Rezension über:

Sandra Hindriks: Der "vlaemsche Apelles". Jan van Eycks früher Ruhm und die niederländische "Renaissance", Petersberg: Michael Imhof Verlag 2019, 347 S., 169 Farb-, 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0641-4, EUR 69,00
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Rezension von:
Martin Büchsel
Kunstgeschichtliches Institut, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Martin Büchsel: Rezension von: Sandra Hindriks: Der "vlaemsche Apelles". Jan van Eycks früher Ruhm und die niederländische "Renaissance", Petersberg: Michael Imhof Verlag 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 12 [15.12.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/12/33145.html


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Sandra Hindriks: Der "vlaemsche Apelles"

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Sandra Hindriks möchte in ihrer Dissertation den Ruhm, den Jan van Eyck im 15. und 16. Jahrhundert erlangt hat, in der Zusammenschau schriftlicher und bildlicher Quellen analysieren. Es geht also um eine Retrospektive, in der geklärt werden soll, wieweit die Vorstellung, die sich das 15. und 16. Jahrhundert von Jan van Eyck gemacht hat, für dessen Kunst selbst reklamiert werden kann oder als nachträgliche Ikonisierung des Künstlers zu verstehen sei. Die Beantwortung dieser Frage ist für Hindriks gleichbedeutend mit der Definition dessen, was "niederländische Renaissance" sei. Sie schließt sich Positionen an, die die "Renaissance" nicht allein auf Italien zentriert verstehen, sondern als länderübergreifende Epochenbezeichnung. Es versteht sich, dass in der "nordalpinen Renaissance" nicht die Antike wiedergeboren wird. Dürer konnte deshalb von "Wiedererwachsung" reden, weil er davon ausging, dass er sich mit den "wissenschaftlichen Grundlagen" der antiken Kunst beschäftigen und dieses Kunstverständnis gegen eine Kunstpraxis, die auf bloßem "Brauch" beruhe, wenden könne. Folgt man der Darlegung Hindriks, dann muss man die "niederländische Renaissance" als Kunst definieren, die im Sinne der antiken Rezeptionsästhetik beschrieben werden kann, an die die Autoren anknüpfen, die im 15. und 16. Jahrhundert Jan van Eyck loben.

Im engeren Sinne stellt die Arbeit die literarische Rezeption Jan van Eycks im 15. und 16. Jahrhundert dar. Dass Jan van Eyck und Rogier van der Weyden zu den besten Malern ihrer Zeit gerechnet werden, ist zuerst bei italienischen Autoren zu finden. Bartolomeo Fazio hat ausführlich Bilder Jan van Eycks gewürdigt. Die Bewunderung von Bildern Jan van Eycks spielt hier eine wichtige Rolle (Heike Schlie). Andererseits treten die Kriterien heraus, die im Anschluss an Plinius entwickelt werden: Naturnachahmung bis zur äußersten Augentäuschung, Lebendigkeit, Ausdruck von Emotionen, maltechnische Gelehrsamkeit und geometrische Kenntnisse. Es wird hier schon Vasaris Mitteilung vorbereitet, dass Jan van Eyck der Erfinder der Ölmalerei sei. Wir erfahren, dass er Entdeckungen im Bereich der Farben gemacht habe. Hindriks sieht hier den Vergleich mit Apelles intendiert, dessen Farbauftrag von Plinius ausdrücklich gewürdigt wurde. Ja Fazio unterstellt, dass die Gelehrsamkeit des Künstlers in Bezug auf die Farben dadurch zustande gekommen sei, dass dieser Plinius gelesen habe. Damit wird nicht nur die Rezeptionsästhetik als Produktionsästhetik proklamiert, sondern es wird eine gemeinsame Gelehrsamkeit proklamiert, die den Künstler mit dem Humanisten verbindet.

Der Weg zu van Mander ist nun vorgeschrieben. Vasari interpretiert den großen Eindruck, den der Farbauftrag Jan van Eycks in Italien machte und erklärt ihn zum Erfinder der Ölmalerei, um aber den disegno als die vorzügliche Kunst, die besonders in Florenz zu finden ist, über den Farbauftrag zu setzen. Die niederländischen Kunstschriftsteller, Lucas de Heerte, Marcus van Vaerenwijck und schließlich Karl van Mander interpretieren wiederum Vasari und geben nun der Erfindung der Ölmalerei die Palme. Hier kommt ihnen der legendäre Bericht zupass, Antonello da Messina sei nach Brügge gezogen, um von Jan Eyck die Ölmalerei zu erlernen. Die Italiener bedurften der Niederländer, um in die Geheimnisse der Ölmalerei eingeweiht zu werden.

