Laure Fagnart / Isabelle Lecocq: Arts et artistes du Nord à la cour de François Ier (= Armarium: Moyen Âge - première Modernité; Vol. 1), Paris: Éditions A. et J. Picard 2017, 256 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-2-7084-1032-9, EUR 39,00
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Cécile Scailliérez: François Ier et l'art des Pays-Bas, Paris: Somogy éditions d'art 2017, 479 S., 335 Abb., ISBN 978-2-7572-1304-9, EUR 45,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Michaela Völkel: Schloßbesichtigungen in der Frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Frage nach der Öffentlichkeit höfischer Repräsentation, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007
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Der Band Arts et artistes du Nord à la cour de François Ier hat sich als Ziel gesetzt, den in der Forschung zur Kunstpolitik am französischen Hof in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts seit langem dominierenden Italienprimat in der königlichen Kunstförderung zu relativieren. Dies geschieht zum einem im Rückgriff auf umfassend erforschte Phänomene wie das der Porträtpolitik, die das Darstellungsmonopol für die königliche facies bevorzugt flämischen Malern wie den Clouet [1], Joos van Cleve oder Jan van Scorel übertrug. Zum anderen werden eine ganze Reihe bisher wenig im Blick der Forschung befindliche nördliche Künstler (wieder-)entdeckt, die in mehr oder weniger engem Zusammenhang mit der Kunstproduktion für François Ier standen, so beispielsweise Léonard Thiry (im Beitrag von Jamie Kwan), Godefroy le Batave und Noël Bellemare (Guy-Michel Leproux). Es handelte sich bei diesen Künstlern vor allem um spartenspezifische Spezialisten - Grafiker bzw. Illuminatoren - und "Ausstattungskünstler", die - entsprechend den in den Niederlanden und Flandern befindlichen Produktionszentren - Tapisserien, Glasfenster, Majoliken etc. mit bellifontenesken Dekorationen fertigten.
Leproux' Überlegung, dass Godefroy le Batave den Antwerpener Manierismus in die Ile de France brachte, bedürfte noch genauerer Untersuchung, scheint es doch, als habe es zwischen den beiden manieristischen Zentren keine wirkliche Assimilation oder Rezeption gegeben. Der Seitenblick von Marie-Alexis Colin auf flämische Musiker in der französischen Hofkapelle belegt, dass sich die Rekrutierungspraxis in Frankreich ganz im europäischen Mainstream abspielte, wie ein Vergleich mit der päpstlichen Kapelle oder der in Ferrara hätte zeigen können. All dies relativiert jedoch nicht die Tatsache, dass der König für die herausgehobenen repräsentativen und damit seiner Imagegestaltung auch jenseits des Porträtfachs dienenden Aufträge auf die modernen italienischen Manieristen setzte. Die interessante These, dass die nördlichen Künstler (z. B. Pieter Coecke in seinen Glasmalereien) vor allem die Ornamentik von Fontainebleau rezipierten und so "an alternate view of classicism and antiquity adapted for Northern, particularly French, audiences" (96) entwickelten, wäre im Einzelnen und auf einer strukturellen Ebene auszuführen. Zudem hätte man in einem Sammelband zum Thema "Frankreich und der Norden" Beiträge auch von niederländischen oder gar deutschen Kollegen und Kolleginnen erwartet und ebenso bei der rezipierten Literatur auf das Überschreiten der üblichen Franco- und Anglophonie gehofft.
Die in den letzten Jahren entwickelten Methoden und Ansätze der Kulturtransfer- und Patronageforschung spielen in den Beiträgen so gut wie keine Rolle, zumeist wird hier kennerschaftliche Stilgeschichte geschrieben. Die Vorstellung, dass die Wahl eines bestimmten Stils politisch und nicht allein aus ästhetischen Vorlieben motiviert sein könnte, ist dem Band generell fremd. [2] Kaum einer der Beiträge erhebt weiterreichende hermeneutische Ansprüche. Eine Ausnahme bildet Lisa Mansfield, die in ihrem Text "The Grand Design of Francis I and his Northern Image-Makers: Jan van Scorel" die Hauptthesen aus ihrer Ph.D. These von 2016 zur Porträtpolitik am Hof von François Ier noch einmal zusammenfasst: Die um den französischen König entfaltete Porträtkultur sei gleichermaßen kommunikatives und performatives Ausgleichsprodukt zwischen dem Künstler, dem Porträtierten und dem supponierten Betrachter gewesen. Im Falle von Jan Scorel kann sie plausibel machen, dass der Künstler sich der konventionellen Rollenzuschreibung eines Hofkünstlers verweigerte: "Instead, he shaped an independent artistic identity that balanced sacred responsibilities with secularized cultural practices" (193). Zudem sei das Verhältnis von Repräsentation im Porträt und Macht in dieser Zeit am französischen Hof neu ausgehandelt worden. [3]
Der Beitrag von Anne-Sophie Laruelle über die Herkules-Identifikation des französischen Königs kommt hingegen über Proseminar-Niveau nicht hinaus. Der fakten- und quellengesättigte Text von Nicolas le Roux über die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und den südlichen Niederlanden verliert sich in Detailreferaten von Schlachten und Friedensverträgen, sodass die Idee einer zunehmenden Betonung nationaler Identitäten im Staatenbildungsprozess der Frühen Neuzeit (die übrigens schon Jacob Burckhardt in seinen Vorlesungen zur Neueren Geschichte entwickelt hat) nur ganz am Ende kurz aufscheint. So klingt das Fazit im Schlussbeitrag von Ethan Matt Kavaler wie das Postulat und die Beschwörung von etwas, das sich bei der Lektüre nur an wenigen Stellen manifestiert: "The studies in this volume have demonstrated the rich and complex cultural relationship between the court of Francis I and the Low Countries, the strong ties between artists and patrons in both regions and have revealed many areas for further research" (239).
