Hans-Jürgen Kaack: Kapitän zur See Hans Langsdorff. Der letzte Kommandant des Panzerschiffs Admiral Graf Spee. Eine Biografie (= Schriften zur Marinegeschichte (SZMG); Bd. 1), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2020, XXII + 672 S., 75 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-70262-3, EUR 68,00
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Hans Langsdorff ist der Nachwelt als letzter Kommandant des Panzerschiffs Admiral Graf Spee - wenn überhaupt - bekannt. Er ließ sein Schiff in uruguayischen Gewässern selbst versenken, nachdem er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs einige Monate als Handelsstörer im Südatlantik unterwegs gewesen war. Nach einem Gefecht gegen eine Task Force der Royal Navy im Dezember 1939 schien ihm sein beschädigtes Schiff den weiten Weg nach Deutschland nicht mehr überstehen zu können. Er rettete seine Besatzung von rund 1.000 Mann nach Argentinien und nahm sich in Buenos Aires das Leben. Diese Geschichte wurde vielfach beschrieben und verfilmt. Britische Quellen beschreiben Langsdorffs Verhalten gegenüber den Besatzungen der aufgebrachten Handelsschiffe als fair und ritterlich. In der deutschen Presse wurde er dafür als "letzter Samurai" gewürdigt. [1]
Hans-Jürgen Kaack, früherer Berufsoffizier der Bundesmarine und Politikwissenschaftler, interpretiert die Geschichte Langsdorffs rechtzeitig zum 80. Jahrestag des Geschehens neu. Damit verbunden ist schon vor der Veröffentlichung eine geschichtspolitische Debatte, wie die heutige Marine mit Langsdorff umgehen solle: Ist er ein Held, ein Vorbild oder nur ein tüchtiger Handwerker des Kriegs, der die Moral über den "Endsieg um jeden Preis" stellte? Diese Frage muss die deutsche Marine für sich klären. [2] Dass Langsdorff mit dem Entschluss zur Selbstversenkung und zur Rettung seiner Besatzung etwas moralisch Einzigartiges geleistet hat, scheint unumstritten. Dass er dabei vollkommene Handlungsfreiheit vom Oberbefehlshaber der Kriegsmarine bekommen hatte, wissen die wenigsten.
Der Autor liefert auf 672 Seiten eine umfassende, gut lesbare und oftmals bewertende Biographie, die das ganze Leben Langsdorffs erfasst. Durch die Nutzung von mehr als 150 bislang unzugänglichen Privatbriefen entsteht ein anschauliches Panorama aus der Sicht des Protagonisten. Sein Lebensweg wird sprichwörtlich von der Wiege bis zur Bahre geschickt eingebettet in die lebendige Beschreibung sich wandelnder Zeiten, die Langsdorff vielfach in verantwortlichen Stellen als Soldat durchlebte. Ohne den Leser mit tausenden Fußnoten belästigen zu müssen, wirkt das Buch souverän unter Berücksichtigung einschlägiger Schriften zu den verschiedenen Epochen mit einem auf das Notwendige reduzierten Apparat.
Langsdorff, 1894 auf Rügen als Sohn großbürgerlicher Eltern geboren, trat 1912 in die kaiserliche Marine ein und erlebte wechselvolle Zeitläufe: den Ersten Weltkrieg zuerst auf Großkampfschiffen, später auf Torpedobooten, dann auf Minensuchern; Revolution und Umbruch zwischen 1918 und 1920 in Bremerhaven, die Reichswehrzeit auf weiteren Booten und im Reichswehrministerium, die junge Kriegsmarine wieder in Flottillen kleinerer Bootstypen und zuletzt als Kommandant des Panzerschiffs Admiral Graf Spee. Das Zusammenspiel von Artillerie und Torpedos hatte er bis 1938/39 nicht gelernt. Dass er entgegen seiner Befehle ein Gefecht gegen numerisch überlegene Kräfte begann, dieses nicht von der gepanzerten Brücke, sondern vom Ausguck zu führen versuchte und so schwere Schäden an seinem Schiff zu verantworten hatte, zeigt, dass er als Kommandant nicht nur einsam in seinen Entscheidungen, sondern für diesen Schiffstyp wohl doch nicht der Richtige war.
