Georg Jostkleigrewe (Hg.): Der Bruch des Vertrages. Die Verbindlichkeit spätmittelalterlicher Diplomatie und ihre Grenzen (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 55), Berlin: Duncker & Humblot 2018, 416 S., ISBN 978-3-428-15454-8, EUR 79,90
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Spätmittelalterliche Diplomatie galt lange Zeit als nicht existent, eine heute als Außenpolitik bezeichnete Kommunikation über Grenzen einzelner Herrschaftsgebilde hinweg als anachronistisch (so auch der Herausgeber, 18). Mittlerweile nutzt die Forschung den Begriff der Diplomatie auch für vormoderne Kommunikation zwischen Herrschaftsträgern und -verbänden, so auch der hier zu besprechende Sammelband. Er geht zurück auf eine Tagung vom September 2014, versammelt 13 Beiträge und fragt grundsätzlich danach, wie verbindlich spätmittelalterliche Diplomatie war und wo ihre Grenzen lagen.
Damit und mit den Problemen der Erforschung dieser äußerst vielschichtigen Verbindlichkeit beschäftigt sich Georg Jostkleigrewe im einleitenden Beitrag (9-39). Er stellt dabei heraus, dass "der Bruch des Vertrags in den meisten Fällen nicht das Ende der Beziehungen, sondern den Anfang neuer Verhandlungen" dargestellt habe (13). Insofern sei aus den Quellen immer auch ein neuer Vertragsschluss immanent in die Kommunikation eingeschrieben. Im Gegensatz zur älteren Diplomatiegeschichte ergebe sich der Sinn des Vertragshandelns nicht nur aus den auf materiellen Zuwachs hin ausgerichteten Zielen der Parteien, sondern sei durchweg prozessual gestaltet und zu verstehen.
Als Gegenstand der Forschung umfasst die Verbindlichkeit der Diplomatie historische und sozialwissenschaftliche Ansätze der Institutionentheorie und Kategorien von Vertrauen, Freundschaft und Treue (14-17). Es geht aber auch um die Analyse der historiografischen sowie publizistischen Beobachtung von Vertragsschlüssen und Vertragsbrüchen, und das in sowohl intra- als auch interkulturellen Konstellationen (32).
Die versammelten Beiträge kreisen um drei Schwerpunkte: Erstens um die Frage nach einer idealtypischen Form von Diplomatie, indem sie nach Vertragsschlüssen und Vertragsbrüchen zwischen spätmittelalterlichen Souveränen fragen. Gesa Wilankowski untersucht Vertragsschlüsse, die aus dem französisch-habsburgischen Konflikt um die burgundischen Niederlande zur Zeit Maximilians I. hervorgingen. Jean-Marie Moeglin befasst sich mit den zwei Verträgen, mit denen der Hundertjährige Krieg zu einem endgültigen Abschluss gebracht werden sollte. In Brétigny-Calais 1360 und Troyes 1420 ließen sich allgemeine Muster von Verträgen der Zeit des Mittelalters wiederfinden. Stéphane Péquignot analysiert umfassend die Verträge zwischen Aragon und Kastilien sowie zwischen Aragon und Frankreich.
Den zweiten Schwerpunkt bilden Beiträge zum Thema Vertragsschluss und Vertragsbruch im Mittelmeerraum. Wirkten sich inter- und intrakulturelle Konstellationen darauf aus? Malika Dekkiches blickt auf Verträge der mamlukischen Sultane mit den türkischen Herrschern von Karaman. Nach einer Klärung der theoretischen Grundlagen von Krieg und Frieden im Islam (129-137), beschreibt sie die Invasion(en) Siziliens 860/1456 durch die Herrscher von Karaman und fragt nach den Mechanismen des "Peace Making" im Islam. David Crispin untersucht die Darstellung christlich-muslimischer Verträge in den Chroniken zum Ersten Kreuzzug. Wilhelm von Tyrus, die Gesta Francorum, Raimund von Aguilers, Albert von Aachen, Peter Tudebode und Fulcher von Chartres bieten eine vielstimmige Überlieferung, die Crispin im Hinblick auf interreligiöse Abkommen befragt. Martin Marko Vučetić untersucht das Abkommen zwischen Kaiser Manuel I. Komnenos und Sultan Kilic Arslan II. von 1161/62 bezüglich der Mechanismen, die der Absicherung der Verträge dienten. Absicherung und Nichterfüllung vertraglicher Bestimmungen spielen ebenfalls eine Rolle im Beitrag von Sebastian Kolditz, der die byzantinisch-venezianischen Verträge des Spätmittelalters untersucht.
