Valérie Bessey / Werner Paravicini: Guerre des manifestes. Charles le Téméraire et ses ennemis 1465-1475 (= Mémoires de l'Académie des Inscriptions et Belles-Lettres; Tome 52), Paris: Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 2017, 348 S., 8 Farb-, 1 s/w-Abb., ISBN 978-2-87754-358-3, EUR 50,00
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Werner Paravicini (Hg.): La cour de Bourgogne et l'Europe. Le rayonnement et les limites d'un modèle culturel. Actes du colloque international tenu à Paris les 9, 10 et 11 octobre 2007, Ostfildern: Thorbecke 2013
Jean-Marie Cauchies: Mémoires conflictuelles et mythes concurrents dans les pays bourguignons (ca 1380-1580). Rencontres de Luxembourg (22 au 25 septembre 2011), Turnhout: Brepols 2012
Michel Pauly (Hg.): Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive. Colloque international, Luxembourg, 30 septembre et 1er octobre 2010, Luxemburg: CLUDEM 2013
Werner Paravicini / Jan Hirschbiegel / Jörg Wettlaufer (Hgg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, Ostfildern: Thorbecke 2005
Reiner Marcowitz / Werner Paravicini (Hgg.): Vergeben und Vergessen? - Pardonner et oublier? Vergangenheitsdiskurse nach Besatzung, Bürgerkrieg und Revolution - Les discours sur le passé après l'occupation, la guerre civile et la révolution, München: Oldenbourg 2009
Rainer Babel / Werner Paravicini (Hgg.): Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, Ostfildern: Thorbecke 2005
Fake News im Mittelalter? Soweit wird man sicherlich nicht gehen können, denn zu Fake News gehören soziale Medien für ihre exponentielle Verbreitung und den glaubwürdigen Journalismus als Folie, dem Fake News versucht ähnlich zu sehen, um seine Leser besser täuschen zu können. [1] Manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten kennt das Mittelalter aber sehr wohl.
Eine Reihe von 17 Texten dieses Genres aus dem späten Mittelalter haben nun Valérie Bessey und Werner Paravicini in der prestigereichen Reihe der Mémoires de l'Académie des inscriptions et belles-lettres herausgegeben. Dabei handelt es sich um ein Korpus, das nicht durch die Überlieferung, sondern von den Herausgebern aufgrund des historischen Kontextes der Regierungszeit Karls des Kühnen von Burgund und ihres Genre aus französischen, belgischen, niederländischen, englischen, schwedischen, deutschen, österreichischen, schweizerischen und italienischen Archiven und Bibliotheken zusammengestellt wurde. Diese Selektion basiert auf der Vorarbeit, die in dem von Paravicini geleiteten Projekt der Herausgabe des Briefwechsels Karls des Kühnen geleistet wurde. [2] Doch auf welche Weise zeichnen sich die edierten 17 Texte aus?
In seiner Einführung in den historischen Kontext (Introduction historique) im Umfang von 90 Seiten erläutert Paravicini, dass er innerhalb des Korpus des Briefwechsels Karls des Kühnen bereits eine Gruppe von 81 Texten - "Reihenbriefe" genannt - unterschieden habe, die sich dadurch auszeichneten, dass sie sich an eine mehr oder weniger große Gruppe richteten und zu Versammlungen oder Mobilmachungen aufriefen. Eine Untergruppe von 17 Texten, die Paravicini "Manifeste" nannte, besaßen einen eindeutigen politischen Charakter und hatten zur Aufgabe, die Gründe für eine Parteiergreifung, eine umstrittene Entscheidung oder einen begonnenen Krieg zu erklären. Von den 17 genannten Texten wurden vier Texte aus der im "Briefwechsel" genannten Liste für die vorliegende Edition nicht berücksichtigt, da diese "Manifeste" nie versandt wurden. Man möchte sagen, an ihre Stelle wurden vier neue Briefe eingefügt, die es ermöglichen, zwei weitere Konflikte unter Karl dem Kühnen zu beleuchten.
Zusammen genommen führen die Texte ins Zentrum von acht "politischen Krisen" unter Karl dem Kühnen, die dem Leser dank der Einführung von Paravicini bestens vorgestellt werden (es handelt sich um die Affäre Croy, die Französische Offensive von 1470, den Verrat des Baudoin bâtard de Bourgogne, die Eroberung der Pikardie durch Ludwig XI., die Wiederaufnahme des Kriegs im Jahr 1472, die Erbfolge in Geldern, die Belagerung von Neuss und die Offensive gegen Lothringen). Das Ziel der Texte bestand jeweils darin, Anhängerschaft zu gewinnen, wofür nicht davor zurückgeschreckt wurde, Emotionen zu bedienen, um Stimmung für die eigene Sache zu machen - Fake News lassen grüßen. Die angerissene Funktion dieser "Manifeste" ordnet Paravicini in den Forschungsbereich von "Propaganda" und "Öffentlichkeit" im späten Mittelalter ein, der in Frankreich vor allem durch die Arbeiten von Bernard Guenée geprägt wurde und dem seit mehr als einem Jahrzehnt in der französisch- wie deutschsprachigen Forschung großes Interesse entgegen gebracht wird.
