Rezension über:

Christian Rohrer: Landesbauernführer. Band 1: Landesbauernführer im nationalsozialistischen Ostpreußen. Band 2: Die Landesbauernführer des Reichsnährstandes (1933-1945), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, 2 Bde., 758 S., ISBN 978-3-525-30097-8, EUR 110,00
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Rezension von:
Kristian Mennen
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Kristian Mennen: Rezension von: Christian Rohrer: Landesbauernführer. Band 1: Landesbauernführer im nationalsozialistischen Ostpreußen. Band 2: Die Landesbauernführer des Reichsnährstandes (1933-1945), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 11 [15.11.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/11/33669.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Christian Rohrer: Landesbauernführer

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Ausgangspunkt der vorliegenden zweibändigen Ausgabe ist die Person Erich Spickschens, 1935-1945 Landesbauernführer der Landesbauernschaft Ostpreußen, des Landesverbandes des Reichsnährstandes. Über die biografische Ebene hinaus leistet das Buch einen Beitrag zur rapide wachsenden Historiografie zu den Themen Landwirtschaft, Ernährungs- und Siedlungspolitik im Nationalsozialismus und bietet eine solide Grundlage für weitere Forschungen zur Geschichte Ostpreußens.

Im ersten Band sind fünf Einzelstudien mit jeweils eigenen methodischen und thematischen Perspektiven gebündelt. Die erste Einzelstudie enthält neben Spickschens eigentlicher Biografie eine ausführliche Betrachtung, ob sein Werdegang der eines "typischen" Landesbauernführers gewesen sei. Für diesen Zweck wählte Christian Rohrer einen kollektivbiografischen Zugang für diese Gruppe nationalsozialistischer Funktionäre. Die Kurzbiografien aller Landesbauernführer wurden in ein Personenlexikon (Band 2) aufgenommen, das eine unentbehrliche Grundlage für zukünftige Forschungen zur agrarpolitischen Elite des NS-Regimes darstellen wird.

Das zweite Kapitel zur Landesbauernschaft Ostpreußen betrachtet einleitend die Lage der Bauern Ostpreußens in den 1930er Jahren. Zu den strukturellen Problemen der Landwirtschaft im Deutschen Reich kamen für diese stark landwirtschaftlich geprägte Provinz die isolierte Lage nach 1918 und die Abwanderung der Landbevölkerung belastend hinzu. Auch die nationalsozialistische Agrarpolitik oder Gesetze wie das Reichserbhofgesetz von 1933 konnten diese strukturellen Probleme nicht beheben (150). Die Darstellung der Organisationsstrukturen des Reichsnährstandes wird durch Angaben über Spickschens Mitarbeiter in der Landesbauernschaft und ein eigenes Verzeichnis biografischer Skizzen ergänzt. In den polykratischen Strukturen der ostpreußischen Landwirtschaft musste die Landesbauernschaft neben den Reichsbehörden und unterschiedlichen nationalsozialistischen Massenorganisationen auch mit dem Einfluss von Gauleiter Erich Koch rechnen. Dessen Kompetenzstreitigkeiten mit dem Reichslandwirtschaftsministerium seien 1934/35 noch ein Hindernis für Spickschens Ernennung als Landesbauernführer gewesen (53 ff.). Das dennoch erfolgreiche Funktionieren der Landesbauernschaft ließe sich dadurch erklären, dass die Funktionäre viele Ämter in Personalunion vereinten. Die Landesbauernführer besaßen während des Krieges Schlüsselpositionen bei der Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion. Die lückenlose Versorgung mit Nahrungsmitteln hatte im Zweiten Weltkrieg höchste politische Priorität. Als zentraler Akteur in der Kriegsernährungspolitik und bei der Planung des Einsatzes ausländischer Zwangsarbeiter sei Spickschen deutlich mehr als nur ein "Mitläufer" gewesen (80).

In der dritten Einzelstudie zu Ideologie und Propaganda wird dargelegt, dass in Spickschens Schriften vor allem die für den Reichsnährstand zentralen nationalsozialistischen Begriffe "Volksgemeinschaft" und "Blut und Boden" im Mittelpunkt standen. Die Wirkung seiner propagandistischen Tätigkeit im bäuerlichen Milieu Ostpreußens wird als gering eingestuft.

Die vierte Einzelstudie behandelt Spickschens Rolle in der Besatzungs- und Bevölkerungspolitik in den eroberten Gebieten Osteuropas. Durch die Eingliederung ehemaliger polnischer Gebiete, des Regierungsbezirks Zichenau (Ciechanów) und des Bezirks Bialystok (Białystok), wurden Siedlungspolitik und die "Neubildung deutschen Bauerntums" zu sehr konkreten und praktischen Aufgaben des ostpreußischen Landesbauernführers. Die ideologisch bedingte Ansiedlung neuer "Wehrbauern" scheiterte aber letztlich am Arbeitskräftemangel. Die Kriegsernährungswirtschaft konnte bis Ende 1944 nur noch durch den Einsatz der enteigneten polnischen Hofeigentümer und deportierten Zwangsarbeiter weiterfunktionieren.

Rohrer betont richtigerweise, dass der Begriff "Umsiedlung" polnischer oder jüdischer Bauern nur ein Euphemismus für brutale Vertreibung sei und die entsprechende Aktion "in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Holocaust" (295) stehe. Dennoch bleibt dieser Bereich sehr abstrakt: Während Spickschen selbst und sein Verwaltungsapparat sehr ausführlich analysiert werden, wird nicht weiter darauf eingegangen, wie die Vertreibungen und der Einsatz von Zwangsarbeitern in der Praxis organisiert wurden. Weil das Schicksal der polnischen Bevölkerung in der Darstellung nicht geklärt wird, bleiben am Ende Lücken und offene Fragen - natürlich auch bedingt durch den Aufbau des Buches in fünf Einzelstudien. Wenn zum Beispiel im Propagandakapitel Zeitschriften der Landesbauernschaft in polnischer Sprache erwähnt werden, bleibt die Frage unbeantwortet, ob denn polnische Bauern wirklich Rezipienten nationalsozialistischer Durchhalteparolen sein sollten (241 f.).

In einer quantitativen Analyse der Gerichtsverfahren in Zusammenhang mit dem Reichserbhofgesetz geht Rohrer in der fünften und letzten Einzelstudie auf die Verfahren aus Ostpreußen und die praktische Abwägung ideologischer und wirtschaftlicher Argumente bei einzelnen Entscheidungen ein. Aufgrund seiner angesammelten Funktionen und Aufgaben als Landesbauernführer habe Spickschen auch in diesem Bereich als sehr mächtiger Akteur zu gelten.

Die Studien zur Landesbauernschaft Ostpreußen zeigen beispielhaft, wie Erkenntnisse aus einer Region auf den Reichsnährstand insgesamt übertragen werden können. Gerade die besonderen Merkmale Ostpreußens laden zu weiteren Nachforschungen zu den anderen Landesbauernschaften ein.

Für die notwendigen neuen Forschungen zum Reichsnährstand ist mit Landesbauernführer ein Standardwerk und eine wichtige Daten- und Quellengrundlage geschaffen.

Kristian Mennen