Nikos Wallburger: Aufstand der Unvernunft? Wahrnehmung und Reaktionen auf den Vendéeaufstand im revolutionären Diskurs 1793 (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag. Reihe: Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Marburg: Tectum 2018, VII + 112 S., 2 Kt., ISBN 978-3-8288-4194-9, EUR 26,00
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Thomas E. Kaiser / Dale K. Van Kley (eds.): From Deficit to Deluge. The Origins of the French Revolution, Stanford, CA: Stanford University Press 2011
Als sich im März 1793 die Bauern in der Vendée gegen die Repräsentanten der Ersten Republik erhoben, antworteten sie damit auf die Anordnung der Aushebung von 300.000 Soldaten zur Vorbereitung der Levée en masse. Die Angst der Mitglieder des Nationalkonvents vor bewaffnetem Widerstand gegenrevolutionärer Kräfte hier und in zahlreichen anderen französischen Departements sollte schließlich in der jakobinischen Schreckensherrschaft münden. Die Forschung hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, wie diese durch die brutale Ermordung Zehntausender Franzosen bestimmte Phase der Revolution sich in deren Gesamtverlauf einfügt, vor allem, wie sie von den politisch Verantwortlichen ideologisch begründet und verteidigt wurde. Auch Nikos Wallburger stellt seine Studie zum Vendée-Aufstand in diesen Kontext. Er intendiert eine Diskursanalyse, deren Ziel es ist, die "Äußerungen und Stellungnahmen der Revolutionäre" zum Aufstand in der Vendée daraufhin zu untersuchen, ob hier Positionen erkennbar werden, die die ideologische Unterfütterung der "bürgerlichen Revolution" verlassen (2).
Wallburger strukturiert seine Ausführungen in drei große Kapitel: Im ersten skizziert er vorrevolutionäre Vorstellungen von Staat, Staatlichkeit und Gesellschaft, wobei er sich im Wesentlichen auf Rousseaus "Du Contrat social" und Sièyes Werk "Qu'est-ce que le Tiers-État ?" stützt. Im zweiten Teil seiner Untersuchung betrachtet er den Einfluss der zuvor skizzierten Grundideen auf die verfassungsrechtlichen Entwürfe der Revolution, namentlich auf die "Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen" von 1789 und auf die Verfassungen von 1791 und 1793. Im dritten Kapitel der Untersuchung steht die Reflexion über den Vendée-Aufstand im Mittelpunkt. Wallburger erläutert, dass die politischen Positionen der Aufständischen und der "Revolutionäre" nicht grundlegend konträr gewesen seien und dass sich aus den Quellen differenzierte Handlungsmotivationen und Argumentationsstränge erkennen ließen. Zum Teil anhand der Primärquellen, da diese aber nach Auskunft des Verfassers in nicht allzu großem Umfang vorhanden seien, zum Teil aus der Sekundärliteratur heraus skizziert Wallburger dann zunächst die vielschichtigen Motive der Aufständischen. Zu Beginn noch Anhänger der Revolution seien sie schließlich zur "Verteidigung der eigenen Lebensweise" (70) gegen die Tyrannei der Republikaner angetreten, womit sich Thron und Altar als sicherheits- und sinnstiftende Konstanten des Lebens in der Vendée erwiesen hätten. In der Wahrnehmung der "Revolutionäre", die Wallburger dann betrachtet, setzte sich, so der Autor, bei der Charakterisierung der Aufständischen vor allem das Bild von fanatisierten, unvernünftigen, von Priestern oder Adeligen irregeleiteten Bauern durch, ein Gegenbild zum vernünftigen Citoyen also, das unter anderem provoziert worden sei durch eine Vielzahl von (lokalen) Publikationen katholischer und royalistischer Ausrichtung. Das vielzitierte Wort Bertrand Barères von der "l'inexplicable Vendée" stellt Wallburger ebenfalls in diesen analytischen Kontext: Über diese Formulierung sei zum Ausdruck gebracht worden, dass es sich beim Aufstand in der Vendée um "das ganz Andere der Revolution" gehandelt habe (92). Mit der gleichzeitigen negativ konnotierten Charakterisierung der Aufständischen als "ennemis", "rebelles" oder "brigands" schon im März 1793 und der schnellen Etablierung dieser Begriffe in den Folgemonaten sei zugleich eine eindeutige Handlungsanweisung verknüpft gewesen, nämlich die Bekämpfung der Aufständischen.
Wallburger beginnt mit der knapp gehaltenen Präsentation seiner Quellenauswertung - unter anderem hat er die einschlägigen Sammlungen von Charles-Louis Chassin und Alphonse Aulard untersucht - erst nach über der Hälfte seines Textes. Das ist schade - und manchmal sogar handwerklich bedenklich, nämlich wenn er behauptet, seine Analyseergebnisse ließen sich aus "diversen" (80) Quellen ableiten, sich dann aber in den Fußnoten damit begnügt, nur einen Beleg, im Idealfall zwei oder drei Nachweisstellen aufzuführen. Auch ist die Quellenauswahl kaum hinreichend begründet: Im Bemühen, sich nicht auf nur bestimmte Personen oder Dokumente zu beschränken, die dann womöglich nur ein Bild der höchsten Ebenen politischer Entscheidungsfindung gegeben hätten, wie er dazu erläuternd ausführt, hat Wallburger diese Ebene schließlich fast gar nicht bedient. Reden der Pariser Protagonisten, wie etwa Danton, Marat, Saint-Just oder Robespierre kommen kaum oder gar nicht vor. Damit beraubt sich der Verfasser wichtiger Erkenntnisse, zeigen sich doch hier auch schon ab März 1793 Argumentationsfragmente, wie etwa die These vom verführten Volk, die er auch auf der lokalen Ebene gefunden hat.
Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass Wallburger nur Quellen betrachtet, die aus dem Zeitraum vom Frühjahr bis zum Oktober 1793 stammen (und zwar mit der Begründung, der Zeitraum ergebe sich aus dem vorhandenen Material). Denn der Diskurs darüber, wie mit den Feinden der Revolution zu verfahren sei, setzte sich während der Terreur ja stetig fort, diente er doch gerade der ideologischen Unterfütterung des Zwecks der Schreckensherrschaft (und im Übrigen ist ja auch der Vendée-Aufstand im Oktober 1793 noch nicht beendet). Quellenmaterial wäre - jedenfalls mit Blick auf die Diskussionen im Konvent und Wohlfahrtsausschuss - leicht zugänglich gewesen. [1] Zu Wallburgers eigenem Anspruch einer Diskursanalyse, bei der er die Aussagen aus den verwendeten Quellen ausdrücklich als Teil des "revolutionären Diskurses" verstehen will (9-10), passt diese eng begrenzte Auswahl darüber hinaus ebenso wenig wie dazu, dass er intendiert nachzuvollziehen, "ob die Wahrnehmung des Vendée-Aufstandes und dessen Einordnung primär ein Anliegen und Projekt der revolutionären politischen Eliten war oder ob sich die entsprechenden Argumentationslinien und -figuren auch auf den lokalen und regionalen Ebenen wiederfinden lassen" (9).
Vielleicht hätten die untersuchten Quellen ein deutlicheres Gewicht bekommen, wenn Wallburger sich für ein induktives Vorgehen entschieden hätte. Zweifelsohne hätte das auch der gesamten Untersuchung eine größere wissenschaftliche Eigenständigkeit verliehen. Nicht auszuschließen ist, dass dann sein Blick auch auf Begrifflichkeiten gefallen wäre, die im vorrevolutionären Diskurs noch keine oder nur eine sehr geringe Rolle gespielt haben, im ideologischen Rechtfertigungsdiskurs der Terreur aber zentral gestellt und zur Begründung für die zunehmende Anwendung von Gewalt gegen Gegner der Revolution bemüht wurden, wie etwa der Begriff der Tugend, der bei Wallburger nicht vorkommt.
Insgesamt sind die Begründungen, die der Verfasser für sein methodisches Verfahren (mehrfach lediglich als ergänzende Anmerkungen in den Fußnoten) gibt, überhaupt recht dürftig, ja sogar diffus. Das liegt sicher auch daran, dass es ihm durchweg recht schwerfällt zu formulieren. Manches in dieser Studie ist sprachlich verrutscht. Der (grammatikalisch schiefe) Untertitel der Publikation ist ein erstes Beispiel. Dass die Kapitelüberschriften oft nicht zum folgenden Text passen und mehr als einmal recht hilflos wirken, fügt sich ins Bild. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Kapitelnummerierungen fehlerhaft sind (die Kapitel 4.6 und 4.7 gibt es jeweils zweimal hintereinander, allerdings mit unterschiedlichem Inhalt) und die Mängel in der Kommasetzung - sogar noch auf dem Klappentext - erleichtern die Lektüre ebenfalls nicht.
Inakzeptabel wird die Formulierungsschwäche, wenn sie zu inhaltlichen Verzerrungen führt. Das passiert etwa, wenn Wallburger seine Untersuchung in einen Forschungskontext zu stellen versucht. Er wolle am Beispiel des Vendée-Aufstandes zeigen, "inwieweit die Phase der Jakobinerherrschaft eine Abweichung von der ursprünglichen Gesellschaftskonzeption darstellt" (2). Ob sich diese "Abweichung" alleine auf die Ebene der ideologischen Fundierung der Revolution bzw. einer bestimmten Phase der Revolution bezieht oder auf die Spannungen zwischen Theorie und Praxis oder auf beides, erschließt sich erst implizit bei der Lektüre. Und: Undifferenziert spricht Wallburger durchgehend von "den Revolutionären" (die er "den Aufständischen" gegenüberstellt). In der Regel meint er, wie er selbst darlegt, damit die Jakobiner. Aber diese einfache Lösung greift für den gesamten Untersuchungszusammenhang nicht: Der Nationalkonvent vereinte unterschiedliche ideologische Gruppierungen, die Dynamik der Machtkämpfe zwischen Girondisten, Montagnards und Sansculotten gehörte zu den politischen Rahmenbedingung der Zeit der gegenrevolutionären Unruhen und der Terreur. Wallburger selbst plädiert immer wieder für eine differenzierte Betrachtung, die politischen Argumentationen und Handlungen seien nicht so eindeutig determiniert und auch nicht derart starr und unabänderlich gewesen, wie in der Geschichtsschreibung oft behauptet. Umso erstaunlicher, dass er diese Erkenntnis selbst nicht umzusetzen weiß.
Am Ende steht das Urteil des Autors, dass die Begründung der Aufstandsbekämpfung "streng innerhalb des in sich kohärenten politik- und rechtstheoretischen Bezugsrahmens des revolutionären Diskurses blieb" (105). Das ist ein respektables, mit den bisherigen Forschungsergebnissen in Einklang zu bringendes Ergebnis, der methodische Weg zu diesem Ergebnis allerdings ist nicht über jeden Zweifel erhaben.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa: Peter Fischer (Hg.): Reden der Französischen Revolution, München 1974.
Heike Wüller