Uwe Walter: Politische Ordnung in der römischen Republik (= Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike; Bd. 6), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, X + 308 S., ISBN 978-3-486-59696-0, EUR 24,95
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Die Beschäftigung mit der Geschichte der römischen Republik im Allgemeinen und ihrer politischen Ordnung im engeren Sinne stellt für die althistorische Forschung kaum Neuland dar. Aufbauend auf eine reichhaltige Forschungstradition wurde dieses Thema gerade in den letzten Jahrzehnten besonders intensiv bearbeitet, was dazu geführt hat, dass sich unser Bild von der römischen res publica nunmehr in beträchtlichem Umfang erweitert und differenziert hat. [1] Über diese lange und reichhaltige Forschungsgeschichte sowie aktuelle Arbeitsansätze einen Überblick zu gewinnen und diesen zugleich sachgerecht und dennoch für Einsteiger in die Thematik nicht überfordernd zu präsentieren, ist ohne Zweifel kein leichtes Unterfangen. Eben dies leisten soll indes das hier zu besprechende Buch aus der Feder Uwe Walters, der an erwähnten neueren Forschungen zur politischen Kultur der römischen Republik bekanntlich selbst erheblichen Anteil hatte und hat. [2]
Das im Rahmen der "Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike" erschienene Buch ist, wie die anderen Titel der Reihe, in drei Hauptabschnitte gegliedert, nämlich einen "Enzyklopädischen Überblick" (1-97), "Grundprobleme und Tendenzen der Forschung" (99-238) sowie eine umfangreiche Liste mit Quelleneditionen und Forschungsliteratur (239-292). Ein knapper Anhang zu bibliographischen Abkürzungen und ein Register schließen den Band ab (293 bzw. 295-308).
Unter der 'politischen Ordnung der römischen Republik' versteht Walter zunächst die institutionelle Ordnung der Republik, bestehend aus Magistraturen, Volksversammlungen und Senat, in ihrem Zusammenwirken, indes auch "soziale Beziehungen, Einstellungen, Handlungsroutinen und Prägungen" (2). Dabei konzentriert sich Walter in vorliegendem Band vor allem auf die politische Ordnung im Inneren der Republik sowie in Italien. Der Aspekt der römischen Außenpolitik jenseits der Halbinsel wird lediglich gestreift, ebenso das Themenfeld der römischen Religion, das römische Militär als Gegenstand sui generis sowie die römische Gesellschaft. Dies ist nachvollziehbar, da diese Themen jeweils Gegenstand anderer Bände der Reihe sind bzw. sein werden (vgl. 11). [3] Es ist zudem erklärtermaßen nicht die Absicht Walters gewesen, eine umfassende Einführung mitsamt detaillierter Übersicht zum Verlauf der römischen Geschichte zu bieten. Dem zurückhaltend formulierten Hinweis des Autors, nach dem "Grundkenntnisse über den Verlauf der Geschichte der römischen Republik [...] für das Verständnis" des im Band "Dargelegten höchst hilfreich" seien (V), kann sich der Rezensent nur anschließen. Für eine wirklich gewinnbringende Auseinandersetzung mit dem Band dürften solche Kenntnisse im Grunde unabdingbar sein. [4]
Denn nach einer auf das Wesentliche beschränkten Übersicht zu den Stationen der römischen Expansion, in der zudem wichtige Schlüsselbegriffe geklärt werden, führt Walter im "Enzyklopädische[n] Überblick" in die durchaus komplexen Themenbereiche "Erbe der Königszeit und der frühen Republik", "Hierarchie, Integration und Machtgenerierung", "Institutionen und Akteure der res publica", "Politische Kultur, politische Willensbildung, politische Stile in der res publica" sowie "Dehnungen und Wandlungen - Störungen und Katastrophen" ein, bevor ein "Kurzer Rückblick" den ersten Teil des Bandes abschließt.
Alle jene Unterkapitel - wie auch die anschließenden Ausführungen zu Forschungsproblemen und -tendenzen - bewegen sich durchgängig auf Höhe der aktuellen Forschung und stellen gewiss für alle an der politischen Kultur der Republik Interessierten eine intellektuell anregende und gewinnbringende Lektüre dar. Schon aufgrund des begrenzten Raumes dieser Besprechung, ist hier nicht der Ort für eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Aspekten, die Walter aufwirft, so dass einige Hinweise genügen müssen.
Eine Schwerpunktsetzung lässt sich in der Darstellung der politischen Institutionen, insbesondere der Magistraturen erkennen. Entgegen manchen staatsrechtlichen Handbüchern, die bisweilen mehr "Systematisierung und Professionalisierung" unterstellen, "als ein Römer seinerzeit wohl hätte erkennen wollen", legt Walter Wert darauf, sowohl die historische Entwicklung einzelner Ämter hervorzuheben, die sich über die Generationen hinweg mit Blick auf Aufgabenbereich oder Stellenzahl erheblich veränderten, als auch die Abneigung der Römer, ein fest kodifiziertes, funktional hoch differenziertes und mithin professionalisiertes System der öffentlichen Verwaltung zu schaffen.
