Adrastos Omissi: Emperors and Usurpers in the Later Roman Empire. Civil War, Panegyric, and the Construction of Legitimacy (= Oxford Studies in Byzantium), Oxford: Oxford University Press 2018, XX + 348 S., 5 s/w-Abb., eine Kt., ISBN 978-0-19-882482-4, GBP 80,00
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Adrastos Omissi nimmt sich in seiner vorliegenden Monografie, die auf eine an der Universität Oxford eingereichte Dissertation aus dem Jahr 2013 zurückgeht, einer wichtigen und zumindest in der jüngeren Forschung viel diskutierten Frage an: der nach der Grundlage kaiserlicher Gewalt und Legitimität, besonders in der Spätantike, und nach dem Verhältnis zwischen Usurpation und 'legitimer' Macht. [1] Diese Fragestellung ist, gerade in anhaltender Ermangelung einer systematischen und tiefgehenden monografischen Untersuchung der Position und Rolle des spätantiken Kaisers analog zu Fergus Millars' "The Emperor in the Roman World", von hoher Aktualität und Omissis Studie leistet einen wertvollen Beitrag.
Sein Buch, das keineswegs als eine 'Geschichte' oder Analyse der Usurpatoren des 4. Jahrhunderts zu lesen ist, sondern als eine gehaltvolle und inspirierende Untersuchung einer spezifischen Quellengattung, der Panegryik, ist in zwei große Abschnitte unterteilt. Der erste Teil (3-70) ist dabei deutlich kürzer; hier behandelt Omissi in zwei Kapiteln sein Grundproblem, skizziert die Besonderheiten und Probleme kaiserlicher Macht in der Spätantike und argumentiert überzeugend, dass gerade die von der (sehr) älteren Literatur verschmähten panegyrischen Schriften eine wichtige Quelle für unser Verständnis des Kaisertums sind. Der zweite Teil (71-300) besteht aus einer Reihe von chronologisch angeordneten Fallstudien der Darstellung verschiedener Usurpationen in den Panegyrici Latini. Die Studie wird durch zwei Appendices, die sich den Quellen selbst (307-312) sowie Überlegungen zur Quantifizierung der Usurpationen (313-315, mit einer nützlichen Auflistung aller als Usurpatoren [2] charakterisierten Herrscher) widmen, sowie durch ein knappes Register (339-348) beschlossen.
Omissi skizziert zunächst eine kurze Geschichte der Entwicklung des imperialen Amtes von Augustus bis ins 3. Jahrhundert (3-40) und beginnt mit zwei programmatischen Feststellungen: Zunächst, dass "Roman imperial power can only be properly understood in the context of usurpation" (3), was daraus folge, dass "from the moment of its creation, Roman imperial power was power usurped." (4) Eine progressive Ausweitung des Kandidatenfeldes für das Kaisertum ("superfluity of potential candidates") - von Augustus auf Mitglieder seiner Familie, dann auf andere Senatoren, Ritter und schließlich auf alle, die Aussicht auf militärische Sicherheit versprachen - trug zur Instabilität der Kaiserposition bei und immer dann, wenn keine reibungslose Übergabe des Amtes möglich war, wurde die Nachfolge prekär. Ein Machtvakuum musste in dieser Sicht geradezu zwangsläufig zu einer Pluralität an 'Bewerbungen' führen. Dieser Umstand wurde laut Omissi durch drei weitere Faktoren begünstigt: die Aufrechterhaltung der meritokratischen Fiktion des Kaisertums (17), die Abwesenheit objektiver Kriterien von Legitimität (17f.), sowie die Akzeptanz des Mehrkaiserprinzips seit Marc Aurel oder, spätestens, der Mitte des 3. Jahrhunderts (19). Das Resultat war eine "chaotic and unregulated succession" die zu nicht weniger als 103 Usurpationen zwischen Augustus und dem Jahr 450 n.Chr. führte (20, mit Grafik). Vielleicht etwas polemisierend aber sicher nicht unrichtig kann Omissi zuspitzen, dass "usurpation had come to define Roman imperial power" (21). Auf das zuerst von Egon Flaig für den Prinzipat propagierte, mittlerweile jedoch auch für die Spätantike aufgezeigte Akzeptanzmodell römischer Herrschaft rekurrierend [3], argumentiert er, dass es letztlich nur moralisch-performative Kriterien waren, die den legitimen Kaiser vom Tyrannen unterschieden: "Contemporaries looked to the bearing of their rulers because it gave them a way in which to measure something which was otherwise unmeasurable; the suitability of their ruler for the throne" (27). Gleichzeitig ist sich Omissi jedoch des Phänomens bewusst, dass auch 'gute' Herrscher unterliegen und durch die Siege anderer zu 'Tyrannen' werden können (HA Pesc. Nig. 1.1: quos tyrannos aliorum victoria fecerit). Legitimität ist also, mit anderen Worten, fluide; sie kann bloß rückwirkend konstruiert oder attestiert werden, "but never in a predictive fasion, providing clear rules for the future" (28f.).
