Étienne Fouilloux: Les Éditions dominicaines du Cerf. 1918-1965 (= Collection "Histoire"), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2018, 293 S., ISBN 978-2-7535-5899-1, EUR 24,00
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Derzeit hat es seinen Sitz im Pariser Dominikanerkonvent S. Jacques und kann auf eine knapp hundertjährige Geschichte zurückblicken: das Verlagshaus "du Cerf". Der namengebende "Hirsch" (Cerf) verweist auf Psalm 42: "Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Herr, zu Dir." Damit ist die inhaltliche Richtung vorgegeben. Publiziert wurden bisher 8000 Titel theologischen und philosophischen Inhalts, die den gesamten Zeitraum menschlichen Denkens bis in die unmittelbare Gegenwart hinein abdecken.
Welche (kirchen-)politischen Implikationen Entstehung, Gründung und Ausbau des Verlags in den Jahren von 1918 bis 1965 hatten, demonstriert Étienne Fouilloux, der bis zu seiner Emeritierung als Zeithistoriker an der Universität Lyon II lehrte, in zehn Kapiteln chronologisch geordnet ebenso anschaulich wie kompetent: "C'est cette success story étonnante, jalonnées de crises brutales avec l'Ordre et avec Rome, que l'on entend retracer ici." (11)
Die Quellen fließen reichlich: Fouilloux schöpfte vor allem aus dem Archiv der französischen Dominikanerprovinz und ergänzte das Ganze durch den Rückgriff auf die persönlichen Papiere der hauptverantwortlichen (Chef-)Redakteure, den Patres Bernadot, Boisselot, Chifflot, Henry und Louvel. Die Grenzen sind klar: es handelt sich um eine histoire religieuse, in Teilen eine histoire intellectuelle des Verlags, in der ökonomische und soziale Sachverhalte eher am Rande mitbehandelt werden.
Die Geschichte der "Éditions du Cerf" ist zunächst die einer äußerst erfolgreichen Zeitschrift, der 1919 gegründeten La vie spirituelle ascétique et mystique und eines nicht weniger erfolgreich agierenden Mannes, Père Marie-Vincent Bernadot. Es ist eine Geschichte voller interner Konflikte: Konflikte zwischen den einzelnen Redakteuren, Konflikte mit Ordensleitung und Kurie um die politische Ausrichtung der Zeitschrift(en) und des Verlagsprogramms. Anders als jedoch zu vermuten stünde, geht die Idee zur Gründung des Verlages nicht auf dominikanische Ordensautoritäten zurück: entscheidend war Pius XI., der den neu zu gründenden Verlag als Mittel im Kampf gegen die Action française mit ihrem Hauptprotagonisten Charles Maurras sah. Das neue Unternehmen sollte der Verteidigung des Papstes und seiner Entscheidungen dienen, war mithin als Instrument päpstlicher Propaganda gedacht. Den sprichwörtlichen dominikanischen Eigenwillen hatte man in Rom wohl falsch eingeschätzt, ja gnadenlos unterschätzt. Dieser Eigenwille, der sich sowohl in der Bewahrung des Alten als auch im Aufgreifen neuer geistiger Strömungen artikulierte, richtete sich in den ersten Jahrzehnten vor allem auf die Gründung neuer Zeitschriften. Das Verlagshaus selbst wurde am 11. Oktober 1929 offiziell ins Leben gerufen. Doch Fouilloux tut gut daran, immer wieder ein Faktum in Erinnerung zu rufen: auch nach 1929 bestand die Haupttätigkeit der "Éditions du Cerf" immer noch in der Herausgabe einer Vielzahl mehr oder minder erfolgreicher, "katholischer" Zeitschriften. Und interessant zu lesen ist, wie sich das, was unter "katholisch" verstanden wurde, vergleichsweise rasch ändern konnte.
Philosophen wie Jacques Maritain trugen durch ihre Unterstützung, die sich mitunter in kaum mehr zu kanalisierendem Ideenreichtum Bahn brach, zur inhaltlich-gedanklichen Schärfung so mancher Projekte bei. Dass dabei schon einmal projektierte Zeitschriften wie La Vie Intellectuelle zum "grand navire de guerre" umfunktioniert werden konnten, verweist auf eine Epoche, in der sich der Katholizismus in Frankreich behaupten musste und wollte, in dem es nicht nur um die Verteidigung des Papstes, sondern auch darum ging, einen Thomismus römisch-kurialer Prägung mit zeitgenössischen Ideen und Ereignissen, kurzum mit dem zu verbinden, was die französische Gesellschaft umtrieb. Im Fall von La Vie Intellectuelle sollte dies gelingen. Fouilloux spricht völlig zu Recht von einer "hardiesse de la revue" (107) nicht zuletzt mit Blick auf das vom Vatikan verbotene Konzept des Ökumenismus. Angesichts der Ereignisse in Deutschland gehörte die Zeitschrift 1938/39 zu denjenigen Stimmen, die den Nazismus außerordentlich kritisch beurteilten, ohne dabei in eine Form geifernden Bellizismus abzugleiten.
