Philip R. Bosman (ed.): Intellectual and Empire in Greco-Roman Antiquity, London / New York: Routledge 2019, XX + 221 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-1-138-50509-4, GBP 115,00
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Der Sammelband vereint zwölf englische Aufsätze, geschrieben von je sechs Forscherinnen und Forschern. Grundlage des Bandes bildet eine Konferenz, die im Oktober 2014 in Pretoria stattgefunden hat und vom Herausgeber organisiert wurde. Die Aufsätze decken eine lange Zeit (3. Jh. v.Chr. - 4. Jh. n.Chr.) und einen weiten Raum ab (Griechenland, Kleinasien, Syrien, Alexandreia, Nordafrika, Sizilien und Rom); sie behandeln sowohl griechisch als auch lateinisch schreibende Autoren.
Der intellectual oder Gebildete, der hier vorkommt, ist ein Philosoph, Arzt, Mathematiker, Ethnograph, Historiker, Philologe (grammaticus), Rhetoriker, Sophist, Dichter, immer in der männlichen Form. Weibliche Intellektuelle, gebildete Frauen, die öffentlich wirksam waren, gab es im fraglichen Zeitraum nicht: die öffentliche Sphäre war männlich konnotiert. Das empire, das Reich, zeigt sich in der Person des Königs hellenistischer Zeit, später des römischen Kaisers oder römischer Beamter in der Provinzverwaltung.
Der Band beginnt mit einem kurzen Überblick über die Forschungsfragen und einer Liste der Autorinnen und Autoren. Das eigentliche Vorwort bietet eine Kurzzusammenfassung aller Beiträge (xv-xx), ist online zugänglich [1], und braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es folgen die zwölf Aufsätze und ein hilfreicher Index.
Die Leserin, der Leser erhält schlaglichtartig Einblick in unterschiedliche Formen mehr oder weniger öffentlicher Wirksamkeit von Gebildeten und ihrem Verhältnis zu den Machthabern. Die grosse zeitliche und geographische Streuung und die Vielfalt an beteiligten Gebildeten und Machthabern führt zu einer grossen Bandbreite an Interaktionen: Könige hellenistischer Zeit (besonders die Ptolemäer) unterstützen und fördern Wissenschaftler durch den Bau und Unterhalt von Bibliotheken, Anstellung als Hofarzt oder Prinzenerzieher, Förderung experimenteller Forschung wie das Sezieren von Leichen oder Grundlagenforschung wie Mathematik; andere fördern nutzenorientierte Forschung wie Ethnographie oder Medizin.
Römische Kaiser seit Mark Aurel fördern Philosophen und Rhetoriker durch die Stiftung und Unterhalt von Lehrstühlen, Autoren (Oppian, Markellos aus Side, Iulius Pollux, Flavius Philostratus) widmen ihre Werke einem Kaiser in der Hoffnung auf Support und Promotion.
Nicht fehlen darf die Konstellation Philosoph und König, die in der griechischen Literatur seit Herodots Geschichte von Solon und Kroisos ein Topos ist. Wir finden den Epikureer Diogenes aus Seleukeia vor dem König Alexander Balas, und Favorinus vor Hadrian sowie den Sophisten Antiphon aus Rhamnus vor Dionysius aus Syrakus.
Es gibt weiter eine indirekte Interaktion von Intellektuellen und Machthabern via Literatur. Dazu gehören die mutmassliche versteckte Kritik an Augustus des Historikers Timagenes aus Alexandreia; Ovids politisch opportune Darstellung des Tiberius; Frontos Briefwechsel mit Marc Aurel; Philostrats Darstellung der Interaktion von Sophisten mit Kaisern; Heliodors Gestaltung der Gymnosophisten entsprechend den Erfordernissen seiner eigenen Zeit.
Ein direkter Kontakt von Gebildeten und Machthabern ist manchmal als Hintergrund dieser indirekten Interkation via Literatur zu vermuten: wenn Plutarch die Arat-Vita als narrative Handlungsanweisung an die Provinzelite Griechenlands verfasst, der er selbst angehört, so greift er vielleicht auf eigene Erfahrung im Umgang mit römischen Machthabern zurück. Wenn Lukian in seinem Werk römische Provinzbeamte erwähnt, so fliesst hier vielleicht auch seine eigene Lebenserfahrung mit römischen Beamten und als römischer Beamter mit ein. Timagenes aus Alexandreia erlebte den Machtwechsel in Ägypten und wurde möglicherweise von Augustus gezwungen, seine eigenen historischen Werke zu verbrennen.