Um dieses Modell des Kaisertums zu demonstrieren, bedient sich Omissi vornehmlich der panegyrischen Literatur des 3. und 4. Jahrhunderts, deren (mittlerweile zunehmend anerkannte) Bedeutung als Quelle er sowohl allgemein wie insbesondere in Hinsicht auf die Konstruktion von Legitimität betont (41-69). [4] In seinem Betrachtungszeitraum für die Jahre 289-389 kann er dabei auf nicht weniger als 48 Texte zurückgreifen (s. die Auflistung in Appendix 1), die, in ihrer Gesamtheit, größeres Interesse an Usurpationen und Fragen der Legitimität aufweisen, als andere Quellengattungen (46f.). Sie gaben die "party line" der kaiserlichen Zentrale wieder (61) und ihre schiere Repetition sollte die offizielle Sichtweise festigen. [5] Besonders verdienstvoll ist dabei das nuancierte Vorgehen, dass die Panegyrik nicht nur auf den heutigen Erhaltungszustand als Text reduziert, sondern sie konkret als Teil einer ideologisch aufgeladenen rituellen Inszenierung von Kaisertum versteht. Omissi stellt mithin berechtigterweise den performativ-zeremoniellen Charakter von Panegyriken in den Vordergrund, die ursprünglich eben im Rahmen öffentlicher Zeremonien vorgetragen, ja: aufgeführt wurden. Dabei ist es wichtig, mit Omissi den partizipativen Aspekt der Panegyrik zu betonen, selbst wenn dies auf den ersten Blick konterintuitiv erscheinen mag. Kaiser, Redner und Zuhörer waren Akteure in ein und demselben performativen Akt, der sinnvollerweise als Akzeptanzritual gesehen werden muss. Da das kaiserliche System an sich inhärent instabil war und folglich in Abwesenheit objektiver Legitimitätskriterien darauf angewiesen war, akzeptiert zu werden, wurde die Panegyrik zu einem Kernritual, welches "that most vital of political fictions in the Roman Empire" Ausdruck verlieh, nämlich "that the emperor governed through the consensus omnium [...] and by dedicating themselves to an active participation in this fiction both orator and audience united themselves to a political order." (62) Seine hervorgehobene Rolle zeigt sich somit nicht zuletzt in der schieren Repetition: Kaiser und Hof müssen panegyrische Vorträge hundertfach gehört haben.
Vor diesem Hintergrund widmen sich anschließend sechs Kapitel unterschiedlichen Usurpationsversuchen und zeigen, wie die jeweiligen Panegyriker sowohl erfolgreiche wie auch gescheiterte Kaiserkandidaten von Carausius (75-102) über Konstantin, Maximian, Maxentius und Licinius (103-152), Magnentius und Vetranio (153-192), Julian (193-222), Procopius (223-254) bis hin zu Magnus Maximus und Eugenius (255-290) in ihren Vorträgen darstellen. Obschon (oder gerade weil?) diese Fallstudien den größten Teil des Buches ausmachen und eine Fülle von feinfühligen Interpretationen und interessanten Einzelergebnissen beinhalten, können sie hier kaum erschöpfend rekapituliert werden. Es sei allerdings auf die überzeugende Analyse der Rolle Vetranios bei der Erhebung des Magnentius (163-192) hingewiesen, die sich mit Omissi gleichsam als 'loyal opposition' charakterisieren ließe; die 'Usurpation' des Vetranio wurde bezeichnenderweise in einer singulären Episode beendet, die wohl als bewusst inszenierte Zeremonie gedeutet werden muss (167f.). Wichtig ist ebenso der Hinweis auf die Reichweite der 'offiziellen' julianischen Sichtweise selbst bei sonst verlässlichen Autoren wie Ammian, die dazu führt, dass die am besten dokumentierte Usurpation des 4. Jahrhunderts gleichzeitig auch die mit den größten Ambivalenzen ist. Julians letztlich erfolgreiche Usurpation ist ein besonders augenfälliges Beispiel für die grundsätzliche Quellenproblematik in Bezug auf Usurpatoren: Die Panegyrik ist für die Rekonstruktion der Ereignisse, wie Omissi selbst betont, häufig nutzlos, wenn man sie mit ihm als eine Art Memorialstrafe, eine performative damnatio memoriae interpretiert (36-39; konzise auf Seite 303 zusammengefasst [6]). Die julianischen Echos bei Ammian und Libanios zeigen, wie einflussreich diese offizielle Sicht sein konnte und warum das Eruieren verlässlicher Usurpationsnarrative so herausfordernd ist.
