Rezension über:

Adam Dziurok / Piotr Madajczyk / Sebastian Rosenbaum (Hgg.): Die deutschen Minderheiten in Polen und die kommunistischen Behörden 1945-1989, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, 380 S., ISBN 978-3-506-78717-0, EUR 49,90
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Rezension von:
Kornelia Kończal
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Kornelia Kończal: Rezension von: Adam Dziurok / Piotr Madajczyk / Sebastian Rosenbaum (Hgg.): Die deutschen Minderheiten in Polen und die kommunistischen Behörden 1945-1989, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 12 [15.12.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/12/33821.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Adam Dziurok / Piotr Madajczyk / Sebastian Rosenbaum (Hgg.): Die deutschen Minderheiten in Polen und die kommunistischen Behörden 1945-1989

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Mit der Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa ging die Geschichte der Deutschen in Polen bekanntlich nicht zu Ende. Die deutsche Minderheit im Nachkriegspolen bestand aus drei sich überlappenden Kategorien: den so genannten "anerkannten Deutschen", einem Teil der im deutsch-polnischen Grenzgebiet Lebenden und einem Teil der Volksdeutschen. Obwohl die kommunistischen Behörden die Präsenz dieser Menschen in den einst deutschen Gebieten leugneten, erlaubten sie einigen von ihnen, bestimmten Bildungs- und Kulturaktivitäten während gewisser Zeiträume nachzugehen. Diese widersprüchliche Politik hatte zur Folge, dass die Deutschen in Polen in einem Spannungsverhältnis zwischen Diskriminierung und Privilegierung beziehungsweise Anerkennung und Assimilation lebten. Der von Adam Dziurok, Piotr Madajczyk und Sebastian Rosenbaum herausgegebene Sammelband setzt sich zum Ziel, die verschiedenen Facetten der Geschichte der Deutschen in der Volksrepublik Polen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene zu erhellen. Es handelt sich um die deutsche Ausgabe eines Sammelbandes, der auf eine 2013 in Gliwice (Gleiwitz) veranstaltete Konferenz zurückgeht und 2016 bereits auf Polnisch veröffentlicht wurde. [1]

Das Buch besteht aus einer umfangreichen Einführung von Madajczyk, die den polnischen Forschungsstand zur "Geschichte der polnischen Deutschen in der Volksrepublik Polen" behandelt, sowie 27 konzisen Beiträgen, die bis auf zwei Ausnahmen von polnischen Autor/inn/en verfasst wurden. Ungefähr die Hälfte der Aufsätze stellen regionale beziehungsweise lokale Fallstudien dar. In einigen Fällen handelt es sich um akribische Analysen, die sich auf eine Quellensorte - mit einer besonderen Vorliebe für Berichte polnischer Sicherheitsbehörden - fokussieren. Folglich treten die größeren Zusammenhänge stellenweise in den Hintergrund. Die meisten Autoren analysieren dabei entweder die Perspektive der Deutschen oder die der kommunistischen Behörden. Gelungene Versuche, diese forschungstechnisch bequeme Binarität zu überwinden, finden sich insbesondere in den Studien von Katharina Friedla und Marcin Owsiński, die zugleich die Produktivität des mikro-historischen Blicks illustrieren. Friedlas Aufsatz beschäftigt sich mit den Schicksalen der bis zu 1800 deutschen Holocaustüberlebenden, die nach Kriegsende in Wrocław (Breslau) registriert wurden. Anhand von Archivmaterialien und Interviews rekonstruiert Friedla die schwierigen, nicht selten von Gewalt und Plünderungen geprägten Begegnungen deutscher Juden mit sowjetischen Soldaten sowie polnischen und polnisch-jüdischen Siedlern. Owsińskis Blick gilt dem Dorf Sztutowo (Stutthof) in der Nähe von Gdańsk (Danzig), auf dessen deutsch-polnische Nachkriegsgeschichte das ehemalige Konzentrationslager einen langen Schatten warf. Anregend sind ebenfalls die auf biografischen Interviews basierende Studie von Irena Kurasz über die Alltagsgeschichte der Deutschen in Niederschlesien sowie der Aufsatz von Bogusław Kopka über "Deutsche und Polen in den Arbeitslagern des Ressorts für Öffentliche Sicherheit" zwischen 1945 und 1954. Mit Gewinn liest man auch die Überblicksdarstellung über die "Tätigkeit der Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen" von Łukasz Jasiński, Tomasz Browareks "Versuch einer Periodisierung der Politik des polnischen Staates gegenüber der deutschen Bevölkerung" nach 1945, den synthetischen Aufsatz von Claudia Schneider zu Übersiedlungen der Deutschen aus Polen in die DDR sowie Studien, die sich mit der Lage der Deutschen im Polen der 1950er (Stanisław Jankowiak) und 1960er Jahre (Paweł Popieliński) beschäftigen.

Über die konkreten Fallstudien und Überblicksdarstellungen hinaus bringt der Sammelband auch allgemeinere Erkenntnisse über die Verfassung der polnischen Deutschlandforschung. Madajczyk schreibt in seiner Einführung: "In den Forschungen der 1990er Jahre konnte der größte Fortschritt verzeichnet werden, als wichtige Quelleneditionen, Monografien und Aufsätze erschienen. Gerade sie sollten den Ausgangspunkt für künftige Arbeiten darstellen, in denen die Autoren neue Fragen stellen, die bisherigen Thesen hinterfragen oder sie vertiefen. Doch die vorhandenen Möglichkeiten blieben bislang ungenützt" (14). Ein Blick über den polnischen Tellerrand hinaus bestätigt diesen Eindruck: Die große Anzahl tschechischer (Qualifikations-)Arbeiten zur Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Tschechoslowakei und zu verschiedenen Aspekten der deutschen Präsenz in der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte hat in Polen kein Pendant. Madajczyk setzt allerdings noch kritischer fort, indem er in den polnischen Forschungen zur Geschichte der Deutschen einen spezifischen Hang zur Nachahmung konstatiert: "Viele im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu diesem Themenkomplex arbeitende Forscher setzten sich nicht das Ziel, ihre Befunde mit den älteren Forschungsergebnissen abzugleichen. Sie versuchen, die Geschichte so darzustellen, wie sie vermutlich gewesen ist, auch wenn ihre Arbeiten damit nur Wiederholungen oder blasse Kopien der Forschungen aus den 1990er Jahren darstellen" (14).

Der hier besprochene Band erfüllt eine Doppelrolle, indem er die von Madajczyk festgestellten Tendenzen sowohl dokumentiert als auch neue Perspektiven eröffnet und somit Auswege aus der Sackgasse aufzeigt. Zum einen bekommt der Leser faktenreiche Analysen zu den Entwicklungen in den einzelnen Städten und Regionen der einst deutschen Gebiete Polens, die vorwiegend aus der Perspektive der Sicherheitsbehörden rekonstruiert wurden und somit von leitmotivisch wiederkehrenden Befunden geprägt sind. Zum anderen aber enthält der Band auch einige multiperspektivische Studien, die das Verhältnis zwischen der angeblich nicht existenten deutschen Minderheit in Polen und den kommunistischen Behörden in ein neues Licht rücken, und Überblicksdarstellungen mit Mut zur Synthese.


Anmerkung:

[1] Adam Dziurok, Piotr Madajczyk [u.a.] (Hgg.): Władze komunistyczne wobec ludności niemieckiej w Polsce w latach 1945-1989, Warszawa 2016.

Kornelia Kończal