Auf die Übersicht zu den Institutionen und Akteuren der res publica folgen pointierte Ausführungen zur politischen Kultur der römischen Republik (72-79) sowie zur Flexibilität der politischen Ordnung, zu Regel- und Kompetenzkonflikten sowie zu Verfahren der Konfliktlösung (79-96). Letztere konnten indes nicht verhindern, dass im 2. Jahrhundert die "Grenzen der Anpassung" jener Ordnung erreicht wurden, was im Laufe des ersten Jahrhunderts schließlich zu deren Erosion führte. Diese Entwicklung skizziert Walter durch den Hinweis auf "Basisprozesse", wie Binnenwanderungen in Italien und zunehmenden wirtschaftlichen Druck auf die bäuerliche Mittelschicht. Diese Phänomene hätten Angehörige der Nobilität, die ihrerseits außenpolitisch lange Zeit sehr erfolgreich agierten, zwar nicht vollkommen ignoriert, wären ihnen jedoch, wenn überhaupt, lediglich in Gestalt einer jeweils "punktuellen Kraftentfaltung ohne längerfristige Perspektive" begegnet (87). In diesem Zusammenhang warnt Walter zu Recht davor, aus der Rekonstruktion von kritischen Rahmenbedingungen bereits vollumfängliche Erklärungen für die tatsächlichen "krisenhaften Entladungen" (89) herzuleiten, die sich ab dem letzten Drittel des 2. Jahrhunderts - aus heutiger Perspektive - nicht mehr übersehen lassen. Hinzutreten müssten in jedem Fall "historische Ereignisanalyse[n]", die etwa "personale Konstellationen und situative, persönliche Entscheidungen" in den Blick nehmen.
Der zweite Hauptteil zu "Grundprobleme[n] und Tendenzen der Forschung" (99-238) stellt den umfangreichsten Abschnitt des Buches dar. Hier diskutiert Walter in pointierter Weise Hauptlinien der Forschung zu den im ersten Teil dargelegten Problemfeldern, wobei er nicht nur forschungsgeschichtlich weit ausgreift, sondern sich auch darum bemüht, die althistorische Forschung zur römischen Republik in ihrer Aktualität sowie in ihrer internationalen Bandbreite zu berücksichtigten. Der Forschungsteil ist über Verweise eng mit der anschließenden Bibliographie verzahnt, was die Benutzung im Alltag erheblich vereinfachen dürfte. Walter referiert und diskutiert indes nicht nur vorliegende Studien und weist auf noch laufende Projekte hin, sondern zeigt auch an mehr als einem halben Dutzend Stellen Leerstellen der Forschung auf, was nicht nur (Post-)Doktoranden auf der Suche nach einem Forschungsthema zur republikanischen Geschichte mit Interesse registrieren werden.
Die die 'Enzyklopädie' beschließende Bibliographie (239-292) ist wiederum nach den im ersten Teil etablierten Haupt- und Unterkapiteln geordnet und befindet sich auf aktuellem Stand der internationalen Republik-Forschung. [5]
Uwe Walters Beitrag zur Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike bietet keine wirkliche Angriffsfläche für fundierte Kritik. Leerstellen sind letztlich auf die nachvollziehbare Konzeption der Gesamtreihe zurückzuführen und verringern zudem in keinem Fall den Gewinn, den jeder an der politischen Ordnung Roms Interessierte aus den Ausführungen schöpfen kann. Eine klassische Einführung wird bewusst nicht geboten, doch den Anspruch eine nicht zu voluminöse, gut lesbare und dabei auch reichhaltige Übersicht zu Forschungsstand, -geschichte und aktuellen Arbeitsfeldern zu bieten, löst der Band ein. Studierende, die tatsächlich noch am Beginn ihrer Beschäftigung mit der Thematik stehen, sollten sich wohl zunächst ein solides Basiswissen erarbeiten, bevor sie sich mit Walters Buch auseinandersetzen. Für fortgeschrittene Studierende und hauptberuflich Lehrende und Forschende wird der Band wiederum sicher über Jahre hinaus ein überaus hilfreiches Handbuch darstellen, das der Komplexität des Themas gerecht wird.
Anmerkungen:
[1] Siehe hierzu, neben dem umfassenden Forschungsüberblick in dem vorliegenden Band selbst (99-238), die Hinweise in Karl-Joachim Hölkeskamp: Reconstructing the Roman Republic, Princeton 2010 oder nun: ders.: LIBERA RES PUBLICA. Die politische Kultur des antiken Rom. Positionen und Perspektiven, Stuttgart 2017.
[2] Neben den gemeinsam mit Hans Beck herausgegebenen Fragmenten römischer Historiographen der Republik (Die Frühen römischen Historiker, 2 Bände, Darmstadt 2001-2004) und Uwe Walters einflussreicher Habilitationsschrift (Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur der römischen Republik, Frankfurt am Main 2004) sei, stellvertretend für eine Vielzahl instruktiver Aufsätze, an dieser Stelle ein einschlägiger Sammelband genannt: Gesetzgebung und politische Kultur in der römischen Republik, hg. von Uwe Walter, Heidelberg 2014.
[3] Siehe die bereits erschienenen Bände: Ernst Baltrusch: Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike; 7), München 2008; Christian Mann: Militär und Kriegführung in der Antike (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike; 9), München 2013; Bernhard Linke: Antike Religion (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike; 13), München 2014. Einen künftigen Band zur römischen Gesellschaft erwähnt Walter in vorliegender Einführung (11).
[4] In den letzten Jahren sind neuere Einführungen hierzu erschienen. Siehe besonders: Michael Sommer: Römische Geschichte. Band 1. Rom und die antike Welt bis zum Ende der Republik, Stuttgart 2013; Wolfgang Blösel: Die römische Republik. Forum und Expansion, München 2015.
[5] Erst nach dem hier besprochenen Buch erschienen, als Übersicht zur Stadtgeschichte Roms in Verbindung mit der politischen Kultur der Republik jedoch sehr hilfreich, ist: Penelope Davies: Architecture and Politics in Republican Rome, Cambridge 2017.
Simon Lentzsch