Anja K. Sevcik (Hg.): Inside Rembrandt. 1606-1669, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2019, 352 S., 316 Farb-, 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0908-8, EUR 39,95
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2019 feierte die Kunstwelt mit zahlreichen Ausstellungen und Publikationen den 350. Todestag von Rembrandt Harmenszoon van Rijn. Eine der größten Rembrandt-Ausstellungen war von November 2019 bis März 2020 im Wallraf-Richartz-Museum in Köln zu bewundern. Im Fokus der Schau standen insbesondere die 1630er Jahre, die eine der produktivsten Phasen im Leben des niederländischen Künstlers waren. Etwa die Hälfte der 112 Exponate stammte daher aus dieser Zeit. Die überwiegende Mehrzahl der Gemälde, Radierungen und Zeichnungen, die zu sehen waren, wird derzeit als eigenhändig angesehen. Bei einem Teil der Werke handelte es sich jedoch um Arbeiten, deren Zuschreibung umstritten ist oder um Gemälde und Radierungen von Rembrandts Schülern, Kollegen und Mitarbeitern wie Jan Lievens oder Gerrit Dou. Begleitet wurde die Ausstellung von einem gut 350 Seiten starken, vorbildlich illustrierten Katalog, dessen wichtigsten Teile im Folgenden vorgestellt werden sollen.
Der einleitende Essay von Anja K. Sevcik bietet einen Überblick über die Biografie Rembrandts und einen kurzen Einstieg in die Ausstellung beziehungsweise einige Aspekte der Rembrandt-Forschung. Gleich zu Beginn wird darauf verwiesen, dass die Anzahl der als eigenhändig angesehenen Werke nach wie vor Schwankungen unterliegt (16). Zurecht betont Sevcik daher, dass die Forschung auf diesem Gebiet noch immer durchaus dynamisch ist und laufend Werke aus der "Kerngruppe" ein- und ausgegliedert werden (17). Da die prominenteste Leihgabe der "Prager Rembrandt" war, der mit dem Thema des Gelehrten in der Studierstube einen auf dem damaligen Kunstmarkt beliebten Bildtyp repräsentiert, geht Sevcik anschließend darauf ein, dass das Bildungsniveau in den nördlichen Niederlanden für das 17. Jahrhundert überdurchschnittlich hoch war (19). Auch Rembrandt besuchte zunächst eine Lateinschule und war später an der Leidener Universität inskribiert. Er scheint allerdings niemals wirklich studiert zu haben, da er gleichzeitig auch beim Maler bei Pieter Lastman in Amsterdam in der Lehre war. Nach seiner Ausbildung lebte und arbeitete der Künstler bis 1632 in Leiden. Um 1630 herum entwickelte er seine charakteristische dramatische Lichtregie, das berühmte rembrandtsche Helldunkel. Wichtig war hierfür vor allem der Ideenaustausch mit Jan Lievens, den der Künstler in Lastmans Werkstatt kennengelernt hatte. In den späten 1620er Jahren brachte sich Rembrandt auch die Radiertechnik bei. 1632 zog der Künstler nach Amsterdam, wo er bald zum gefragtesten Porträtmaler der Stadt wurde. Geradezu ein Verkaufsschlager wurden seine Selbstbildnisse, von denen in der Ausstellung mehrere zu sehen waren. Höchstwahrscheinlich waren sie anfangs nicht zum Verkauf bestimmt, sondern dienten als Ausdrucksstudien. Spätere Selbstbildnisse malte Rembrandt dann allerdings bewusst für den Kunstmarkt. Aus diesem Grund handelt es sich bei etwa zehn Prozent seiner Arbeiten um Selbstbildnisse, von denen sich zum Zeitpunkt seines Todes jedoch kein einziges in seinem Besitz befand. In den 30er Jahren entstanden auch zahlreiche Porträts von Saskia Uylenburgh, die 1634 seine Ehefrau wurde und ihm drei Kinder gebar. Allerdings sollte keines der Kinder ihren Vater überleben und 1642 starb schließlich auch Saskia an Tuberkulose. Die 1640er Jahre waren daher eine weniger produktive Periode, jedoch war der Künstler zu dieser Zeit ein sehr gefragter Lehrer, aus dessen Werkstatt mehrere bedeutende Maler hervorgingen. Ab etwa 1650 wird Rembrandts Pinselstrich breiter, seine Pinselführung immer freier und pastoser und seine Figuren werden monumentaler. Zwar hatte sich der Künstler von Beginn an für Psychologie und menschliche Emotionen interessiert, doch die Porträts und Historien des reifen Rembrandt sind noch tiefgründiger und lebensnäher als seine frühen Werke. Die Autorin schließt ihre Ausführungen mit einem Zitat des Künstlers und Holocaust-Überlebenden Jehuda Bacon: Charakteristisch für Rembrandts spätes Selbstbildnis im Wallraf-Richartz-Museum sei der zugleich lächelnde und weinende Gesichtsausdruck, da es bei diesem Künstler nie eine glatte Antwort gäbe (26). Unerwähnt bleiben allerdings wesentliche Stationen von Rembrandts späterer Biografie, etwa seine Beziehung zur jungen Hendrickje Stoffels, die ihm eine Tochter gebar.