Methodisch befindet sich der Band auf dem Stand einer altbackenen Traditionskunsthistoriografie, die sich vor allem für Zuschreibungen und Datierungsdebatten interessiert. So diskutiert Pierre-Gilles Girault umständlich, ob Gauthier de Campes mit dem so genannten Maître de saint Gilles identisch sei und ergeht sich in länglichen Datierungsquisquilien. Nur mit Hilfe von mehr oder weniger überzeugenden Neuzuschreibungen, die sich zumeist auf kennerschaftliche Stilkritik berufen, und Spätdatierungen ist die These haltbar, dass Gauthier de Campes mit dem Hof von François Ier je etwas zu tun hatte. Es verwundert daher nicht, dass durchgängig das Konzept eines auf Reziprozität der Interessen ausgerichteten Kulturtransfers durch das unanalytische des Einflusses ersetzt wird. Stellvertretend sei nur auf Claire Dumortiers Beitrag "L'influence bellifontaine sur la majolique anversoise" verwiesen; besonders schwammig-verschwimmend die Formulierung an anderer Stelle "un mélange d'influences diverses" (164). Offenbar ist Michael Baxandalls Kassandraruf in Frankreich bislang ungehört verhallt: In seinem berühmten "Exkurs wider den Einfluss" hatte er bereits 1985 dem Einfluss-Konzept mit deutlichen Worten eine Absage erteilt. [4] Der Einfluss-Begriff invertiert sinnlogische und chronologische Abfolgen von Phänomenen künstlerischer Bezugnahme auf Vorbilder - von Rezeptionsprozessen im methodologisch kontrollierten Wortgebrauch Konstanzer Prägung also - und führt sie damit ad absurdum. [5] Eine erfreuliche Ausnahme bildet hier der Beitrag von Franciszek Skibiński, der anhand verschiedener Werke eines anonymen Danziger Künstlers "transmission, assimilation, and remaking" (109) des Formenvokabulars von Fontainebleau über den Umweg der Niederlande plausibel machen kann. Wofür er dann doch noch den Terminus des "cross-influence" (110) bemühen muss, bleibt freilich unklar.
Nicht allein der Einfluss gehört zu den Unworten einer überholten, da unanalytisch und unkritisch agierenden Kunsthistoriografie, sondern auch weitere aquatische Metaphern wie "Strömung", die immer wieder im Band zu findende "Inspirationsquelle", das "Fluidum" oder der "Niederschlag". Auch der zweite hier zu besprechende Band, der monumentale Katalog zur Ausstellung "François Ier et l'art des Pays-Bas" 2017/18 im Louvre, ist überströmt von omnipräsenten "courants", "influences" und "vagues", die, nachdem alle Schleusen gebrochen waren, aus den Niederlanden nach Frankreich hinüberschwappten. Die Stile entwickeln sich in diesen "Strömungen" bis zum jeweiligen Kulminationspunkt des "Hochwassers", ohne dass dem Künstler noch ein Zugriffsrecht auf sie zugestanden würde.
Mit dem opulent ausgestatteten Pariser Ausstellungskatalog hat eine besonders ausgewiesene Kennerin der Kunst des französischen 16. Jahrhunderts, Cécile Scailliérez, in im besten Sinne positivistischer und quellengestützter Grundlagenforschung eine Materialbasis gelegt, auf welcher der Sammelband für eine vertiefende hermeneutische und analytische Erschließung des Phänomens hätte mit Gewinn aufbauen können. Dann wäre vielleicht auch präziser zu klären gewesen, was den "caractère nordique" der im Louvre gezeigten Kunst zum Beispiel im Hinblick auf Ausdrucksabsichten im Einzelnen ausmacht, und man hätte nicht auf dem Niveau der Kunstlandschaften als Stillandschaften verharren müssen. Unklar bleibt die Relation der beiden Forschungsunternehmen zueinander: Scailliérez tritt nur als Korrekturleserin des druckfertigen Manuskripts des Sammelbandes in dessen Vorwort in Erscheinung, nicht jedoch als Autorin.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a.: Cécile Scailliérez: François Ier par Clouet, Ausstellungskat., Paris 1996; Etienne Jollet: Jean et François Clouet, Paris 1997; Christine Tauber: Manierismus und Herrschaftspraxis. Die Kunst der Politik und die Kunstpolitik am Hof von François Ier, Berlin 2009, Kapitel 2.4: Porträtpolitik nach 1526.
[2] Vgl. hierzu den Band: Politikstile und die Sichtbarkeit des Politischen in der Frühen Neuzeit, hg. von Dietrich Erben / Christine Tauber, Passau 2016.
[3] Lisa Mansfield: Representations of Renaissance Monarchy. Francis I and the Image-Makers, Manchester 2016; vgl. meine Rezension in: Francia-Recensio 2017/2, https://perspectivia.net//receive/ploneimport2_mods_00003685.
[4] Michael Baxandall: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven / London 1985, 58-62.
[5] Hierzu: Christine Tauber: Noch einmal: "Wider den Einfluss". Statt einer Einleitung, in: Einfluss, Strömung, Quelle. Aquatische Metaphern der Kunstgeschichte, hg. von Ulrich Pfisterer / Christine Tauber, Bielefeld 2018, 9-25.
Christine Tauber