Felix Schumacher: Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808-1887). Ein Katholik in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen (= Historische Forschungen; Bd. 121), Berlin: Duncker & Humblot 2019, 598 S., ISBN 978-3-428-15624-5, EUR 119,90
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Die in Saarbrücken bei Gabriele B. Clemens bis 2016 entstandene Dissertation beschreibt und analysiert das Leben einer ambivalenten Figur, die zeitweise als Diplomat der zweiten Reihe, jahrzehntelang als Publizist zu Fragen Italiens und mit einigen Werken als (autodidaktisch gebildeter) Historiker wirkte. Dass Reumont "heute weitgehend vergessen" (11) gewesen sei, konnte man freilich 2019 nicht mehr behaupten, denn ein 2015 veröffentlichter Konferenzband war ihm gewidmet; Jens Petersen hat vor drei Jahrzehnten einen grundlegenden Aufsatz vorgelegt und in Nachschlagewerken wie den "Rheinischen Lebensbildern" ist sein Name vertreten. Schumacher selbst hat 2014 einen Aufsatz zur Person verfasst. [1] Er legt nun die umfassende, bei weitem umfangreichste Biographie vor, die er zudem breit in die zeitgenössischen Kontexte und personalen Netzwerke Italiens einbettet. Gute Italienisch-Kenntnisse erlaubten ihm, akribisch nicht nur in Aachen bzw. Bonn (wo der Nachlass ruht) und dem Berlin-Dahlemer Preußen-Archiv, sondern zuvörderst in einem Dutzend Verwahrstätten in Florenz, Rom und Turin nach Spuren Reumonts zu forschen. Der Band ist in drei Teile Leben (43-216) - Publizistik (217-475) - deutsch-italienische Vermittlung (476-531) gegliedert, liefert genaue bibliographische Nachweise, 35 Seiten Literaturverzeichnis und Personenregister. Insgesamt liegt eine beachtliche Leistung vor.
Anliegen Schumachers ist es, den liberalen rheinischen Katholiken Reumont politisch als Anhänger der toskanischen Moderati - etwa deutschen vormärzlichen Altliberalen vergleichbar - und kulturell als Mittler zwischen Deutschland und Italien zu präsentieren, der aus seiner Zeit heraus betrachtet werden müsse (31), denn sonst drohten Fehldeutungen und Vorurteile (40). Seit 1829 als Privatsekretär des preußischen Geschäftsträgers in Florenz lebend, begann er 1836 die diplomatische Laufbahn, wurde dort 1844 Legationssekretär und 1849 Geschäftsträger Preußens im Kirchenstaat, 1851 in Florenz. Kontakte zum italienbegeisterten König Friedrich Wilhelm IV. ab 1843 brachten Reumont die Nobilitierung 1846 und die Rolle als dessen (Reise-)Begleiter ein. Für Alexander von Humboldt war Reumont 1857 dessen "am wenigsten schädlicher Gesellschafter, (...) im Grund freisinnig, obgleich sehr katholisch" (543).
Reumonts Vision für die Einigung der italienischen Staaten war im Sinne der Moderati der Abzug der Österreicher und die Bildung einer Konföderation mit einem weltoffenen Papsttum an der Spitze, maßvolle Reformen und starke kommunale Autonomie (49f., 81, 192, 292-294). Mit der Revolution 1848/49 erwies sich dieses Ziel als unrealistisch. Denn demokratische Republikaner standen gegen die Herrschaftsansprüche des liberalen Patriziats nicht nur der Toskana sondern auch des Papstes auf, Pius IX. forcierte parallel seine autoritäre Kirchenpolitik bis zum Syllabus errorum, Habsburg verteidigte seine Präsenz militärisch, und Piemont-Sardinien schwang sich unter Cavour zur Führungsmacht auf. Toskanas Großherzog Leopold II. und Papst Pius IX. wurden von Hoffnungsträgern der Moderati zu Haßfiguren der Nationalbewegung (123). Reumont verfocht unbeirrt sein friedliches Vereinbarungskonzept und suchte zu vermitteln, was seine Möglichkeiten weit überstieg. Mit dem Anschluss der Toskana an Piemont 1860 wurde sein Diplomatenposten hinfällig und die Altliberalen der Neuen Ära in Preußen stellten Reumont als Mann der Entourage Friedrich Wilhelms IV. zur Disposition. Hier schätzt Schumacher die Berliner Außenpolitiker Schleinitz und Bernstorff bis 1862 allerdings falsch ein (206), indem er sie mit dem bald konfrontativ-kriegsbereiten Bismarck gleichsetzt. [2]
Der Ehrenbürger von Rom und Florenz (216) war der eifrigste langjährige Mittelsmann zwischen deutschen und italienischen Gelehrten oder Künstlern. Er ermöglichte Archivzugänge und beschaffte Literatur, beriet Berliner Stellen bezüglich der Kunst der Antike sowie der Renaissance in Italien, schrieb hunderte Zeitschriftenartikel zwecks Förderung der gegenseitigen historischen und kulturellen Kenntnis und publizierte auch im Archivio Storico Italiano seines großen Patrons Giovan Pietro Vieusseux (347ff.). Reumont verfasste Biographien von Caterina de' Medici und Lorenzo il Magnifico (399ff.), an denen die zu toskanische Perspektive und trotz des Informationsreichtums das Fehlen übergeordneter Ergebnisse kritisiert wurden. Der liberale Katholik König Max II. von Bayern gab bei ihm eine Geschichte der Stadt Rom seit der Antike in Auftrag (415ff.), die in drei Bänden bis 1870 erschien, freilich vom Rivalen Ferdinand Gregorovius als bloße Kompilation, von anderer Seite wegen naiver Übernahme christlicher Legenden, kritisiert wurde. 1870 optierte er gegen das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma, aber schloss sich nicht den deutschen Altkatholiken an (302). Zur Kulturkampf-Zeit publizierte Reumont in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland" und war mit August Reichensperger bekannt, ohne aber der Zentrumspartei beizutreten (336, 456). Im 1885 publizierten Erinnerungsbuch an Friedrich Wilhelm IV. rechtfertigte Reumont den König und stellte sich als dessen geistesverwandten Vertrauten dar (470), was als Reverenz eines Altkonservativen an einen aus der Zeit gefallenen Monarchen rezipiert wurde.
