Thomas Würtenberger: Symbole der Freiheit. Zu den Wurzeln westlicher politischer Kultur, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 576 S., 32 Farbabb., ISBN 978-3-412-50753-4, EUR 60,00
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Der emeritierte Freiburger Staatsrechtler Thomas Würtenberger legt mit dieser Geschichte westlicher Freiheitssymbole einen großen Beitrag zur politischen Ikonologie vor. Es fehlt zwar nicht an einschlägigen Darstellungen und Katalogen, aber nur hier werden einschlägige Bilder in derartigem Umfang systematisch und erschöpfend kommentiert. Der Schwerpunkt liegt auf der Druckgraphik, daneben auf bunten Bilderbogen und Medaillen; Rituale und Denkmäler können nur gestreift werden. Der Symbolwandel wird zwar behandelt, aber nicht systematisch angegangen. Denn breitere theoretische Reflexion ist nicht Würtenbergers Sache - fast möchte man meinen: Gott sei Dank!
Nachdem er seine eigentlich ziemlich selbstverständliche Fragestellung entfaltet hat, beginnt er mit drei grundlegenden antiken Symbolen, der Libertas in weiblicher Verkörperung, der Vindicta (Freilassungsstab) und dem Pileus (Freiheitsmütze oder -hut). Der Pileus wurde auf Münzen der Cäsarmörder mit Dolchen angereichert. Mit diesen Dolchen symbolisierten Medaillen 1537 den "Tyrannenmord" Lorenzinos de' Medici und 1552 die angestrebte Überwindung des "Tyrannen" Kaiser Karl V. durch König Heinrich II. von Frankreich (50 f.); sie tauchten danach aber selten auf. Natürlich hat es auch vor der Renaissance Freiheitswillen gegeben, aber Würtenberger kann ihn medial eben nur seit dem Buchdruck wirkungsvoll erfassen. Demgemäß beginnt er anschließend mit dem niederländischen Freiheitskampf. In Großbritannien wurde dieses Thema angeblich erst 1689 spruchreif. Immer wieder ging es dort um die Gefährdung des verfassungsmäßigen Gleichgewichts von King, Lords und Commons, um die "Waage der Gerechtigkeit" (83-85), die dem "juristischen Zugriff" Würtenbergers besonders wichtig ist (28). Libertas war dabei spätestens 1775 zur Britannia geworden (76 f.). Amerika wurde schließlich zum eigentlichen Sitz der englischen Freiheitsidee, strahlte aber unverzüglich auf Frankreich aus, unter tätiger Mitwirkung Benjamin Franklins (108 f.). In Deutschland hingegen spielte die Freiheitssymbolik kaum eine Rolle; Schiller bezog sich lieber auf die Geschichte der Niederlande. Deutschland ging laut Würtenberger einen "anderen Weg in den Verfassungsstaat" und bevorzugte noch 1849 die Rechtsstaatssymbolik des Königs mit dem Gesetzbuch (124).
Die Französische Revolution ging nicht nur ikonographisch neue Wege, sondern führte auch zu einer quantitativen Steigerung der Medienproduktion. Die neuen Eliten setzten alles daran, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Die neue Symbolwelt war freilich zugleich eine alte, diejenige einer neu gestalteten Antike. Was nicht römisch genug ausfiel, wurde regelmäßig verworfen (136). Der antike Pileus wurde zur allgegenwärtigen roten phrygischen Mütze, bis sie, weil Jakobinerattribut, 1794 vorübergehend verschwand. Die weibliche Inkarnation der Liberté hingegen blieb ein ruhender Pol (148 f.), der Tanz um den Freiheitsbaum ein besonders beliebtes Ritual (152 und Buchumschlag). Menschenrechte und Verfassung wurden ebenso sakralisiert wie die revolutionären Feste (166). Würtenberger berücksichtigt auch die verschiedenen Phasen der Revolution mit ihren politischen und ideologischen Konflikten, angefangen mit der Ikonographie des revolutionären Münz- und Papiergelds (171-176). Die Kläglichkeit des Königs von 1792 (190 f.) wurde darstellerisch von einer revolutionären Elektrisiermaschine zur Beseitigung gekrönter Häupter abgelöst, mit einer Auflage von 1000 Stück (196 f.). Inzwischen war die Freiheit als Frauengestalt über die Nation zur Republik mutiert (195), während Terreur und Guillotine 1794 erst einmal der Vergangenheit angehörten (208-210). In Deutschland und der Schweiz, in den Niederlanden und Italien wurde die französische Freiheits- und Verfassungssymbolik den Umständen entsprechend eher ambivalent wahrgenommen. Der überall beliebte Freiheitsbaum erregte aber sogar Goethes Aufmerksamkeit (228 f.).
