Rezension über:

Marcela K. Perett: Preachers, Partisans, and Rebellious Religion. Vernacular Writing and the Hussite Movement (= The Middle Ages Series), Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2018, 290 S., ISBN 978-0-8122-5053-4, USD 85,00
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Rezension von:
Jan Odstrcilik
Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Jan Odstrcilik: Rezension von: Marcela K. Perett: Preachers, Partisans, and Rebellious Religion. Vernacular Writing and the Hussite Movement, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 7/8 [15.07.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/07/33638.html


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Marcela K. Perett: Preachers, Partisans, and Rebellious Religion

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Im letzten Jahrzehnt (vor allem im zeitlichen Umfeld des 600. Jahrestages von Hus' Tod auf dem Konstanzer Scheiterhaufen im Juli 1415) erschienen auf Englisch und Deutsch eine ganze Reihe historiographischer Untersuchungen über Jan Hus, den Hussitismus und den böhmischen Utraquismus [1], sowie mehrere Monographien aus der Feder des ausgesprochen produktiven Thomas Fudge. [2] Die Monographie von Marcela Perret reiht sich in den Strom derjenigen Publikationen ein, die die Geschichte der hussitischen Bewegung einem englischsprachigen Publikum vermitteln wollen.

Die Ziele, die die Autorin erreichen will, sind nicht unbedingt bescheiden. Die Arbeit soll "tschechische volkssprachliche Literatur aus der Zeit der hussitischen Reformation untersuchen", insbesondere Homiletik in Hinblick auf die Rolle verschiedener religiöser Fraktionen, d. h. der Katholiken, der moderaten Utraquisten und der radikalen Taboriten. Die ersten beiden Kapitel behandeln Jan Hus, seine kirchliche und universitäre Karriere und steigende Radikalisierung. Im Vordergrund steht dabei insbesondere die Frage, wie er eine kirchenkritisch gesinnte Gemeinschaft um sich scharen konnte. Das dritte Kapitel widmet sich volkssprachlichen Liedern, die im utraquistischen wie auch katholischen Millieu verfasst wurden; das vierte Kapitel behandelt die radikale Kommunität in Tábor. Im fünften Kapitel werden zwei volkssprachliche Werke gegen radikale Hussiten in Tábor analysiert: Das anonym überlieferte Streitgedicht "Václav, Havel und Tábor" (Václav, Havel a Tábor) präsentiert die katholischen Positionen und der Traktat von Jan von Příbram "Das Leben der Taboritenpriester" (Život kněží táborských) die Perspektive der gemäßigten Utraquisten aus Prag auf die taboritischen Radikalen. Im sechsten Kapitel geht die Autorin der Frage nach dem Einfluss der Volkssprache auf die Theologie nach. Das letzte Kapitel betrachtet die Geschichte der Hussitischen Revolution aus dem Blickwinkel zweier chronikalischer Werke, der Historia Hussitica von Laurenz von Březová und der Historia Bohemica von Aeneas Silvius Piccolomini.

Das schmale Buch behandelt zweifelsohne ein wichtiges Thema: Das umfangreiche, in vielerlei Hinsicht einzigartige Textmaterial stellt eine prominente Quellengruppe dar, die seit den Anfängen der modernen Geisteswissenschaften von der tschechischen Literaturwissenschaft und Philologie erforscht wurde. Die überwiegende Mehrheit der wichtigsten Forschungsergebnisse der letzten 150 Jahre ist jedoch nur auf Tschechisch zugänglich. Das heißt, eine englischsprachige Publikation hat sicher das Potenzial, die Aufmerksamkeit der internationalen Forschung auf diese spezifische literarische Produktion zu richten.

