Annette C. Cremer / Matthias Müller / Klaus Pietschmann (Hgg.): Fürst und Fürstin als Künstler. Herrschaftliches Künstlertum zwischen Habitus, Norm und Neigung (= Schriften zur Residenzkultur; 11), Berlin: Lukas Verlag 2018, 392 S., 250 Abb., ISBN 978-3-86732-278-2, EUR 36,00
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Fürst und Fürstin als Künstler, ob zeichnend, malend, drechselnd, entwerfend, komponierend, musizierend oder tanzend, wurden bislang nicht als Regel, sondern als bemerkenswertes, exzentrisches Einzelphänomen verstanden. Die interdisziplinären Untersuchungen des vorliegenden Bandes zeigen hingegen, dass derartige Kenntnisse ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung, der Repräsentation und des Selbstverständnisses von Fürsten und Fürstinnen waren. Einzelne Herrscher gingen sogar bis ins hohe Alter ihren künstlerischen Tätigkeiten nach.
Der Band ist das Ergebnis einer 2014 vom Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur e.V. und von der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel ausgerichteten Tagung. Er versammelt fünfzehn schriftliche Ausarbeitungen der Vorträge sowie drei weitere Aufsätze und folgt der von der Tagung bereits vorgegebenen Aufteilung in vier Sektionen. [1] In den Einführungskapiteln werden die Problem- und Fragestellungen sowie die methodischen Überlegungen und Herausforderungen erläutert. Es folgen Untersuchungen zu Werken von Fürsten und Fürstinnen im Bereich der Architektur, des Kunsthandwerks, der Zeichnung und Dichtkunst sowie abschließend der Musik und des Tanzes. Zeitlich reichen die Beiträge vom 15. bis zum 18. Jahrhundert und behandeln die künstlerischen Betätigungen und Neigungen von Herrschern und Herrscherinnen im nordalpinen und italienischen Raum. Aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität des bisher unzureichend erforschten fürstlichen Kunstschaffens können nur Aspekte dieser wichtigen Fragestellung beleuchtet werden, die richtungsweisende Impulse geben.
Mit Bezugnahme auf die Aktualität herrschaftlichen künstlerischen Dilettantismus am Beispiel des malenden George W. Bush führen Matthias Müller und Klaus Pietschmann in das Thema des Bandes ein und fassen jeden Beitrag kurz zusammen. Ziel der Tagung und des vorliegenden Bandes war es, "herrschaftliche[s] Künstlertum [...] als Ausdruck von bestimmten Normen, Mustern und möglichen Topoi oder als Habitus [zu] bewerten" (14), wofür die vielfältigen Fallbeispiele eine Grundlage bereiten. Erhellend sind besonders die von Annette C. Cremer zusammengefassten "Methoden und Leitfragen" (28), die die Werkzeuge für eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Thema an die Hand geben. Christina Kuhli erläutert anhand von frühneuzeitlichen Traktaten die theoretischen Grundlagen für das idealisierte Verständnis eines Fürsten als "Sammler und Dilettant" (47). Die drei Einführungskapitel bilden den theoretischen Rahmen für die folgenden Beiträge und erheben das Buch über eine Sammlung von Einzeluntersuchungen zu einem Grundlagenwerk.
Die erste Sektion widmet sich der Untersuchung fürstlicher Baumeister und Ingenieure. Am Beispiel Kaiser Maximilians erläutert Wolfgang Lippmann die umfassende wissenschaftliche Ausbildung eines Fürsten und die Bedeutung des Architekturdilettantismus, die sich zum einen aus der Notwendigkeit entsprechender Kenntnisse für die Kriegskunst ergab, zum anderen zur Aufwertung der Taten des Herrschers beitrug. Eindrücklich zeigt sich die nützliche und Ruhm bringende Verbindung von Bautätigkeit und Kriegskunst an den Stadterweiterungsprojekten von Ercole I. d'Este in Ferrara und dem großen Interesse Alfonsos I. d'Este für die Herstellung von Feuerwaffen, denen sich der Beitrag von Elena Taddei zuwendet.
Während Christina Strunck die Publikationen und Bauprojekte Vincenzo Giustinianis als "Nobilitierungsstrategie" (118) des architektonisch versierten und kreativen Marchese herausstellt, legt Sebastian Fitzner am Beispiel zeichnender Fürsten wie Landgraf Moritz von Hessen-Kassel und Kurprinz Christian von Sachsen unterschiedliche Funktionen und Bedeutungsebenen von Architekturzeichnungen dar. Anhand einer eingehenden Untersuchung fürstlicher Elfenbeindrechsler arbeitet Jutta Kappel heraus, dass aufgrund der Komplexität der Herstellung solcher Werke ausgebildete Künstler einen hohen Anteil an den fürstlichen Schöpfungen hatten. Der Beitrag von Annette C. Cremer widmet sich dem weiblichen Kunstschaffen anhand der bisher kaum untersuchten Technik "Découpure", die als gemeinschaftliche Betätigung fürstlicher Damen ausgeübt werden konnte.