Mit der Würdigung von Jan Van Eyck als Schlüsselfigur der Malerei wird zugleich der Vorbildcharakter seiner Werke - genauer genommen - einzelner Werke etabliert. Um 1500 werden mehrfach die Springbrunnenmadonna, die Kirchenmadonna, das Porträt Christi, die Paele-Madonna und natürlich der Genter Altar kopiert. Obwohl dazu kein für den burgundischen Herzog gemaltes Bild gehört - die humanistischen Autoren wissen nur, dass Jan van Eyck für Philipp II. eine Mappa mundi gemalt habe, Kanzleiakten berichten, dass Jan van Eyck nach Portugal gereist sei, um für die Herzogin Isabella von Portugal zu porträtieren - gibt Hindriks Jan van Eycks Funktion als Hofmaler ein besonderes Gewicht. Denn das Verhältnis von Jan van Eyck zu Philipp sei selbst schon als Verhältnis von Apelles zu Alexander inszeniert worden. Als Werk des Hofmalers versteht Hindriks auch den Genter Altar, obwohl dieser für die Privatkapelle des Genter Bürgers Joos Vijd geschaffen worden ist. Es verwundert, dass 1458 beim Einzug des Herzogs der Altar als identitätsstiftendes Monument fungierte, das offenbar erlaubte, das Verhältnis der zuvor rebellischen Stadt - mit schlechtem Ausgang für die Stadt - zu dem Herzog zu definieren. So versteht man das tableau vivant, das die Genter Bürger nach Anleitung des Altars dem Herzog bei seinem Einzug darboten. Für Hindriks konnte der Genter Altar diesen Rang nur erhalten, weil er schon ursprünglich höfisch konnotiert war. Dabei verlässt sich die Autorin aber auch auf zweifelhafte Argumente wie die Annahme, eine der Sibyllen sei als Kryptoporträt von Isabella von Portugal zu verstehen. Aber auch der vieldiskutierte Vierzeiler, der den kunsthistorisch nicht fassbaren Hubert van Eyck den besten Maler seiner Zeit nennt, der das das Werk begonnen habe, das dann von Jan van Eyck, dem zweitbesten Künstler seiner Zeit, vollendet worden sei, wird als Beleg angeführt. Nils Büttner, der wie Volker Herzner an der Authentizität des Epigramms zweifelt, hat darauf hingewiesen, dass das Datum der Vollendung des Altars, 6. Mai, 1432, das die Inschrift nennt, das Datum der Taufe des zweiten Sohnes des Herzogs ist, die in Gent vollzogen wurde. Wurde der Altar tatsächlich 1432 vollendet und mit dieser Inschrift versehen, diente er - so folgert Hindriks - schon damals der herzoglichen Repräsentation. Es bleibt die Schwierigkeit, dass beim Genter Altar stilkritisch nicht sinnvoll zwischen Hubert van Eyck und Jan van Eyck unterschieden werden kann, obwohl das bei unterschiedlichen Werkstätten kaum vorstellbar ist, dass es andererseits - seitdem der Altar zur Sensation geworden war - sehr gute Gründe für die Administration der Johanneskirche gegeben hat, die Memoria des dort beerdigten Hubert van Eyck mit dem Altar zu verbinden. Diese Gründe gab es schon 1458, nicht erst im 16. Jahrhundert. 1458 sollte daher als Datum der Entstehung des Vierzeilers erwogen werden. Hier sollte die Diskussion - damit sind nicht die Ausführungen Hindriks gemeint - weniger aufgeregt und bekennerhaft geführt werden.

Um die These zu unterstreichen, dass Jan van Eyck nicht erst im Nachhinein als "Renaissance" wahrgenommen wurde, sondern als solche schon initiiert wurde, bezieht sich Hindriks zu Beginn ihrer Arbeit auf Interpretationsmodelle, die diese Vorstellung unterstützen, wie auf den von Rudolf Preimesberger ausgemachten Paragone zwischen Malerei und Bildhauerei im Diptychon im Museo Thyssen-Bornemisza. Auch die These der gemalten Ästhetik, die nur in Bildern, nicht aber in Traktaten überliefert worden sei, oder der gemalten Poesie wird wiederholt, ohne sich dabei klar zu machen, dass diese Vorstellungen vom Primat der Ästhetik und Sprache ausgehen.

