Elizabeth M. G. Krajewski: Archetypal Narratives. Pattern and Parable in the Lives of Three Saints (= Studia Traditionis Theologiae; 27), Turnhout: Brepols 2018, XII + 246 S., 14 Tbl., ISBN 978-2-503-57711-1, EUR 65,00
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Die Dokumentationen von Heiligenviten wurden in der bisherigen Forschung in erster Linie als historisches Zeugnis der jeweiligen Zeit, als Biografien heroischer Protagonisten, als Unterhaltungsmedien von Mönchen oder auch als Apologie bestimmter Lebens- und Frömmigkeitsformen gelesen. Hingegen zielt die vorliegende Studie von Elizabeth M. G. Krajewski darauf ab, das Leben christlicher Heiliger als Beispiel religiöser Literatur zu interpretieren. Sie kritisiert, dass sich keine dieser Interpretationen mit dem Problem der theologischen Inhalte beschäftigt, wie Mönche und Nonnen Krisen sowie Anfechtungen des geistlichen Lebens - letztlich existenzielle Bedrohungen ihrer Lebensform - zu bewältigen versuchten.
Krajewski macht aufgrund der Tatsache, dass diese Texte in einer klösterlichen Umgebung verfasst wurden, eine Methodik stark, durch welche die religiösen Inhalte der hagiographischen Texte als eine implizite Theologie der Heiligkeit identifiziert werden können. Damit hebt sie sich von bisherigen methodischen Zugängen ab, in denen hagiographische Literatur in erster Linie als historisches Artefakt untersucht wird, das auf die räumlich und zeitlich gebundene Politik oder Linguistik hinweist. Ihr Bestreben ist es jedoch, die religiösen Inhalte in der getroffenen Quellenauswahl zu interpretieren. Hierfür rekurriert sie vor allem auf die von Paul Ricoeur in der Mitte des 20. Jahrhunderts vorgeschlagene biblisch-hermeneutische Methode, die sie anhand von drei Heiligen - Birgit (39-93), Samson (95-154) und Cuthbert (155-208) - exerziert. Die Auswahl ist bemerkenswert, denn alle drei Heiligen lebten im mittleren und späten 7. Jahrhundert, also in einer Zeit, in der sich gesellschaftliche und kirchliche Umbrüche ereigneten. Um das Leben und die hagiographischen Texte zu verstehen, bettet die Verfasserin alle drei Beispiele detailliert in den historischen Kontext ein, der ihrem Ansatz nach für die Interpretation der Texte unumgänglich ist.
Im ersten Kapitel (1-37) erörtert sie den anfangs benannten Forschungsstand und problematisiert diesen von der Quellengattung her, bevor sie ihr Arbeitsvorhaben und ihren methodischen Ansatz erläutert. In den darauffolgenden drei Kapiteln, in denen jeweils ein Heiliger thematisiert wird, werden die hagiographischen Texte auf biblische Anspielungen und Vorbilder sowie auf weitere literarische Quellen hin analysiert und einer Strukturanalyse unterzogen, die zum Kern ihrer Methode zu zählen ist. Sie arbeitet Motive und Muster religiöser und archetypischer Bedeutung heraus, die sie zentral für ihre eigene Interpretation der analysierten Texte nutzt. Bemerkenswert ist dabei, dass durch diese Methode ein Verständnis für den Text und dessen Komposition freigelegt wird, der begreifen lässt, wie diese Texte im klösterlichen Kontext funktionieren sollten. Ziel war es - so die Kernthese der Verfasserin - eine dynamische Begegnung mit dem damaligen Leser, also in erster Linie den Mönchen, Nonnen und/oder weiteren Geistlichen, zu ermöglichen. Ein Beispiel aus der vorliegenden Studie soll dies in aller Kürze verdeutlichen.
Die Vita Brigitae kann als eine Parabel-Sammlung gelesen werden, die das irische Kildare als Klosterstadt und Ort der Zuflucht und Sicherheit darstellen soll, letztlich als das neue Jerusalem, in das Christen aus der ganzen Welt als Nachfolger der Stämme Israels kommen können. Brigit, die örtliche Heilige der Graves of the Leinstermen, wurde als Quelle des Friedens, der Freude, der Heilung und des Wohlstands stilisiert. Ihre Anwesenheit als Heilige sollte eine Zeit ermöglichen, die an das friedvolle Königreich des Jesaja und den Garten in der Genesis erinnert. Sowohl sie als auch ihr Kloster stehen als charakteristische Zeichen des neuen Jerusalems, in das alle Christen streben sollten. In diese Kernbotschaft seien, so Krajewski, die Regeln der klösterlichen Gemeinschaft so eingewoben worden, dass der hagiographische Text selbst eine Richtschnur für das religiöse und spirituelle Leben der Klostergemeinschaft und seiner Leser/Leserinnen war.
In ihrem Ansatz verbindet sie eine enge sowie stark am Text orientierte Analyse mit einer theologischen Hermeneutik, die die tiefen biblischen Einflüsse innerhalb der Erzählungen aufdeckt. Am Beginn ihrer Studie verweist Krajewski darauf, dass die hagiographische Forschung jenem Elefanten ähnelt, der von fünf blinden Männern untersucht wurde: Jeder identifizierte den Teil des Tieres aus seiner eigenen Perspektive an seinen Fingerspitzen, aber die Natur des Ganzen blieb schwer fassbar. Wenngleich sie mit ihrer Studie nicht den Anspruch erhebt, das hagiographische Genre aufzudecken, so ist es dennoch ein bemerkenswerter und interessanter Versuch, einen Teil wissenschaftlich zu beleuchten, der bisweilen im Schatten geblieben ist, obwohl dieser wesentlich für das Verständnis dessen ist, weshalb solche Erzählungen auf diese Art und Weise verfasst wurden. Die übergeordneten Fragen, wie diese Texte als Modelle der Heiligkeit in besonderer Weise für die monastische Bildung funktionierten und wie historische Kontexte deren Komposition beeinflussen konnten, beantwortet sie überzeugend anhand der drei benannten Beispiele.
In ihrem abschließenden Kapitel (209-223) benennt sie weitere Forschungsfragen und entwirft eine Perspektive für die weitere interdisziplinäre Forschung von hagiographischen Texten. Neben den drei interessanten frühmittelalterlichen Beispielen handelt es sich beim vorliegenden Band vor allem um eine Studie zu Theorie und Methode hagiographischer Analyse.
Joachim Werz