Eine knappe aber dennoch sehr lesenswerte Einführung in Rembrandts durckgrafisches Œuvre schrieb Blanka Kubíková, die zurecht hervorhebt, dass sich die Eigenart und der Erfindungsreichtum des Niederländers in seinen Radierungen besser offenbaren als in seinen Gemälden (51). Es ist unbestritten, dass Rembrandt einer der virtuosesten Radierer der Kunstgeschichte war, der sein druckgrafisches Werk zwischen 1625 und 1660 schuf. Als der Höhepunkt seiner Radierkunst wird im Allgemeinen die Zeit um 1650 angesehen. Die Thematik seines radierten Œuvres umfasst ein sehr breites Spektrum. Zunächst radierte er vor allem sogenannte Tronies, also Kopf- beziehungsweise Gesichtsstudien, Selbstbildnisse und Darstellungen einfacher Leute auf der Straße wie Bettler oder Wandermusiker. Ab etwa 1640 wird die religiöse Historie ein immer wichtigeres Thema, jedoch schuf der Künstler auch einige bedeutende Porträtradierungen. Bezeichnend ist außerdem, dass es sich bei der Mehrzahl der verhältnismäßig seltenen Landschaften und Stilleben im Œuvre Rembrandts ebenfalls um Radierungen handelt. Für die meisten seiner Radierungen scheint der Holländer keine Vorstudien angefertigt zu haben, sondern zeichnete sie direkt auf die Radierplatte. Grundsätzlich kann man beim Rembrandt zwei Radiertechniken beobachten: einen eher linearen und einen eher malerischen Modus. Die malerischen Effekte erzielte der Künstler vor allem mit der Kaltnadel, auf die er ab den 1640er Jahren verstärkt zurückgriff. Einige bekannte Drucke, darunter etwa Die drei Kreuze (1653), schuf er ausschließlich mit der Kaltnadel, vielfach kombinierte er aber beide Techniken miteinander. Typisch ist ferner, dass er seine abgenutzten Radierplatten häufig mehrmals überarbeitete, um mehr Abzüge herzustellen. Von vielen Radierungen gibt es daher mehrere Zustände und da der Künstler zusätzlich auch mit verschiedenen Papieren experimentierte beziehungsweise die Tintenmenge variierte, ist eigentlich jeder Abzug einzigartig. Laut Kubíková war daher die Druckgrafik für Rembrandt ein eigenständiger künstlerischer Ausdruck (58). Erst in der Zusammenschau seiner Zeichnungskunst, Malerei und Druckgrafik erschließe sich Rembrandts volle künstlerische Persönlichkeit.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung war Rembrandts Gelehrter in der Studierstube von 1634, der erstmals außerhalb von Tschechien zu sehen war. Laura E. Thiel-Convery und Wayne Franits setzten sich darum in ihrem Beitrag mit der Bildkonvention des Gelehrten in der niederländischen Genremalerei auseinander. Zustimmen muss man ihnen darin, dass dieser Bildtyp auf spätmittelalterliche Darstellungen von "Hieronymus im Gehäuse" zurückzuführen ist (31). Thiel-Convery und Franits verweisen zudem auf drei ihrer Meinung nach innovative Motive bei niederländischen "Gelehrtenbildern": Säulen, Treppen und Gewänder mit exotischen Elementen (32). Säulen und Treppen interpretieren sie als Sinnbilder der Belesenheit, außerdem seien insbesondere mit der Säule auch Sittlichkeit, Ehrenhaftigkeit, Beständigkeit und Stärke assoziiert (33). Diese Argumentation ist jedoch nicht sehr überzeugend, denn die Säule ist am ehesten ein Symbol der Passion Christi, über die der Gelehrte vermutlich meditiert. Bei spätmittelalterlichen Gemälden wie Rogier van der Weydens Middelburger Altar verweist sie auf die Säule, an die Christus bei seiner Geißelung angebunden war. Auch die Deutung der Treppe als ein Sinnbild des geistigen Aufstiegs erscheint eher spekulativ, da, wie die Autoren selbst auch zugeben, Wendeltreppen häufig in niederländischen Häusern anzutreffen waren (34). Überdies sind beide Motive bei diesem Bildthema eigentlich eher sporadisch anzutreffen. Darstellungen von Gelehrten in der Studierstube sind in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts also ein interessanter und bisher kaum erforschter Bildtyp, jedoch gelingt es den Autoren nicht so recht, die Beliebtheit des Themas zu erklären.
Eines der interessantesten Exponate war das Rembrandt-Bildnis aus der Staatsgalerie Stuttgart, das ein gutes Beispiel für die Zuschreibungsdiskussionen in der Rembrandt-Forschung ist. Es wurde 1961 als ein spätes Selbstbildnis von Rembrandt von der Staatsgalerie erworben, doch kurze Zeit nach dem Kauf kamen Zweifel an seiner Echtheit auf. Daraufhin wurde es umfangreichen technologischen Untersuchungen unterzogen, die ergaben, dass es höchstwahrscheinlich doch ein niederländisches Werk des 17. Jahrhunderts ist. Dennoch konnten die Zweifel an der Eigenhändigkeit des Gemäldes niemals aus dem Weg geräumt werden. Möglicherweise wurde es von Rembrandts letztem Schüler Aert de Gelder hergestellt, da Selbstbildnisse von Rembrandt auf dem Kunstmarkt sehr gefragt waren.
Insgesamt sind die Ergebnisse von "Inside Rembrandt" als Forschungsprojekt somit eher bescheiden. Dennoch ist Anja K. Sevcik eine bemerkenswerte Ausstellung und ein lesenswertes Buch gelungen, das einen guten Einstieg in ein sehr erforschtes Gebiet bietet. Positiv hervorzuheben ist auch, dass mit dem Frühwerk Rembrandts eine beim großen Publikum weniger bekannte Seite dieses Künstlers ins Zentrum gestellt wurde. Dem Besucher konnte dadurch gut vermittelt werden, dass Rembrandt eine faszinierende stilistische Entwicklung durchlief, da zwischen seinem Frühwerk und seinem Spätwerk eigentlich Welten liegen. Es ist daher zu hoffen, dass die Ausstellung in Prag ein ähnlich großer Publikumserfolg wird wie in Köln.
Anna Simon