Joachim Bahlcke / Anna Joisten (Hgg.): Wortgewalten. Hans von Held. Ein aufgeklärter Staatsdiener zwischen Preußen und Polen (= Potsdamer Bibliothek Östliches Europa. Geschichte), Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa e.V. 2018, 417 S., 106 Abb., 6 Kt., ISBN 978-3-936168-81-5, EUR 19,80
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die Zeit zwischen dem Tod von König Friedrich II. (1786) und der verlorenen Schlacht bei Jena und Auerstedt (1806) gehört zu den verhältnismäßig wenig erforschten Kapiteln der preußischen Geschichte. Dies betrifft besonders die Rückwirkungen auf die Gesamtmonarchie, die von den umfangreichen Gebietserwerbungen durch die zweite und dritte Teilung Polen-Litauens ausgingen. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass der in Zusammenarbeit mit dem Potsdamer Kulturforum entstandene, dem in der auf ehemals polnischem Gebiet entstandenen Provinz Südpreußen lange Zeit tätigen Beamten Hans von Held gewidmete Sammelband weit mehr leistet, als nur Einblicke in dessen Biografie zu geben. Entstanden ist vielmehr ein breit gefächertes Panorama der preußischen Geschichte in der Zeit um 1800, das ausgehend von den Tätigkeitsschwerpunkten Helds vor allem die Entwicklung der Verwaltung, der preußisch-polnischen Kontakte und der Publizistik abbildet.
Einleitend schildert die Mitherausgeberin Anna Joisten kurz den Lebensweg des Sohnes eines im schlesischen Glogau stationierten preußischen Offiziers. Held erlangte eine gewisse Berühmtheit vor allem deshalb, weil er zu jenen Beamten gehörte, die öffentlich scharfe Kritik an der Verwaltung in den ehemals polnischen Gebieten äußerten, und deswegen 1801 zu anderthalbjährigem Festungsarrest verurteilt wurde. Auf diesen ersten Aufriss von Helds Biografie folgen Beiträge zur zeitgenössischen Politik und Verwaltung in Preußen (Tobias Schenk) und speziell in Schlesien (Joachim Bahlcke), in Polen (Hans-Jürgen Bömelburg) und speziell in Südpreußen (Markus Krzoska). Anschließend analysiert Roland Gehrke die für die Biografie Helds zentrale Problematik der Neuvergabe von Gütern, die von der Verwaltung nach dem Kościuszko-Aufstand von 1794 in Süd- und Neuostpreußen eingezogen worden waren. Die von Held und anderen öffentlich vorgetragene Kritik des dabei von Provinzialminister Karl Georg von Hoym verfolgten Verfahrens als Korruption ungeheuren Ausmaßes kann Gehrke weitgehend widerlegen, verweist aber auf deren Bedeutung als Zeichen einer zunehmend kritischen Einstellung von Teilen der Beamtenschaft gegenüber traditionellen Formen der Patronage.
Die publizistische Tätigkeit Helds, die im Rahmen dieser Auseinandersetzungen mit der Veröffentlichung des sog. "Schwarzen Buches" der vergebenen Güter ihren Höhepunkt fand, aber keineswegs darauf beschränkt war, schildert ausführlich Joisten. Eingerahmt wird ihr Beitrag von mehreren Aufsätzen, die Einblick in die Entfaltung einer aufgeklärten Öffentlichkeit im östlichen Preußen geben. Geschildert werden die bürgerliche Geselligkeit in Glogau (Bahlcke) und Posen (Wolfgang Kessler), die dynamische Entwicklung von Leseverhalten und Druckwesen (Esther-Beate Körber), die Zensur und ihre Umgehung (Christine Haug), die Reaktionen auf die Französische Revolution und die polnische Maiverfassung in der deutschsprachigen Publizistik (Gehrke) und schließlich die Presselandschaft in Preußen und Polen sowie besonders in Südpreußen (Matthias Barelkowski). Daniel Hohrath ordnet darüber hinaus, ausgehend vom Festungsarrest Helds, die unterschiedlichen Formen von Festungsstrafen in die preußische Strafrechtspraxis ein, und Wolfram Siemann schildert, verbunden mit einer äußerst positiven Darstellung der politischen Vorstellungen Klemens von Metternichs, die Diskussionen auf dem Wiener Kongress über die Zukunft Polens. Den Band beschließt ein weiterer Beitrag von Joisten, der die späteren Interpretationen des Wirkens von Held in den Blick nimmt. Überzeugend verdeutlicht die Autorin, wie sehr die Einschätzungen dessen kritischen Auftretens von der Einstellung der jeweiligen Autoren zur preußischen Bürokratie geprägt wurden.
