraphrasiert werden.
Im Ganzen ist Anna Grosskopfs "Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur" zweifelsohne als wichtiger Beitrag einzustufen, in dem die Geschichte der Karikatur und die materiellen Bedingungen künstlerischer Produktion mit viel Sachkenntnis und Umsicht aufeinander bezogen werden, um einen relevanten blinden Fleck der kunsttheoretischen Reflexion umfassend und systematisch aufzuarbeiten. Abschließend darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Untersuchungsgegenstand mit seinem augenzwinkernden Blick auf die Kunst der Moderne auch trotz seiner umfassenden wissenschaftlichen Erschließung eine erfrischend amüsante Lektüre garantiert.
Ralf Michael Fischer