Johannes Burkhardt: Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart: Klett-Cotta 2018, 296 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-608-96176-8, EUR 25,00
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Johannes Burkhardt: Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit, München: C.H.Beck 2009
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Johannes Burkhardt versucht keine flächendeckende Gesamtdarstellung des 30-jährigen Krieges, wirft Schlaglichter auf einzelne Facetten des Kriegsgeschehens, die in seinen Augen besonders spannend sind; und langweilig wird die Lektüre denn auch nie. Drei Themen treiben den Autor besonders um: Erstens legt er Wert darauf, dass die Kriegsursachen nicht in Mitteleuropa zu suchen seien. Wiewohl ja im Vorkriegsjahrzehnt keine einzige zentrale Reichsinstitution mehr funktionierte, will Burkhardt von einem "institutionellen Defizit" des Reiches nichts wissen (79). Nein, böswillige Ausländer hätten "ihre Probleme in das Reich exportiert" (107; "auswärtige Konfessionslobbyisten", "exogene Konfessionalisierungsmilitanz": 82). Vom konfessionellen Hader verschuldete reichsinterne Probleme werden stupend verharmlost; beispielsweise ist es deplaziert, die bayerische Okkupation Donauwörths in belustigtem Ton zur Provinzposse zu degradieren: Evangelische Ängste und evangelische Empörung dieser Militäraktion wegen provozierten das Scheitern des letzten funktionsfähigen Reichsorgans, des Reichstags, sowie die Gründung der Union im Jahr 1608. "Beide Bünde", also Union und Liga, "waren defensiv" (74)? Die Satzung der Union klärt sogar, wie im Fall des absehbaren Kriegs mit erobertem Gebiet verfahren würde.
Sodann legt Burkhardt ausführlich dar, warum der Dreißigjährige Krieg für ihn ein von "universalen" Hegemonialansprüchen angetriebener europäischer "Staatsbildungskrieg" war. Diese erstmals 1992 vorgetragene These des Autors hat einige Verbreitung gefunden, vor allem in populären Abrissen und in den Politikwissenschaften; die gravierenden Einwände der Kenner des dreißigjährigen Kriegsgeschehens sind bekannt und müssen hier nicht noch einmal ausgebreitet werden. Der nach Ansicht des Rezensenten wichtigste Gegenbefund ist dieser: Alle Experten für die Nationalgeschichten Frankreichs und Spaniens betonen, dass sich diese Länder bedroht sahen, eingekreist, isoliert. Und Schweden wollte sich seit 1632 nur noch ohne Gesichtsverlust aus dem Kriegsgeschehen herauswinden. Die maßgeblichen Politiker (auch in Wien) ritten nicht die durch das ganze Manuskript von Burkhardt geisternden Supermachtfantasien, sie hatten einfach Angst.
Drittens werden, über den Band verstreut, einige Friedensinitiativen und -schlüsse vorgestellt: Dresdner Bemühungen, den böhmischen Aufstand abzukürzen; die Friedenssondierungen Wallensteins; der Prager Frieden; sowie der "Frieden aller Frieden" von 1648. Dem Prager Frieden widmet der Autor wahre Hymnen, "der innere Reichsfrieden war wiederhergestellt" (194), freilich wollte sich eben das böse Ausland an jenen Frieden, in den es gar nicht einbezogen war, partout nicht halten! Tatsächlich konnte auch von einer "inneren" Befriedung schon deshalb keine Rede sein, weil zahlreiche Reichsglieder (die zeitgenössisch so genannten "nondum reconciliati") ausgeschlossen blieben, also nichts zu verlieren hatten und weiterkämpften.
Abschließend fragt der Autor, ob seine Schlaglichter aktuell nützliches "Friedenswissen" (240) vermittelten. Viel hänge zu allen Zeiten von politisch korrektem, friedensgeneigtem Personal ab, erfahren wir: Wäre nicht 1618 Kaiser Matthias gestorben, ferner sein "Chefberater" Khesl entmachtet worden, "wäre der Dreißigjährige Krieg ausgefallen" (241). Hätten nicht kriegslüsterne Kreise 1634 Wallensteins Tötung angeordnet, hätte es mit einem Sechzehnjährigen Krieg sein Bewenden gehabt.