Den abschließenden Überlegungen Joistens, dass sich anhand der Biografie Helds wesentliche Entwicklungen der Epoche und besonders der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte analysieren lassen, kann unbedingt zugestimmt werden. Der vorliegende Band ist selbst ein klarer Beleg dafür. Allerdings fällt auf, dass der Fokus auf die preußische Beamtenschaft zu zumindest partiellen Übernahmen von deren Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse führt, auch wenn das Bemühen, auch der polnischen Sicht gerecht zu werden, durchaus erkennbar ist. Die von der Überzeugung eigener Fortschrittlichkeit geprägte, zeitgenössische deutsche Sicht auf alle fremden Gesellschaften, die Bernhard Struck am Vergleich von Frankreich- und Polenreisen verdeutlicht hat [1], kommt allerdings nicht zur Sprache, und die für preußische Beamte typische Verbindung von Gesellschaftskritik mit antipolnischen Ressentiments wird zwar thematisiert, aber ihre legitimatorische Funktion für deren Herrschaftsanspruch nicht wirklich ausgeleuchtet.
In diesem Kontext kommt es gelegentlich zu irritierenden Aussagen: etwa wenn der mit einer größeren Abbildung vorgestellte Weichselzopf (plica polonica), eine vollständige Verfilzung des Haarschopfes, die vor allem in der bäuerlichen Bevölkerung anzutreffen war und zeitgenössisch häufig mit mangelnder Hygiene assoziiert oder magischen Vorstellungen zugeschrieben wurde, als Mode des polnischen Adels beschrieben wird, obwohl dieser sonst eher dafür bekannt ist, sich den Schädel rasiert zu haben. Andererseits wird die Wahrnehmung der preußischen Beamten durch ihre polnische Umgebung als arrogant, herrschsüchtig und im Alltag ungeheuer korrupt fast gar nicht angesprochen. Eine etwas stärkere Berücksichtigung polnischer Forschungsperspektiven, eventuell durch Einbeziehung polnischer Autorinnen und Autoren, hätte den Band in dieser Hinsicht vielleicht noch ausgeglichener gestalten können.
Auch dann könnte er allerdings den Mangel an neueren Forschungen zur Geschichte der preußischen Ostprovinzen zwischen 1793 und 1806 nicht ausgleichen. Es fehlen hier - angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Themen und Beitragenden letztlich verständlich - übergreifende Analysekonzepte, die es erlauben würden, der zwiespältigen Rolle und Situation von preußischen Beamten in den ehemals polnischen Gebieten wirklich gerecht zu werden. Ältere Konzepte von Modernisierung und Bürgerlichkeit blenden häufig zu sehr die Eigenlogik von Macht und Herrschaft der sich als fortschrittlich legitimierenden Verwaltung und ihrer sich als bürgerlich beschreibenden, teilweise aber, wie Held selbst, durchaus adligen Akteure aus. Sie sollten stärker mit Konzepten zur Erforschung (post)kolonialer Verhältnisse und vor allem diskursiver Konstruktion von Ungleichheit verbunden werden. [2] Angesichts der steilen Karrieren einiger zuvor in Süd- und Neuostpreußen tätigen Beamten während der preußischen Reformzeit hätte dies zudem den Reiz, auch diese Epoche aus einem neuen Blickwinkel betrachten zu können.
Das Fehlen solcher Perspektiven ist dem reich illustrierten und gut lesbaren Band, der sich ganz augenscheinlich nicht in erster Linie an die Fachwissenschaft wendet, letztlich nicht vorzuwerfen. Vielmehr soll hier positiv hervorgehoben werden, dass er die Möglichkeiten aufzeigt, die seine Themen für neue Forschungen bieten. Die Vielzahl der Anmerkungen zu den Aufsätzen ermöglicht zudem einen guten Einblick in den aktuellen Stand der Fachliteratur. Dem Band ist also nicht nur zu wünschen, dass er auf Interesse bei einem breiten Publikum stößt, sondern auch, dass er von der Fachöffentlichkeit rezipiert wird.
Anmerkungen:
[1] Bernhard Struck: Nicht West - nicht Ost. Frankreich und Polen in der Wahrnehmung deutscher Reisender zwischen 1750 und 1850, Göttingen 2006.
[2] Vgl. dazu grundlegend Michael G. Müller: Die Historisierung des bürgerlichen Projekts - Europa, Osteuropa und die Kategorie der Rückständigkeit, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 29 (2000), 163-170.
Karsten Holste