Überzeugend ist schließlich auch Omissis Umgang mit einigen bemerkenswerten Abwesenheiten. Die vollständige Elidierung des Theodosius in Ausonius' gratiarum actio für Gratian nimmt Omissi gegen die traditionelle Sicht und die übrigen Quellen als Anlass zur Vermutung, Theodosius habe eine "unorthodox route to power" genommen (258-263, Zitat 263) und usurpiert. Ein close reading des Panegyrikus des Pacatus zeigt schließlich, wie die auch in anderen Medien sichtbare Marginalisierung der valentinianischen Dynastie durch Theodosius sich im Panegyrikus niederschlägt (263-290). An letzterem Beispiel zeigt sich auch besonders gut eines der Hauptresultate von Omissis Studien: In der Panegyrik werden Usurpatoren und Usurpationen keineswegs unterschlagen oder nur am Rande behandelt. Im Gegenteil: Sie sind essentieller Bestandteil der panegyrischen Darstellung, denn durch die bewusste Abgrenzung des 'schlechten' Tyrannen vom 'guten' Kaiser erfolgt die Konstruktion von Legitimität. Gleichwie einzelne Rhetoren natürlich individuelle Strategien im Umgang mit unterschiedlichen Ereignissen erdachten, bleibt nach der Lektüre dieses Werkes ein verbindender Faktor: "a compulsive need to enact, again and again, a story of tyranny defeated, of vice overcome by virtue, and of order restored by the destruction of chaos. [...] Emperors wished to conquer the past, just as they had conquered their enemies." (304) Dieser Befund hebt sich deutlich von der traditionellen, wiewohl in jüngerer Zeit bereits stark nuancierten [7], Sichtweise ab, Bürgerkriege seien den Römern ein Horror gewesen; der Sieg über Usurpatoren ist in der Panegyrik ein weitaus imposanter inszenierter Sieg als derjenige über äußere Feinde, denn erst in der Niederwerfung der Tyrannen erwies sich der Kaiser als dignus imperii.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu für den Bereich der Spätantike besonders die jüngsten Beiträge in Johannes Wienand (Hg.): Contested Monarchy: Integrating the Roman Empire in the Fourth Century AD (= Oxford Studies in Late Antiquity), Oxford 2015 sowie den Forschungsüberblick bei Omissi, bes. 34-39.
[2] Zu Omissis Definition s. 34; als Usurpator sei demnach zu verstehen, "[who] is declared [emperor] while another emperor is still ruling without the express consent of that ruler" bzw. wer die Macht ergreift "in the wake of an imperial assassination and can be demonstrated to have been involved in that assassination - to kill an emperor and take power is to be a usurper."
[3] Für die Spätantike s. Steffen Diefenbach: Frömmigkeit und Kaiserakzeptanz im frühen Byzanz, in: Saeculum 47 (1996), 35-66 sowie bes. Rene Pfeilschifter: Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole, Berlin / Boston 2013.
[4] So bereits Mary Whitby (ed.): The Propaganda of Power. The Role of Panegyric in Late Antiquity, Boston / Leiden 1998; Christian Ronning: Herrscherpanegyrik unter Trajan und Konstantin. Studien zur symbolischen Kommunikation in der römischen Kaiserzeit, Tübingen 2007; Meaghan McEvoy: Child Emperor Rule in the Late Roman West, AD 367-455, Oxford 2013; zuletzt auch Sven Greinke: Landschaft und Stadt als literarisierte Räume in den Panegyrici Latini der Tetrarchie, Berlin 2017. Vgl. auch die fast zeitgleich erschienene Sammlung von Einzelstudien Diederik P.W. Burgersdijk / Alan J. Ross (eds.): Imagining Emperors in the Later Roman Empire, Leiden / Boston 2018.
[5] Vgl. 272: "A panegyric did not tell the emperor what the audience actually thought but rather told the audience what they ought to think."
[6] Vgl. Adrastos Omissi: Damnatio memoriae or creatio memoriae? Memory sanctions as creative processes in the fourth century AD, in: Cambridge Classical Journal 62 (2016), 170-199.
[7] Vgl. z.B. jetzt die Beiträge in Henning Börm / Marco Mattheis / Johannes Wienand (eds.): Civil War in Ancient Greece and Rome. Contexts of Disintegration and Reintegration, Stuttgart 2016.
Christian Rollinger