Muss man wirklich die spätere humanistische Rezeptionsästhetik als Produktionsästhetik unterstellen? Damit kommt auch Hindriks nicht aus. Am Ende des Buches werden Interpretationen wiederholt, die weniger scharf die Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit ziehen. Einerseits soll der "Kunstwert" mit dem "Kultwert" verbunden, andererseits das "Kunstbild" gegen das "Kultbild" abgesetzt werden, wie es der Titel zur Vera Icon "Vom Kult- zum Kunstbild" verrät. Diese wenig hilfreichen Klischees verdecken die Schwierigkeit, in Engführung die Epitheta der Rezeptionsästhetik als Unterscheidungskriterien zu entwickeln. Beschreibt die Rezeptionsästhetik artifizielle Formen lediglich anders oder bietet sie eine Erweiterung der Betrachtung oder stellt sie gar eine Zäsur in der Wahrnehmung dar? Der Unterschied zwischen "Kultbild" und "Kunstbild" ist genau genommen ein Kategorienfehler. Die Einschätzung eines Bildes als verehrungswürdig gehört der Bildpragmatik an und kann mit einem Bild ebenso verbunden werden, das die Rezeptionsästhetik als Kunstwerk beschreibt, wie mit einem Bild, dem die Eigenschaft, Kunstwerk zu sein, abgesprochen wird. Jan van Eyck bezieht sich auf artifizielle Formen des Bildes Christi, die bewusst machen, dass die Aufgabe, das Bild Christi als Porträt erscheinen zu lassen, als die Herausforderung verstanden wurde, zugleich die Nahbarkeit und die Unnahbarkeit zu verdeutlichen. Was als Thema der Devotion verstanden werden kann, kann ebenso als Ausdruck besonderer Kunstfertigkeit dargelegt werden.

Beschäftigt man sich mit dem "Realismus" oder "Naturalismus" der frühen Niederländer, dann kommt man schwerlich mit dem Hinweis auf Beispiele perfekter Mimesis aus, die bis zur Augentäuschung reichen. Bei der Fliege auf dem Rahmen des Kartäuserporträts von Petrus Christus kann ja zu Recht an Zeuxis gedacht werden, das ändert aber nichts daran, dass der "Realismus" der Niederländer als Fortentwicklung des "Detailrealismus" der internationalen Gotik zu verstehen ist. Der "Realismus" verlangt keine realistische Einheitlichkeit. Der pyramidale Aufbau der Marienfiguren, die Gewandrhetorik etc. weichen nicht der Naturbeobachtung. Hindriks zitiert Stephan Kemperdicks Interpretation der Illustration der Legende (Miniatur einer Handschrift des Rosenromans um 1500, London British Library), dass Zeuxis fünf Jungfrauen zum Modell gewählt habe, um eine ideale Figur zu schaffen. Die Legende will das Selektions- und Komparationsverfahren verdeutlichen. Nach Kemperdick soll der Betrachter in allen Jungfrauen die Eva des Genter Altars erkennen. Diese Interpretation, die den Sinn der Legende konterkariert, lässt doch fragen, ob nicht die Gemeinsamkeit im gotischen Typus besteht, der Jungfrauen so erscheinen lässt, als ob sie schwanger wären. Auch Jan van Eyck hatte trotz seiner mimetischen Fähigkeiten kein unschuldiges Auge, sondern sah mitunter mit "gotischen Augen" die Wirklichkeit und teilte diese Wahrnehmung offenbar mit anderen Künstlern.

Fragt man nach der Rolle von Emotionen, dann reicht der Hinweis auf das humanistische Künstlerlob nicht aus, sondern man muss fragen, wieso etwa beim Porträt kein näher benennbarer Ausdruck von Emotionen zu finden ist (Johanna Scheel), wohl aber beim Personal der Beweinung Christi. Die mittelalterlichen Traktate attestieren den Bildern, die Liebe zu den Heiligen zu erhöhen. Die Erregung von Emotionen wird so in seiner Funktion für die Devotion beschrieben, während die rezeptionsästhetischen Angaben diese Affizierung als Ausdruck besonderer Kunstfertigkeit klassifizieren. So ergeben sich nicht nur zahlreiche Indifferenzen zwischen unterschiedlichen Systemen der Beschreibung, sondern es drängt sich auch die Frage auf, welchen Erkenntniswert das Unterfangen hat, die "niederländische Renaissance" definieren zu wollen.

Die Arbeit Hindriks überzeugt als Studie zur Jan van Eyck-Rezeption. Als Untersuchung zur "niederländischen Renaissance" ist sie ein Plädoyer, dem es, um mehr zu sein, an methodischer Stringenz fehlt.

Martin Büchsel