Bemerkenswerterweise, so erfährt es der Leser, war Langsdorff während seiner ganzen militärischen Vita von seinen Untergebenen geachtet und respektiert. Das hat ihm nie geschadet: Bis zu seinem frühen Tod führte er die Rangliste (Beförderungsreihenfolge) seiner Crew stets an, auch wenn er mitunter eigene Wege ging: Als Kommandant der Kaiserlichen Marine ließ er beim letzten Einlaufen seines Boots 1918 Flagge und Wimpel niederholen, um eine Schießerei mit Revolutionären zu verhindern. Für den Autor ist dies der Punkt, an dem Langsdorff politisch wurde. Er ging 1918/19 nach Dienst in Zivil zu Versammlungen, um zu erfahren, wie die neue politische Landschaft aussah. Hans-Jürgen Kaack geht soweit, Langsdorff zum "Staatsbürger in Uniform" zu erklären (98), obwohl der Begriff erst 1953 konstituiert wurde - das ist keck, aber an dieser Stelle nicht falsch. Nach Jahren in der Flotte kam Langsdorff 1925 ins Reichswehrministerium, um als Bürooffizier Oberstleutnant Kurt von Schleicher zu assistieren. Gleichermaßen als Gewährsmann der Marine in diesem politischen Dezernat erlebte er den Aufstieg des "cardinal in politics" Schleicher (238), der bis 1933 eine der tonangebenden Persönlichkeiten der Reichswehr sein sollte. Hier schaute Langsdorff hinter die politischen Kulissen (Reichstag und Parteien), die dem Soldaten an und für sich verschlossen blieben. Unterbrochen von der Führergehilfenausbildung (Generalstabsausbildung) kam er 1931 wieder zu Schleicher, diesmal als Adjutant, und er erfuhr, wie dieser Regierungen machte, stützte, hängen ließ, um letztlich als Kanzler selbst zu scheitern. Langsdorff bekam alle Verwerfungen zwischen Reichspräsident und Kanzlern mit, mit denen Schleicher scheinbar mühelos jonglierte. Da der Briefwechsel mit seinem Vater nach dessen Tod im Frühsommer 1934 abbrach, sind Langsdorffs Beobachtungen zur Ermordung Schleichers im Zuge der von den Nazis so verschleierten "Röhm-Revolte" nicht überliefert. Möglicherweise aber hatte er sich ab Januar 1933 doch wieder mehr oder gar ausschließlich auf seinen Dienst und die Familie - die im Buch breiten Raum einnimmt - beschränkt. Davor jedoch las er alles, was er kriegen konnte, auch liberales oder gar demokratisches Schrifttum, eben nicht nur deutschnationales. Die beiden letzten Jahre Langsdorffs im Reichswehrministerium, unter Oberst Walther von Reichenau als Leiter des Ministerbüros, bleiben leider etwas konturlos.
Mit der Rückkehr in die Flotte, als 1. Admiralstabsoffizier beim Befehlshaber der Aufklärungsschiffe, wurde die Seefahrt ab Oktober 1935 zum bestimmenden Lebensinhalt für seine letzten Jahre in der schnell wachsenden Marine. Ab dem 29. Oktober 1938 war Langsdorff als Kapitän zur See Kommandant der Admiral Graf Spee. Dieses damals modernste Schiff der Kriegsmarine war "schneller als Stärkere und stärker als Schnellere". Die Bezeichnung Panzerschiff, mitunter auch "Westentaschenschlachtschiff" verschleiert, dass es für eine Aufgabe besonders geeignet war: den Kampf gegen Handelsrouten, der große Reichweiten voraussetzte. Konzeptionell und rüstungstechnisch schien dennoch einiges an Bord nicht klar zu sein. Die ersten Gefechtsübungen der Graf Spee verliefen nicht gut, auch wegen der schlechten Führung durch Langsdorffs Vorgesetzten: Schwimmwesten gab es an Bord nicht (!), dafür aber Konstruktionsmängel, wenn man die Beiboote aussetzen wollte.
Bereits am 21. August 1939 verließ die Graf Spee Wilhelmshaven in Richtung Südatlantik, aber erst ab dem 23. September durfte sie dort als "Handelsstörer" aktiv werden. Das machte Langsdorff mit seinem Schiff anstandslos gemäß der "Prisenordnung". Die Besatzungen der aufgebrachten Schiffe wurden an Bord der Graf Spee untergebracht, bis sie an das Trossschiff Altmark abgegeben wurden. Langsdorff war für den Einsatz auferlegt, Gefechte nur zu führen, wenn sie unumgänglich seien. Diesen Grundsatz gab er am 13. Dezember 1939 auf. Jetzt richtete sich seine Aktion gegen einen Verband der Royal Navy, der aus drei Kreuzern bestand. Der britische Verbandsführer war immer schon auf solchen "Dickschiffen" gefahren und hätte mit ihnen umzugehen gelernt. Das Gefecht endete formal remis - mit Nachteilen für die Graf Spee.
Der Autor geht ausführlich auf dieses Gefecht ein und beschreibt die "Einsamkeit" des Kommandanten sowie eine im Gefecht erlittene Verletzung und ihre möglichen Folgen für den weiteren Verlauf der Ereignisse bis zum Suizid des Kapitäns. Die vor allem in britischen Kreisen umfassende Rezeption der Ereignisse in Südamerika und ihre Wahrnehmung in Deutschland thematisiert Kaack leider nicht. Das wäre ein weiteres Buch wert.
Hans-Jürgen Kaack zeigt, dass nicht nur der gesetzte Historiker gute Biographien schreiben kann. Ein sicherer Stil, die stetigen Verknüpfungen früherer mit späteren Ereignissen sowie die saloppe, aber niemals flapsige Ausdrucksweise der Marine machen das Buch zu einem Lesevergnügen. Damit starten die neuen "Schriften zur Marinegeschichte", herausgegeben von der Stiftung Deutsches Marinemuseum und dem Förderverein des Wehrgeschichtlichen Ausbildungszentrums der Marineschule Mürwik, mit einem sehr ansprechenden Band.
Anmerkungen:
[1] https://www.welt.de/print-welt/article292708/Der-letzte-Samurai.html [24.05.2020].
[2] Vgl. dazu die Rezension im Marineforum 1/2-2020, 58: der Verfasser kritisiert vor allem die Werbekampagne vor Erscheinen des Buches, das er aber ansonsten lobt.
Heiner Möllers