Den dritten und letzten Schwerpunkt bilden Beiträge zu grenzüberschreitender Diplomatie und zu Vertragsbeziehungen innerhalb von Herrschaftsverbänden in Mittel- und Nordeuropa. Dabei wird der Blick auf die Beziehungen zwischen Herrschern und Beherrschten gelenkt. Der Beitrag von Anja Thaller beschreibt und analysiert die Konflikte zwischen den Patriarchen von Aquileja mit ihren Vögten, den Grafen von Görz, in denen es mehrfach zur Gefangennahme von Patriarchen gekommen war und sowohl Eide als auch juristische Formeln in den Verträgen von Relevanz waren, während Julia Burkhardt über den Umgang mit Verträgen über die Thronfolge zwischen den jagiellonischen Königen Polens mit ihren Großen handelt, bei denen es um "Formen und Normen politischer Handlungsspielräume" (290) ebenso ging, wie um die Verbindlichkeit der Verträge im politischen Diskurs der 1420er-Jahre (300). Sebastian Kubon untersucht den Bruch des Vertrags von Sallinwerder 1398 zwischen dem Deutschen Orden und dem litauischen Großfürsten Vytautas und fügt seinem Beitrag die Edition zweier Briefe aus dem Ordensfolianten 3 (XX. Hauptabteilung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin) bei, die der Hochmeister Konrad von Jungingen 1401 an die Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz und den Herzog von Österreich sowie an die Herzöge von Sachsen und Geldern sandte.
Wie man den Vorwurf des Vertragsbruchs zu umgehen suchte, stellt Gregor Rohmann in Gestalt der als Vitalienbrüder bekannt gewordenen seegestützten Söldner dar, die im Lichte neuer Forschungsergebnisse wohl autonom agierende Gewaltakteure waren, die von den Obrigkeiten je nach opportuner Lage eingesetzt werden konnten, "wenn ein bestehender Waffenstillstand offene Operationen unmöglich machte" (359 mit Verweis auf Studien von Thomas Heebøll-Holm). Dabei hätten die Akteure immer einen taktischen Vorteil erlangen und sich auf den Grundsatz "Pacta sunt servanda" berufen wollen (338). Der Beitrag reiht sich in den übergreifenden Kontext von Forschungen zu den Vitalienbrüdern ein, die - so Rohmann - nicht mehr als Piraten bezeichnet werden sollten (352, Anm. 70). Entscheidend sei die Interpretation der politischen Kommunikation. Die bisherige hansegeschichtliche Forschung habe "tendenziell immer die Lübecker im Recht" gesehen (363). Zudem sei der Mechanismus der "plausible deniability" auch im 14. Jahrhundert bereits nachweisbar, bei dem die "konkreten Gewaltausführenden" bei Gefahr nicht mehr durch ihre Auftraggeber gedeckt wurden (364).
Ebenfalls mit dem Hanseraum beschäftigt sich der Aufsatz von Ulla Kypta, die Verträge zwischen niederdeutschen Hansestädten und flämischen Behörden mit Gesellschaftsverträgen zwischen einzelnen Kaufleuten vergleicht.
Der Sammelband gibt insgesamt einen guten Überblick über die Grenzen der Gültigkeit von Verträgen in der Diplomatie des späten Mittelalters. Durch den inter- und intrakulturellen Blick auf Verhältnisse des Mittelmeerraumes wird die bislang eher mitteleuropäische Perspektive ausgeweitet und führt so zu einem besseren Verständnis des Austausches auf der politischen Ebene.
Florian Dirks