Die Energie, die Bernadot während des II. Weltkriegs in Verlagsdingen zu entfalten wusste, nötigt dem Leser noch heute Bewunderung ab. In einer Zeit, in der aufgrund der Mobilisierung vieler Ordensbrüder zahlreiche Klöster verwaist zurückblieben, in der sich der Predigerorden selbst tief gespalten zeigte, in der der Verlag von Seiten der extremen katholischen Rechten kommunistischer Umtriebe bezichtigt wurde, übernahm Bernadot das ambitionierte Publikationsprogramm, insbesondere die Zeitschriften, deren wirtschaftliche Situation alles andere als rosig war. 1937 erfolgte der Umzug in das neue Verlagsgebäude am Boulevard La Tour-Maubourg. Politisch positionierte man sich irgendwo zwischen dem von der laikalen Linken vertretenen Antifaschismus und dem von der katholischen Rechten favorisierten Nationalismus: In medio tutissimus ibis. Noch kurz vor seinem Tod im Mai 1941 wurde Bernadot von seinen Aufgaben entbunden. Entscheidend dafür war sein Festhalten an einem Ideenpluralismus in Zeiten, in denen der "impératif d'unité" (114) alles andere dominierte. Er starb als Gemeindepfarrer predigend auf der Kanzel. An Bedeutung fast ebenso wichtig sind zwei Dominikaner, die 1932 Bernadot hilfreich zur Seite sprangen: Augustin-Jean Maydieu und Pierre Boisselot. Sie sollten über den Tod Bernadots bis in die 1960er-Jahre das Gesicht des Verlags maßgeblich prägen. Und auch Yves Congar wusste sich dem Verlag zunehmend verpflichtet: ab 1937 war er für die Buchreihe "Unam Sanctam" verantwortlich, die den Übergang der "Éditions du Cerf" von einem auf Zeitschriften spezialisierten Haus hin zu einem Buchverlag markiert. [1]
Die Kriegszeiten überstand man mehr schlecht als recht: Papiermangel, Zensur durch die deutschen Besatzer und disziplinarisches Störfeuer aus Rom, von wo aus das Heilige Offizium eine stärkere Orientierung an den "vérités d'orde surnaturel qu'aux problèmes temporels d'actualité" (158) anmahnte. Die juristische Verfasstheit des Verlags, der eben nicht im Besitz des Dominikanerordens war, sondern sich als Aktiengesellschaft in Laienhänden befand, sorgte häufiger dafür, dass nicht alle aus der römischen (Ordens-)Zentrale angemahnten Personalrevirements auch tatsächlich verwirklicht wurden. Nach dem Krieg stiegen die "Éditions du Cerf" zu "dem" katholischen Buchverlag Frankreichs auf. Hatte man zwischen 1929 und 1940 jährlich nur durchschnittlich 15 Bücher veröffentlicht, explodierten diese Zahlen nach dem Krieg. Das Jahr 1942 markierte die Geburtsstunde derjenigen Publikationsreihe, die in Historikerkreisen wohl am bekanntesten ist: die Sources chrétiennes, über jeden editorischen Zweifel erhabene, sorgfältig gearbeitete lateinisch-französische Quellenausgaben mittelalterlicher Autoren. Diese und andere Reihen - zu erwähnen ist das reiche Verlagsprogramm in liturgicis - trafen den Nerv der Zeit und entwickelten sich auch zu ökonomischen Erfolgen. Den weltanschaulich-politischen Mittelweg, die Offenheit für alle neuen Strömungen, versuchte man beizubehalten. Dass dies nicht überall auf Wohlgefallen stieß, liegt auf der Hand: die Rolle der römischen Behörden ist in dieser Beziehung eine gänzlich unglückliche. In völliger Unkenntnis dessen, was außerhalb vatikanischer Mauern die Gläubigen umtrieb, setzte man bis zu Beginn der 1960er-Jahre weiterhin auf die vermeintlich bewährten Sanktionsinstrumente, konnte dabei durchaus temporäre Erfolge erzielen, schaufelte aber doch nur am eigenen Grab. Wie überlebensnotwendig der "frische Wind" war, dem das II. Vaticanum die Kirchentüren öffnete, wird nach der Lektüre der letzten Kapitel noch besser verständlich.
Der Namensindex am Ende des Bandes ist nützlich, leider aber nicht über jeden Zweifel erhaben (211: Jean-Louis Tallenay taucht im Index nicht auf, anders als etwa Albert-Marie Avril, dessen Name zwar mehrfach verzeichnet wurde, aber ohne Hinweis auf Seite 211).
Mittelfristig, d.h. nach Öffnung der entsprechenden Archive, darf man auf eine Fortsetzung der ausgezeichneten Arbeit Étienne Fouilloux' für die Zeit nach 1965 mit ihren enormen gesellschaftlichen Umwälzungen gespannt sein.
Anmerkung:
[1] Vgl. zu einer etwaigen Übernahme der Éditions du Cerf durch Yves Congar jetzt auch Étienne Fouilloux: Le père Congar et les Éditions du Cerf. Deux lettres inédites (1937 et 1939), in: Revue d'histoire ecclésiastique de la France 104 (2018), 141-147.
Ralf Lützelschwab