Zwar ist die Konstellation Philosoph und König ein Topos, selten fällt das Augenmerk der Forschung auf Epikureer am Königshof, Clive Chandler schliesst diese Lücke. Mallory Monaco Catherine gibt eine überzeugende Deutung von Plutarchs Arat-Vita als indirekte Handlungsanweisung für seine Zeitgenossen, Griechen, die mit den römischen Machthabern zu tun haben. Katarzyna Jażdżewska zeigt in ihrem Aufsatz, der das Verhältnis von Sophisten und Machthabern in den Vitae Sophistarum behandelt, dass Philostrat Sophisten in Gegenwart des Herrschers zu figürlicher Rede rät, zu einer diplomatischen, taktvollen Rede, während Philosophen für sich parrhesia (Redefreiheit) in Anspruch nahmen.
Alle Aufsätze behandeln pagane Autoren, jüdische oder christliche fehlen, dabei wäre ein Paulus vor den römischen Beamten oder Flavius Josephus und Titus auch spannende Themen gewesen.
Es fehlt eine Definition von intellectual, es fehlt ebenso eine Diskussion, ob sich dieser Begriff sinnvoll auf die Antike anwenden lässt. Denn der Typus des Intellektuellen ist ohne modernen Nationalstaat und ohne Massenmedien nicht denkbar. [2] Die besonders im 2. Jahrhundert geläufige Bezeichnung war pepaideumenos, ich selbst spreche lieber von Gebildeten, aber intellectual ist griffiger.
Es wäre hilfreich gewesen, wenn der Herausgeber die eingangs gestellten Forschungsfragen systematisch in der Einleitung oder in einer Schlusssynthese zusammengefasst hätte. Mit Hilfe des Indexes lassen sich zwar gemeinsame Themen in verschiedenen Aufsätzen heraussuchen. Den Anspruch, den Bogen bis in die heutige Zeit zu spannen, kann der Band in der vorliegenden Form nicht erfüllen ("The volume aims to address issues of pertinence in the current political climate, with its manipulation of popular media, and with the increasing interference in the affairs of institutions of higher learning funded from public coffers" (iii).) Massenmedien sind ein Kennzeichen der modernen Welt und waren in dieser Form in der Antike unbekannt. Fragen nach der Medialität werden im Band explizit nicht gestellt. Auch die Unterstützung von Forschung und Lehre gestaltete sich in der Antike fundamental anders als heute, weil es keine öffentlichen Schulen, keine Universitäten in unserem Sinn gab.
Erfreulich ausgeglichen ist das Geschlechterverhältnis der Beitragenden. Erfreulich ist auch, dass die Aufsätze Sprachregionen und Epochen übergreifen, auch wenn wegen der Beschränktheit des Platzes keine erschöpfenden Analysen aller Zeit- und Sprachräume möglich sind. Die Beiträge sind methodisch fundiert, sorgfältig gearbeitet, die Quellen (Texte oder Inschriften) sind oft im griechischen oder lateinischen Original zu finden, was mir als Philologin sehr gefällt, immer mit englischer Übersetzung.
Anmerkungen:
[1] www.academia.edu/38079605/Intellectual_and_Empire_in_Greco-Roman_Antiquity_Preface.
[2] Gezeigt von Dietz Bering: Die Epoche der Intellektuellen 1898-2001. Geburt - Begriff - Grabmal, Berlin 2001; Ewen Bowie kritisierte die Tendenz, Sophisten des 5. Jahrhunderts v.Chr. als Intellektuelle zu bezeichnen: Le portrait de Socrate dans les Nuées d'Aristophane, in: Monique Trédé / Philippe Hoffmann (éds.): Le rire des anciens. Actes du colloque international (Université de Rouen, Ecole normale supérieure, 11-13 janvier 1995), Paris 1998, 53-66.
Beatrice Wyss