Der Rezensent bewundert seit jeher das doppelte Talent des Autors, Sachverhalte in griffigen Formulierungen zu verdichten und dabei manchmal auch noch ein schelmisches Blinzeln mit einzubauen. Aber war es diesmal, und zumal bei diesem Thema, nicht des Guten zuviel? Manchmal muss Wortwitz gründliche Analyse ersetzen. Dass auf dem Kurfürstentag von 1630 ein veritabler Verfassungskampf tobte, entgeht dem Autor, aber er macht sich über die seinem "Kriegshelden" Wallenstein so wenig gewogenen Regensburger "Absetzungsaktivisten" lustig (126). Überhaupt dominiert lustiger Plauderton: "Auch die Kriegsgewalt muss einmal pausieren, und als dieser Krieg der Kriege im Jahr 1630 in die Große Pause ging, hätte man denken sollen, das wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, gleich ganz aufzuhören" (139). Neben kreativen Wortschöpfungen finden wir viel kontrafaktische Fantasie: "Wie, wenn die Konföderation auf ihrer mühsamen Kandidatensuche [dem Habsburger] Ferdinand die Wiederwahl [...] angeboten hätte" (98)? Warum nur wollten Böhmens Protestanten partout den Protestanten Friedrich? Wie unverständig doch vormoderne Menschen sein konnten! Und warum wollte dieser Friedrich einfach nicht einsehen, dass es für den Frieden besser gewesen wäre, wenn er eben mal rasch katholisch geworden wäre? Auch alle möglichen Schlachten (prominent, wiederholt beschworen die von Wittstock) hat einfach die falsche Seite gewonnen, sonst hätte dieser unnötige Krieg nicht so lang gedauert.
Kurz, das Buch ist durchgehend unterhaltsam, aber nicht durchgehend analytisch stringent. Auf zahlreiche "Unschärfen" in Beschreibung wie Analyse wies kürzlich bündig Michael Kaiser hin [1]. Diese Mängelliste soll hier natürlich nicht rekapituliert werden. Was störte den Rezensenten außerdem? Dass Burkhardt die damalige "Klimaverschlechterung" bagatellisiert, eine solche sogar für hypothetisch hält (31f.), entspricht nicht dem Stand der Klimaforschung: Unstrittig fällt der Dreißigjährige Krieg in die wenig menschenfreundliche Kernphase der Kleinen Eiszeit. Mit dem Topos eines "Westphalian System" kürzen Politologen die für sie relevante Vergangenheit ab, die Frühneuzeitforschung hat diesen Mythos längst gründlich widerlegt, und doch ist "1648" im Burkhardtschen Superlativ "eine europapolitische Richtungsentscheidung für Jahrhunderte" (247). Natürlich ist auch das Gerücht, es habe vor 1648 ein "Reichsabsolutismus" gedroht, längst widerlegt. Warum haben dann die westfälischen Verhandlungen "den einstaatlichen Weg für die deutsche Geschichte" (220, vgl. 253) verhindert? Welcher Kaiser hätte denn je die Reichsstände abschaffen wollen? Der Westfälische Frieden als Geburtsstunde eines konstitutionellen Bundesstaats (vgl. 222) in Mitteleuropa, mit "Parlament" und "Parlamentsarmee" (256), die konfessionellen Corpora als seine "Fraktionen" (230)? Da muss man sich wohl mal wieder ein Augenzwinkern hinzudenken, aber merkt das jeder Leser? Das Restitutionsedikt war kein Einfall der "geistlichen Berater" des Kaisers (140), es wurde 1627 (Kurfürstentag von Mühlhausen) von der neuen katholischen Majorität im Kurkolleg angeregt, und "Bayerns Maximilian" hatte nicht "zugestimmt" (141), er war der Motor dieses Oktroi der katholischen Lesarten des Augsburger Religionsfriedens. An den westfälischen Verhandlungen rühmt Burkhardt wiederholt, dass sie nie die Frage nach den Kriegsursachen aufgeworfen hätten, dass man nicht thematisiert habe, "wie es zum Krieg gekommen sei" (249). Tatsächlich legt der Westfälische Frieden die zentrale Kriegsursache offen: Der Widerstreit der um die Auslegung des Religionsfriedens kreisenden "Gravamina" beider Konfessionsparteien habe das Reich in den Krieg gerissen - so die Präambel zu IPO Artikel V. Der moderne Historiker muss diese Diagnose der Zeitzeugen ja nicht teilen, aber er sollte sie seinen Lesern auch nicht vorenthalten.
Anmerkung:
[1] Vgl. Michael Kaiser: 1618-2018. Eine bibliographische Bestandsaufnahme zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges vor 400 Jahren, in: Zeitschrift für historische Forschung 45 (2018), 715-797, hier 734-738.
Axel Gotthard