Reumont stand mehrfach zwischen den zeitgenössischen Lagern: Als liberaler Katholik zwischen Kulturprotestantismus und politischem Katholizismus, als Anhänger legitimer Herrscher, die zugleich innere Reformen zur Revolutionsprävention durchführen sollten, als Befürworter eines italienischen Nationalstaats, der aber dezentralisiert und kirchentreu sein sollte. Deshalb war er politisch isoliert, sowohl in der deutschen politischen Landschaft wie bei der realpolitischen, bis 1876 regierenden Destra Storica Italiens, und auf die Publizistik verwiesen (466).
Reumonts Texte sind für heutige Nüchternheit nicht gerade ein Lesevergnügen und auch bei Schumacher stören zuweilen quellenverliebte Ausführungen, die den Argumentationsgang stocken lassen, oder Redundanzen bezüglich Reumonts Positionen. Schumachers Praxis, die Essenz speziell italienischer Quellenaussagen im Haupttext anzuführen, sie zudem aber in langen Anmerkungen wörtlich wiederzugeben (95, 133, 202f., 226, 362, 376f. u. ö.), scheint dem Rezensenten des Guten zu viel. Hingegen sind vier Fazit-Abschnitte zum Publizistik-Teil hilfreich für eilige Leser.
Mit spürbarer Sympathie für seinen Protagonisten resümiert Schumacher, dass Reumont erst retrospektiv als rückwärtsgewandt galt, und seine (frühen) Briefäußerungen als fortschrittlich und pragmatisch einzuschätzen sind (533). Die Epochenscheide ist jedoch ab 1860 anzusetzen, so dass Dissertationsbetreuerin Gabriele B. Clemens andernorts bei Reumont "zunehmende Wirklichkeitsverweigerung" konstatierte. [3] Besorgt warnte Reumonts Gönner Gino Marchese Capponi 1870 davor, dass aus Kabinettskriegen nun Nationalkriege würden und künftig Rassenkriege (545). Dennoch hält der Rezensent Reumonts favorisiertes Modell einer christlichen Zivilgesellschaft in einer paternalistischen Monarchie, die lediglich lokale Eliten partizipieren lassen und eine machtvolle Kirche umfassen sollte (540, 544) für das im späteren 19. Jahrhundert realitätsferne Zusammenspannen von disparaten Versatzstücken bzw. widerstreitenden sozialen Kräften. Jedoch hat Reumont seine Ideale auf ehrbare Weise vertreten - und Felix Schumacher ihm ein dauerhaftes biographisches Denkmal gesetzt.
Anmerkungen:
[1] Frank Pohle (Hg.): Alfred von Reumont (1808-1887) - Ein Diplomat als kultureller Mittler (Historische Forschungen Bd. 107), Berlin 2015; Jens Petersen: Alfred von Reumont und Italien, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 94/95 (1987/88), 79-107; Hubert Jedin: Alfred von Reumont (1808-1887), in: Rheinische Lebensbilder 5 (1973), 95-112. Diese Titel zitiert Schumacher auch adäquat. Felix Schumacher: Alfred von Reumont, in: 150 Jahre Risorgimento - geeintes Italien?, hg. von Gabriele B. Clemens/Jens Späth, Trier 2014, 73-106.
[2] Bastian Peiffer: Alexander von Schleinitz und die preußische Außenpolitik 1858-1861, Frankfurt/M. 2012, bes. 154ff.
[3] Gabriele B. Clemens: Rezension von Frank Pohle (Hg.): Alfred von Reumont, Berlin 2015, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 81 (2017), 366f.
Hartwin Spenkuch