Hugh Feiss (ed.): Sermons for the Liturgical Year (= Victorine Texts in Translation; 8), Turnhout: Brepols 2018, 539 S., eine s/w-Abb., ISBN 978-2-503-57721-0, EUR 90,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Andreas Büttner / Birgit Kynast / Gerald Schwedler u.a. (Hgg.): Nachahmen im Mittelalter. Dimensionen - Mechanismen - Funktionen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018
Sigrid Müller: Theologie und Philosophie im Spätmittelalter. Die Anfänge der via moderna und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Moraltheologie (1380-1450), Münster: Aschendorff 2018
Jürgen Bärsch: Liturgie im Prozess. Studien zur Geschichte des religiösen Lebens, Münster: Aschendorff 2019
Der vorliegende Band enthält erstmals knapp vierzig lateinische und teilweise altfranzösische Predigten aus der Augustiner-Chorherren-Abtei Saint-Victor in Paris in englischer Übersetzung, die nach dem liturgischen Jahr geordnet und kommentiert wurden. Die vom Benediktiner Hugh Feiss getroffene Auswahl aus dem reichen Nachlass der über 200 erhaltenen Predigten aus dem 12. und 13. Jahrhundert für die zentralen Feste des Kirchenjahres liegt nun erstmals in englischer Übersetzung vor.
Am Anfang des Bandes steht eine allgemeine Einführung (27-78), in der von Jesus über Augustinus, Gregor dem Großen und verschiedenen karolingischen Predigern der Bogen hin zu jenen des Mittelalters und ihrer Verkündigungsweise geschlagen wird. Diese verkürzte und aufgrund ihrer Knappheit durchaus problematische Darstellung, die zudem ein Ideal einer sehr homogenen Entwicklung im Predigtwesen dieser Jahrhunderte vermittelt, mündet in biographische und literarische Kurzbeschreibungen ausgewählter Prediger aus der Abtei Saint-Victor in Paris oder aus deren Umkreis (61-69). Von folgenden Personen wurden Sermones übersetzt: Hugo von St. Victor, Achard von St. Victor, Richard von St. Victor, Maurice de Sully, Walter von St. Victor, Godfrey von St. Victor und Absalom von Springiersbach.
In seiner Einleitung versucht Hugh Feiss die Frage zu beantworten, "what exactly a Victorine sermon is" (70). Er erläutert, dass die Gemeinsamkeit der ausgewählten Predigten darin bestehe, dass sie - untypisch für die damalige Predigtweise - mehr die Lehre als die Disziplinierung im Sinne einer moralischen Unterweisung intendieren und hierfür - typisch für die Predigt des Mittelalters - in hoher Dichte die Heilige Schrift zitieren, ähnliche rhetorische Muster aufweisen, lokale Bezüge herstellen und adressatenorientiert ausgerichtet sind. Anhand einer Predigt von Achard von St. Victor verdeutlicht der Verfasser diese Analysen (70-78).
Da sich vier Predigten von Hugo von St. Victor nicht einfach in einen liturgischen Kontext einordnen lassen, stellte sie der Herausgeber "as a kind of prelude to this collection of Victorine sermons on the Liturgical Year" (81) voran (81-108). Im Anschluss daran folgen Predigten in der Chronologie des Kirchenjahres: acht Predigten zur Advents- und Weihnachtszeit, zwei Predigten zum Fest Darstellung des Herrn, insgesamt neun Predigten zur Fasten- und Osterzeit, sechs Sermones für die nachösterliche sowie nachpfingstliche Zeit und sechs Predigten zu bestimmten Heiligenfesten. Im Unklaren bleibt der Leser jedoch, ob zu den weiteren liturgischen Zeiten und Festen, aber auch zu de tempore keine Predigten vorhanden sind oder diese bereits übersetzt wurden. Kurzum: Die Auswahlkriterien für die vorliegenden Predigtübersetzungen sind nicht evident. Ein Überblick über die umfangreiche Predigtsammlung von Saint-Victor sowie eine Begründung der Auswahl wäre hilfreich gewesen.
Allen Predigten ist gemeinsam, dass diese zu Beginn in unterschiedlichem Umfang eingeführt werden. In den prägnanten Einleitungen wird meist die biblische Referenz angegeben, der liturgische Kontext verdeutlicht, eine theologiehistorische und spirituelle Einordnung, eine inhaltliche Summierung sowie oftmals ein Vergleich zu anderen bekannten Predigten der Kirchenväter vorgelegt, die dem Leser der darauffolgenden Quelle als hermeneutischer Schlüssel dienen können. Sämtliche Übersetzungen sind mit einem kritischen Kommentar versehen, in dem auf Bezüge innerhalb der Predigtsammlung von Saint-Victor und zudem auf biblische, patristische sowie antike Texte verwiesen wird. Darüber hinaus wird an dieser Stelle auch auf bereits erbrachte Forschungen verwiesen. Dennoch wäre eine konsistente einheitliche Vorgehensweise im Aufbau und der inhaltlichen Ausrichtung der Einführungen begrüßenswert gewesen (vgl. 257-259).
Da bedauernswerterweise auf den Abdruck der lateinischen und altfranzösischen Originalquellen verzichtet wurde, ist es nur exemplarisch möglich, die Qualität der englischen Übersetzung in den originalen Quellen zu überprüfen. Einige Stichproben mit den edierten Predigten aus Saint-Victor zeigen jedoch, dass der Herausgeber sich in seiner Übersetzung sehr genau am Original orientierte. Ob dies durchgehend für alle Predigten zutrifft, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Auffallend ist jedoch, dass die deutschsprachige Forschung zu Saint-Victor und dem literarischen Wirken der dortigen Theologen (vgl. unter anderem R. Berndt, M. Tischler, G. Teske, U. Vones-Liebenstein) beinahe gänzlich außer Acht gelassen wurde.
Als gelungen wird erachtet, dass die Predigten gerade nicht nach Autoren, sondern entlang des liturgischen Jahres angeordnet wurden, da auf diese Weise weitere Forschungsarbeiten Kohärenzen und Brüche innerhalb der thematischen Predigten von Saint-Victor herausarbeiten können. Sowohl das detaillierte Register mit Bibelstellen (505-521), das Register mit antiken und mittelalterlichen Schriftstellern (522-532) als auch das Sachregister (533-539) sind für die wissenschaftliche Weiterbeschäftigung mit den übersetzten Predigten hilfreich. Diese bleibt dem Quellenkorpus gerade auch in der deutschsprachigen Forschung zu wünschen!
Joachim Werz