Leider ist Peretts Monografie aber nur bedingt zu empfehlen. Viele Informationen, Interpretationen und Schlüsse sind zu ungenau formuliert, verraten fehlende Vertrautheit mit den Quellen und eine wenig aufmerksame Lektüre der Sekundärliteratur. Mitunter wird der Leser in die Irre geführt. So lesen wir zum Beispiel auf Seite 62: "[T]he vernacular Postil is a reworking of Hus's Latin Postil, written between 1410 and 1411, the so-called Sermones in Bethlehem." Die Endnote 51, die diese Behauptung belegen soll, sagt uns: Weder in dem genannten Artikel von Pavel Soukup noch in dem Aufsatz von Anežka Vidmanová finden sich Belege dafür, dass Hus' Tschechische Postille eine Bearbeitung der Sermones in Betlehem wäre. Die Sermones in Bethlehem sind kein eigenes Werk von Jan Hus, sondern laut der Forschung in einem komplizierten Prozess kollektiver Zusammenarbeit entstanden: Wahrscheinlich wurden sie von zwei Schreiben verfasst (daher entstanden auch zwei sehr unterschiedliche Versionen), die die Notizen von Jan Hus mit eigenen Notizen ergänzt haben. Jan Hus konnte daher die Sermones in Betlehem so, wie sie uns vorliegen, nicht als Vorlage seines tschechischen Werkes benutzt haben.

Ein weiteres Beispiel (Seite 145): "The [Taborite] commune was allowed to exist until 1452, when [...] King George of Poděbrady conquered the city of Tábor, dispersed its inhabitants, and imprisoned the last two of its priests." Diese Passage entspricht nicht den in der Forschung wohlbekannten Geschehnissen: Georg von Podiebrad ist erst im Jahr 1458 König geworden und die Bürger der Stadt wurden nicht "dispersed". Nach der Kapitulation fungierte die Stadt weiter als utraquistische urbane Kommunität. Es fällt hier auf, dass die Autorin für ihre irrige Behauptung keinen Hinweis auf die Sekundärliteratur anführt. Unbefriedigend belegte Aussagen kommen leider häufiger vor. Das alles wird von einer ziemlich ungewöhnlichen Zitierweise begleitet. Häufig findet sich ein Zitat ohne weitere Kontextualisierung. Um überhaupt den Namen des Autors oder der Autorin des Zitats zu erfahren, muss mühsam in den Endnoten gesucht werden.

Dies führt zu einem ganz allgemeinen Problem des Buches: die fehlende Kontextualisierung. Die Autorin nennt die vorhandene hussitologische Sekundärliteratur "insular" (5). Lassen wir jetzt beiseite, dass diese Behauptung kaum stimmen kann, würde man doch erwarten, dass unter solchen Umständen für die wichtigsten Schlüsselbegriffe, -themen, -ereignisse usw. ein so breiter und tiefer Kontext ausgearbeitet wird, wie nur irgend möglich. Das ist aber nicht der Fall. Ein weiteres Beispiel: Wenn über die Kritik der Simonie bei Hus gesprochen wird, findet sich überhaupt nichts darüber, was die anderen wichtigen Theologen der Zeit, z. B. Jean Gerson, über dieses extrem empfindliche Thema dachten. Ironischerweise lässt also Perett ihr Thema noch "insularer" erscheinen, als es ihrer Meinung nach schon ist.

Die Autorin äußert sich häufiger über die Qualität des theologischen Diskurses in dem einen oder anderen betrachteten Werk, aber wieder fehlt jegliche Kontextanalyse, die solche Behauptungen unterstützen würde. Es werden sogar die Apostel Petrus und Paulus verwechselt (42), was zu einer falschen Interpretation einer wichtigen Meinung von Jan Hus führt. Auch die Behandlung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, das zentrale theologische Problem des Hussitismus, verrät beträchtliche Unsicherheiten. So wird beispielsweise Folgendes über Jan Příbram geschrieben (157): "Like the author of 'Václav, Havel, and Tábor,' who vilifies those who receive from the chalice, Příbram too argued that Tábor's erroneous interpretation of the Scriptures corrupted the commune's ritual and social life. But he went even further than the author of 'Václav, Havel, and Tábor' and suggested that there was a link between drinking Christ's blood and a propensity for violence. Příbram saw both ritual aberrations (such as receiving from the chalice) and violence as evidence of heresy [...]."