Anhand der detaillierten Beschreibung des Zeichenunterrichts von Friedrich Christian von Sachsen gewährt Susanne Müller-Bechtel einen Einblick in die Vermittlung der Zeichenkunst im 18. Jahrhundert. Auch Frauen erhielten Zeichenunterricht, der der Förderung weiblicher Tugend wie Geduld dienen sollte. Erzherzogin Marie Christine von Österreich befeuerte durch ihre Kennerschaft die Sammeltätigkeit ihres Mannes und nahm damit maßgeblich Einfluss auf die Gründung der Albertina in Wien, wie Sandra Hertel darlegt. Das Verfassen italienischer Gedichte war eine Leidenschaft Erzherzog Leopold Wilhelms, der in regem Austausch mit seinem komponierenden Bruder Kaiser Ferdinand III. stand. Aus dem Interesse beider Brüder, die eigene Werke unter Pseudonymen veröffentlichten, resultierte die Gründung der ersten italienischen Akademie in Wien. Dieser Beitrag Renate Schreibers zu Dichtung und Musik schlägt die Brücke zur letzten Sektion des Bandes, die Musik und Tanz behandelt und die meisten Beiträge umfasst.
Die Musikliebe Kaiser Maximilians, die nicht nur den fürstlichen Pflichten, sondern auch einer persönlichen Leidenschaft entsprach, wird von Nicole Schwindt thematisiert. Als Komponist tat sich Guglielmo Gonzaga hervor, veröffentlichte seine Kompositionen jedoch zumeist anonym. Die dadurch erschwerte Zuweisung eigenhändiger Werke steht im Zentrum der Untersuchung Christiane Wiesenfeldts. Britta Kägler und Gesa zur Nieden arbeiten die Notwendigkeit von höfischen Kompositionen und Aufführungen für die herrscherliche Repräsentation und zugleich den hohen Anteil individueller Neigungen der Fürsten heraus, denen sich Hofkünstler anpassen mussten. Gesteigert wird dies noch von Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, dessen musikalische Eskapaden Ursula Kramer zufolge aus seiner persönlichen Entwicklung zu erklären seien. Am Beispiel des in dieser Hinsicht bisher wenig beachteten komponierenden Ludwigs XIII. kann Margret Scharrer unterschiedliche Funktionen des Musikalischen im Leben eines Herrschers und ein sich mit seinen Lebensaltern wandelndes "Kompositionsverhalten" (352) des französischen Königs nachweisen. Der Band schließt mit Überlegungen Christiane Hilles zur Wahrnehmung und Präsenz des fürstlichen Körpers im Rahmen tänzerischer Vorführungen.
Die territorial und zeitlich breit gestreuten Einzeluntersuchungen versammeln eine große Vielfalt künstlerischer und musischer Betätigungsfelder von Fürsten und Fürstinnen und liefern neue Erkenntnisse zu den untersuchten Persönlichkeiten. Umsichtig von den Herausgebern des Bandes zusammengestellt, vermitteln sie zum einen zeitgenössische Vorstellungen und Normen, die in der fürstlichen Ausbildung ihren Niederschlag fanden, und zeigen zugleich die stark individuelle Prägung, die aus persönlicher Leidenschaft, Geschlecht, Religiosität und Tradition resultierte und keinem Muster unterworfen werden kann. Mit dem Tagungsband ist eine hervorragende Grundlage zur intensivierten Erforschung der Frage nach fürstlicher Kunstpraxis geschaffen.
Anmerkung:
[1] Vgl. das Tagungsprogramm auf der Homepage des Rudolstädter Arbeitskreises zur Residenzkultur e.V., https://sites.google.com/site/rudolstaedterak/bisherige-tagungen-1 und den von Christian Katschmanowski und Lena van der Hoven verfassten Tagungsbericht: Fürst und Fürstin als Künstler. Herrschaftliches Künstlertum zwischen Habitus, Norm und Neigung, 09.10.2014-11.10.2014 Wolfenbüttel, in: H-Soz-Kult, 09.01.2015, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5760 (Zugriff jew. 15.11.2018).
Elisabeth Burk