William O. Duba / Russell L. Friedman / Christopher Schabel (eds.): Studies in Later Medieval Intellectual History in Honor of William J. Courtenay (= Recherches de Théologie et Philosophie médiévales - Bibliotheca; 14), Leuven: Peeters 2017, 516 S., ISBN 978-90-429-3393-4, EUR 94,00
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William O. Duba: The Forge of Doctrine. The Academic Year 1330-31 and the Rise of Scotism at the University of Paris, Turnhout: Brepols 2017
Russell L. Friedman: Intellectual Traditions at the Medieval University. The Use of Philosophical Psychology in Trinitarian Theology among the Franciscans and Dominicans, 1250-1350, Leiden / Boston: Brill 2012
Man wird den Herausgebern der vorliegenden Festschrift schwerlich widersprechen können: William J. Courtenay, von 1998-2008 an der Universität von Wisconsin als Professor tätig, gilt zu Recht "as the world's leading authority on the institutional, prosopographical, and doctrinal history of the fourteenth century" (6). Sein Oeuvre sticht sowohl in Bezug auf den Umfang als auch auf die Themenbreite aus dem Einerlei mediävistischer Massenproduktion heraus. Waren es zu Beginn seiner Karriere die kritischen Editionen der liturgischen und ekklesiologischen Traktate des Gabriel Biel, die für Aufsehen sorgten, sind es seit 2002 die Editionen der Rotuli Parisienses, Suppliken Pariser Scholaren an den Papst, die die Forschung substantiell bereichern. In der Liste seiner Publikationen (17-38) fehlt freilich noch ein Werk, auf das die Wissenschaftswelt seit langem wartet: eine Gesamtdarstellung zur Bedeutung der Universität Paris im 14. Jahrhundert. Courtenay hat hierfür selbst durch eine Fülle einschlägiger Artikel die Grundlagen gelegt - und dürfte, sollte sich das Projekt noch verwirklichen lassen, mit Gewinn auf einige in vorliegender Festschrift abgedruckte Artikel zurückgreifen. Die Studien "in honor of William J. Courtenay" umfassen 13, teils sehr umfangreiche Abhandlungen, die allesamt von arrivierten Forschern aus Courtenays exquisiter Schülerschar stammen.
Die eher theologisch-philosophisch ausgerichteten Beiträge behandeln Sachverhalte, die in ihren streng scholastischen Verästelungen ebenso komplex wie schwer nachvollziehbar sind. Davon wussten bereits die Zeitgenossen ein Lied zu singen. Ein Dauerbrenner theologischen Räsonierens mit großem Häresiepotential war die Frage nach der Ewigkeit der Welt. William O. Duba nimmt sich dieser Frage auf über 100 Seiten aus dem Blickwinkel der frühen Skotisten an (Illi solertissimi philosophi erraverunt in multis. The eternity of the world among early scotists, with editions of questions of Hugh of Novocastro and Landolfo Caracciolo, 145-255), bestreitet in der Sache die Existenz grundlegender Unterschiede zwischen den in Paris und Oxford vertretenen Meinungen und liefert eine kritische Edition zweier einschlägiger Quaestionen aus Hugos von Novocastro bemerkenswertem Sentenzenkommentar, der, das wäre zu wünschen, nach dieser Analyse und Teiledition innerhalb der Forschung hoffentlich eine größere Rolle als bisher spielen wird. Dies gilt ebenso für Landolfo Caracciolos Sentenzenkommentar, der nicht nur im Artikel von Duba, sondern auch in demjenigen von Chris Schabel von zentraler Bedeutung ist. Schabel analysiert die Diagramme und Marginalglossen in der handschriftlichen Überlieferung von Caracciolos Kommentar und zeigt auf, dass er zu den ersten gehört, bei denen eine direkte Reaktion auf die Lehren des Henry of Harclay, Kanzler der Universität Oxford, nachweisbar ist (Flowcharts, diagrams, and missing links: Landolfo Caracciolo vs. Henry of Harclay on Indivisibles, 257-284). Caracciolo verwirft zwar Harclays Atomismus, dass er es tut, zeigt aber einmal mehr, wie stark man in Paris noch zu Beginn des 14. Jahrhunderts das zur Kenntnis nahm, über was in Oxford diskutiert wurde. Auch hier ist dem Artikel die kritische Edition der entsprechenden Textpassagen (mitsamt Diagrammen) aus Caracciolos Sentenzenkommentar beigegeben.
Vier Beiträge beruhen weniger auf philosophischen denn auf diplomatischen Quellen.
Thomas Sullivan zeigt einmal mehr die Leistungskraft prosopographischer Studien und untersucht Inhaber und Funktion eines Amtes, das in den Universitätskollegien monastischer Orden von großer Bedeutung war: den prior studentium (Pope Benedict XII's prior studentium, a little-known monastic official, 417-436). Die päpstlichen Reformen des späten Mittelalters, darunter diejenigen des Zisterzienserpapstes Benedikt XII. (1334-1342) brachten Mönche aus dem Kreuzgang an die Universitäten - in der Hoffnung, universitäre Bildung würde den großen Reformvorhaben zugutekommen. Benedikt verfügte unter anderem, dass das Provinzkapitel für jedes studium generale einen Abt oder Prior ernennen solle: Hauptaufgabe war die Sicherstellung klösterlicher Disziplin auf Seiten der (sehr) jungen Mönchsstudenten. Eine Auswertung der Protokolle von Provinz- und Generalkapiteln zeigt, welches Aufgabenspektrum den priores studentium oblag. Bewährten sie sich in dieser Funktion, standen den priores studentium weitere Karrierewege offen. Von den 15 namentlich bekannten Amtsträgern in Oxford erlangten einige einflussreiche Stellungen: Adam Easton etwa wurde Kardinal, Edmund Kirton Abt von Westminster.