Auf diese allgemeine Einordnung des Quellenkorpus folgt der sehr viel umfangreichere Teil der Einführung, in dem Paravicini detailliert das "Wer, Wo, Wann, Wie" für jedes einzelne "Manifest" darstellt, wozu jeweils auch ein umfangreicher Anmerkungsapparat gehört. So erfährt man auch etwas über die Versandpraxis. Im Fall des dritten Konflikts der internen Reihung, der damit begann, dass Baudoin Bâtard de Bourgogne mit zwei weiteren Adligen zu Ludwig XI. übergelaufen war, machte Karl der Kühne zunächst in einem "Manifest" von 1470 die Vorwürfe des Verrats und Verschwörung gegen die drei Geflohenen "öffentlich" (Text 5); denn zumindest eine Variante des Textes weist einen Veröffentlichungsvermerk auf. Auf die schweren Anschuldigungen verfasste Baudoin dann aber eine Antwort, die es in sich hatte. Nicht nur wies er Karls Ansprüche zurück, sondern ging noch in die Offensive, indem er Karl homosexueller Praktiken und eines Übermaßes an Grausamkeit beschuldigte und ihn auf seinen Status als Vasall des französischen Königs hinwies, was den Bestrebungen des burgundischen Herzogs zuwiderlief. Auf die Anschuldigungen muss hier nicht weiter eingegangen werden, da sie Paravicini einordnet. Ihres manipulativen Charakters muss man sich aber bewusst gewesen sein, da die Antwort wahrscheinlich nicht abgeschickt und veröffentlicht wurde; ein Veröffentlichungsvermerk ist nicht vorhanden. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass Baudoin fünf Jahre später wieder in Karls Gnaden aufgenommen wurde. Hierzu sagt Paravicini: "Die Kanonen wurden mit Pulver gefüllt, aber man feuerte sie nicht ab" (54).
Der zweite Teil des Buchs bildet dann die Edition der 17 Texte, die von Valérie Bessey erstellt wurde. Als Bearbeiterin und Herausgeberin von drei Bänden der Comptes de l'Argentier ist sie der Forschung bekannt. Nach Darstellung der Editionskriterien folgt die vollständige Edition der "Manifeste", auch bei jenen Texten, wie Nummer 3, die bereits eine moderne Edition aufweisen, mit laufender Nummer, Kopfregest, Ort und Datum, Angaben früherer Editionen und Regesten, Angaben der Überlieferung, Überlieferung nach Adressaten, Textabdruck und überlieferungskritischem Apparat mit Verweisen auf sachkritische Elemente, die von Paravicini bereits eingeführt wurden. Die Texte sind meist in Mittelfranzösisch abgefasst, daneben wurden aber auch Texte in anderen Sprachen ediert: Text 12 ist in Mittelniederländisch abgefasst und wurde mit einer Übersetzung ins moderne Französische von Paravicini versehen. Daneben kennt Text 13 eine lateinische und frühneuhochdeutsche Variante, Text 14 nur eine lateinische Variante und unter der laufenden Nummer 15 sind Texte in Frühneuhochdeutsch zusammengestellt. Es folgen das Abkürzungsverzeichnis, das Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Glossar sowie ein Namens- und Ortsregister.
In Summe wird man sagen können, dass hier erstklassig gearbeitet wurde und vor diesem Hintergrund ein zeitloses Arbeitsinstrument zur Verfügung gestellt wurde, dessen Inhalt an aktueller Relevanz nochmals dazugewonnen hat.
Anmerkungen:
[1] Jonas Kaiser: Fake News: Der Lackmustest für die politische Öffentlichkeit, online einsehbar unter: http://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/245095/fake-news-der-lackmustest-fuer-die-politische-oeffentlichkeit (letzter Aufruf am 27.06.2019).
[2] Briefwechsel Karls des Kühnen (1433-1477). Inventar (Der), hg. von Werner Paravicini unter Mitarbeit von Sonja Dünnebeil und Holger Kruse, 2. Bde., Frankfurt am Main 1995 (Kieler Werkstücke; D 4/1-2).
Nils Bock