Wer das liest, wird sich wahrscheinlich wundern: Wie konnte Jan von Příbram, ein Mitarbeiter von Jakoubek von Stříbro, der Traktate zugunsten des Abendmahls in beiderlei Gestalt für Laien, Kinder inklusive, geschrieben hat, gerade das den Táboriten vorwerfen? Oder hat Příbram dies (oder ähnliches) in einem ganz bestimmten Kontext geschrieben? Leider wieder kein Hinweis, keine tiefere Analyse dieses sehr komplizierten Problems.

An vielen Stellen kommentiert Perett hussitische und antihussitische Lieder und Gedichte. Das ist an sich sehr nützlich und stellt wahrscheinlich den größten Wert des Buches dar. Aber auch hier bleiben die Erläuterungen häufig auf der Ebene einfacher Paraphrasierungen stecken und enthalten kaum eine tiefere Analyse. Und das trotz häufiger Aussagen der Autorin, dass das eine oder andere Thema bisher nicht ausreichend erforscht worden sei. Die von solchen und ähnlichen Behauptungen geschürten hohen Erwartungen wären auch dann kaum zu erfüllen, wenn die Untersuchung deutlich tiefer und genauer ansetzen würde. Leider dominiert so am Ende der Eindruck einer generellen Oberflächlichkeit.

Dazu kommen kleinere Fehler, die man zwar als auch anderswo übliche Tippfehler abtun könnte, die allerdings manches über die Sorgfalt, mit der gearbeitet wurde, aussagen. Obwohl der Band fast keine lateinischen Zitate enthält, finden wir in den wenigen trotzdem gravierende Fehler, z.B. incarnates statt incarnatus (54). Auf Seite 138 ist der Titel eines behandelten Werkes falsch angegeben (in der Originalsprache) und wirr auf englisch übersetzt: "Now you shoemakers of the true faith (Nuž křesťané viery pravé)" statt: "Now you shoemakers of the new faith (Nuž vy ševci viery nové)".

Trotz aller Probleme, die das Buch leider aufweist: Die allgemeine Bedeutung des Materials, das bisher in der englischsprachigen Mediävistik fast vollkommen ignoriert wurde, ist hoch. Marcela Perett leistet daher einen wichtigen Beitrag - wenn nicht unbedingt zur Erforschung der hussitischen Revolution, dann aber sicher zu einer weiteren Internationalisierung der tschechischen Hussitologie. Als solche ist ihre Arbeit unbedingt zu empfehlen, auch wenn sie mit Sorgfalt gelesen werden muss.


Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Companion to Jan Hus, hg. v. František Šmahel, Leiden 2015; From Hus to Luther: Visual Culture in the Bohemian Reformation (1380-1620), hg. v. Kateřina Horníčková, Michal Šroněk, Turnhout 2016; Pavel Soukup: Jan Hus, Stuttgart 2014.

[2] Um nur einige zu nennen: The Magnificent Ride: The First Reformation in Hussite Bohemia, Cambridge 1998; The Memory and Motivation of Jan Hus, Medieval Priest and Martyr, Turnhout 2013; The Trial of Jan Hus: Medieval Heresy and Criminal Procedure, Oxford 2013; Jan Hus between Time and Eternity: Reconsidering a Medieval Heretic, Lanham 2016; Jerome of Prague and the Foundations of the Hussite Movement, Oxford 2016. Seine Bücher sind freilich mit erhöhter Vorsicht zu lesen, siehe z. B. die Rezensionen von Howard Kaminsky, Karel Hruza und Jan Odstrcilik.

Jan Odstrcilik