Andrew Larsen liefert einen Überblick über Leben und Werk einer "important but largely neglected figure" (437), Henry Crumpe, und wandelt damit in den Spuren seines akademischen Lehrers William Courtenay, der mehr als einmal dazu beigetragen hatte, bisher unbekannte bzw. unterschätzte Persönlichkeiten des (späten) Mittelalters wieder zurück ins Rampenlicht zu holen (The Career and Condemnations of Henry Crumpe, O. Cist., 437-466). Bekannt war Crumpe bisher vor allem als erbitterter Gegner John Wycliffs und der Lollarden. Sein eigener Kampf mit der kirchlichen Hierarchie aufgrund von Häresie-Vorwürfen war bisher aber kaum einmal Gegenstand der Forschung. Die Lollarden hatten in dem aus Irland stammenden Zisterzienser einen ernstzunehmenden Gegner, der Dinge klar beim Namen nannte: vocavit haereticos Lollardos. Und genau dies brachte den Rektor der Universität Oxford auf den Plan, der durch diese Vorwürfe den universitären Frieden gefährdet sah. Die Anhänger Wycliffs hielten sich freilich auch nicht zurück und verunglimpften Crumpe in Gedichten und Pamphleten: dicta tua non valent unum stercus canis. Der Vorwurf, häretisches Gedankengut zu verbreiten, bezog sich freilich nicht auf Crumpes anti-lollardische, sondern anti-mendikantische Positionen. Ihm waren die Beichtprivilegien der Bettelorden ein Dorn im Auge. Crumpe war nicht der erste, der diese Problematik ansprach. Auch der Erzbischof von Armagh, Richard FitzRalph, hatte dies 1350 in Avignon getan - erfolglos. Im Mai 1392 musste sich Crumpe vor einer Prälatenversammlung in Stamford verteidigen. Seine Verteidigungsstrategie beruhte auf der Behauptung, er habe die zehn ihm zur Last gelegten propositiones so niemals getätigt - ob er als Häretiker verurteilt wurde, ist unklar. Ein Gelehrter war Crumpe nicht: aufs große Ganze gesehen, war er als Kontroverstheologe, als "one of the leading anti-mendicant voices" (466) im späten 14. Jahrhundert aber von einiger Bedeutung.
Der Rotulus, den die Boten der Universität dem Papst am 9. November 1403 in Marseille Papst Benedikt XIII. präsentierten, war der erste, den die Pariser Gelehrten in ihrer Gesamtheit verfasst hatten. Üblich war es, ein solches Schriftstück gleich nach der Krönung eines neuen Pontifex zu übergeben und darin um die Zuweisung von Pfründen zu bitten. Der Rotulus, den Eric D. Goddard behandelt, traf allerdings erst neun Jahre nach der Krönung Benedikts XIII. ein (The magnus rotulus of the University of Paris (18 October 1403): date and priority of petition, 467-487). 1394 hatte man den Verzicht auf Abfassung eines solchen Rotulus noch politisch begründet: Scholaren würden in Ermangelung von Pfründenzuweisungen - so der Gedanke - alles daran setzen, um zum Ende des seit 1378 andauernden Schismas beizutragen. Dieses Vorgehen war nur zum Teil erfolgreich: einzelne Gelehrtengruppen wagten es nämlich trotzdem, beim Papst qua Rotulus anzuklopfen. Die Situation änderte sich im Mai 1403, als Frankreich wieder ins Lager Benedikts XIII. umschwenkte. Der Sprecher der universitären Gesandten in Avignon war Jean Gerson - eine gute Wahl, gelang ihm doch die Rückdatierung des Rotulus mit seinen 1212 Suppliken ins erste Pontifikatsjahr. Goddard korrigiert diese Rückdatierung und verlegt sie vom 21. auf den 18. Oktober 1403 vor: ein kleiner, aber gewichtiger Unterschied. Mit einem solchen Datum waren die Pariser Scholaren klar im Vorteil gegenüber ihren Mitkonkurrenten aus anderen Universitäten (vgl. hierzu die Auflistung der von französischen Universitäten unter Benedikt XIII. von 1394 bis 1404 eingereichten Rotuli, 485-487). Das gute Einvernehmen zwischen Papsttum und Universität, die alte do ut des-Politik, wurde so wieder hergestellt.
Der Band, der durch vier Indices erschlossen wird (Index nominum; Index manuscriptorum; Index biblicus; Index rerum christianarum), spiegelt die Vitalität und Internationalität dessen wider, was frühere Generationen unter dem Begriff "Geistesgeschichte" subsumiert hätten. Jeder Beitrag befindet sich auf der Höhe der aktuellen (nicht nur englischsprachigen) Forschung und würdigt so in angemessener Weise eine Gelehrtenpersönlichkeit, der die Mediävistik sehr viel verdankt.
Ralf Lützelschwab