Die 1777 eingeleitete Dynamisierung und Formalisierung der europäischen Verfassungsgeschichte erlebte in der Restaurationszeit im Zeichen der konstitutionellen Monarchie in Deutschland und zunächst auch in Frankreich eine publizistische Stabilisierung. Die Julimonarchie wurde allerdings durch neue freiheitliche Impulse in Frage gestellt, so im Revolutionsgemälde von Delacroix 1830 (285). Aber Satire war inzwischen wichtiger, krass in Auguste Bouquets letztem Abendmahl der Liberté frei nach Leonardo da Vinci 1832 (282). Satire spielte auch in der Verfassungssymbolik der französischen und der deutschen Revolution 1848/49 eine beträchtliche Rolle. Denn Mariannes zweite französische Republik mit Bürgerkrieg und Staatsstreich war kurzlebig und umstritten (317 f.), während die deutsche Revolution sogar scheiterte. Demgemäß brachte sie neben klassischem Freiheitspathos (322-325, 328 f., 339) und Grundrechten (346-348) eine Flut von frustrierten Karikaturen hervor, nach Würtenbergers Motto: "Von der Schlafmütze zur Freiheitsmütze und wieder zurück: wie der deutsche Michel fast zur Freiheit fand" (328, 334).
Auf unterschiedliche Weise prägte das transnationale Thema Freiheit und Verfassung im 18./19. Jahrhundert erneut auch die politische Symbolik in Großbritannien, den USA und verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Die britischen Freiheitsimpulse gerieten allerdings infolge des Konflikts mit Frankreich in ein anti-revolutionäres Fahrwasser. Für den Karikaturisten James Gillray garantiert das englische System die wahre Freiheit gegen französischen Terror (379-383). Die USA orientierten sich eher an französischen Vorlagen, dazu aber am Kult der Gründerväter, etwa beim Washington-Fresko in der Kuppel des Kapitols (399 f.). Die Personifikation der Freiheit und die phrygische Mütze sollten schließlich lateinamerikanische Freiheitssymbolik verkörpern, ungeachtet der realen Verhältnisse.
Nachdem einige Jahrzehnte lang weder in Frankreich noch in Deutschland Bedarf an politischer Symbolik bestanden hatte, verlangte die 3. Republik wieder nach Selbstdarstellung, besonders drastisch in einer Gegenüberstellung der "roten" und der "behäbig-bürgerlichen" Marianne (416 f.). Im neuen deutschen Reich hingegen handelte es sich nur um monarchische Affirmation. Stattdessen griff aber die Arbeiterbewegung auf die traditionelle Freiheitssymbolik zurück. Nach dem Wahlsieg der SPD 1903 setzte "Der Wahre Jakob" der blonden Germania sogar eine rote Mütze auf (436 f.). Aber der "Simplicissimus" musste 1933 die Verfassung mit der roten Hakenkreuzfahne zu Grabe tragen (459). Weimar hatte schon mit der Feier seines Verfassungstags Probleme, während die Druckgraphik aller Seiten damals gleich giftig ausfiel.
Freiheits- und Verfassungssymbolik hat selbst kein Programm, sondern folgt dem politischen Prozess, ist aber nichtsdestoweniger insgesamt vom Archetyp des westlichen Freiheitsstrebens geprägt. Insofern ist sie zentraler Bestandteil der Kommunikation zwischen Staat und Bürgern sowie der Bürger untereinander (man beachte die von dem Staatsrechtler Würtenberger gewählte Reihenfolge), die von den unterschiedlichsten Künstlern artikuliert wird. Im Gegensatz zum Rest der westlichen Welt ist Deutschland dabei aber den staatsfrommen Weg gegangen. Verfassung ist auch uns immer noch wichtiger als Freiheit!
Wolfgang Reinhard