Rezension über:

Peter Matheson / Heinke Sommer-Matheson: Love and Terror in the Third Reich. A Tale of Broken Integrity, Eugene, OR: Cascade Books 2019, XXX + 146 S., 3 Kt., 16 s/w-Abb., ISBN 978-1-5326-6118-1, USD 21,00
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Rezension von:
Susanne Greiter
Eitensheim
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Greiter: Rezension von: Peter Matheson / Heinke Sommer-Matheson: Love and Terror in the Third Reich. A Tale of Broken Integrity, Eugene, OR: Cascade Books 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 7/8 [15.07.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/07/33898.html


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Peter Matheson / Heinke Sommer-Matheson: Love and Terror in the Third Reich

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"Love and Terror" - in seinem Gegensatz dramatisch, fast pathetisch klingt der Titel. Nüchtern und ungeschminkt ist hingegen der Untertitel, Einsamkeit und Verletzlichkeit strahlt das Titelbild einer lesenden jungen Frau aus, die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Die Komposition gleicht einer Kurzbeschreibung dieses in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Buchs. Ungewöhnlich ist auch das Autoren-Ehepaar Sommer-Matheson. Peter Matheson, geboren in Schottland, Historiker und Kirchenhistoriker, emeritierter Professor des Knox Theological College in Dunedin/Neuseeland, ist ein renommierter Forscher zur Reformationszeit. Er hat eine eindrucksvolle Biographie von Argula von Grumbach vorgelegt, sich aber auch mit dem Thema Widerstand und Kollaboration der Christen im nationalsozialistischen Deutschland auseinandergesetzt. Seine Frau Heinke Sommer-Matheson hat als Lehrerin in Deutschland, Schottland und Neuseeland gearbeitet. Das Erbe ihrer Eltern - nämlich über 1000 Briefe, Postkarten aus den 1930er und frühen 1940er Jahren - ist die Hauptquelle des Buchs. Ihr Mut, in die intime Welt ihrer Eltern einzudringen, ist ebenso bemerkenswert wie die Transkription der in Sütterlin verfassten Dokumente.

Heinkes Eltern, Lilo, geb. Struck, und Ernst Sommer schrieben sich von Beginn ihrer Beziehung 1935 bis zu Ernsts Tod an der Ostfront im Februar 1942 hunderte von Briefen, die komplett erhalten sind. Zu verdanken ist dies der Idee des jungen Ehepaares, diese Briefe nach Kriegsende gemeinsam nochmal zu lesen, sich zu erinnern, um damit die Zeit der Trennung verarbeiten und endlich zusammen die Zukunft ihrer Familie feiern zu können. Gemeinsame Zeit war der jungen Familie, zu der zwei Kinder - Heinke und ihr knapp ein Jahr jüngerer Bruder Hartmut - gehörten, kaum vergönnt.

Das Buch ist der Briefliteratur und gleichzeitig der Geschichte der Generation der Kriegskinder zuzurechnen. Im Mittelpunkt steht das Familiengedächtnis. Peter Matheson und Heinke Sommer-Matheson wählen einen multiperspektivischen Zugang, denn die Mikroebene der Liebes- und Familiengeschichte(n) ist eng mit der Mesoebene der Alltagsgeschichte unter totalitärer Herrschaft sowie der Makroebene der Geschichte der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs verwoben. Und noch eine Erzählung fließt mit ein: die persönliche "Pilgerreise" (135) von Heinke Sommer-Matheson, die sich auf Spurensuche ihres Vaters macht, den sie kaum kennenlernen durfte. Er fiel am Il'mensee, einen Tag vor ihrem 3. Geburtstag. Sie folgt den Wegen der 290. Infanteriedivision, der ihr Vater angehörte, bis nach Borki in der Nähe von Staraja Russa im Oblast' Novgorod. Sie findet kein Grab, aber doch bringt sie dieser weite Weg von Neuseeland über Hamburg nach Russland ihrem Vater nahe. Das von Leid und Tod geprägte emotionale Erbe - die Familien Sommer und Struck haben in den beiden Weltkriegen einen Großteil ihrer männlichen Mitglieder verloren - verändert sich durch Züge von Frieden und Versöhnung.

Die Briefe, die Lilo und Ernst Sommer in den sieben Jahren ihrer Beziehung wechselten, geben tiefe Einblicke in das Leben der jungen Leute in ihrer Zeit. Sie sind jedoch zuallererst Liebesbriefe, Zeugnisse einer außergewöhnlichen Nähe und tiefster Zuneigung, inmitten von Tod und Vernichtung. Sie erinnern an die ebenfalls komplett erhaltenen Abschiedsbriefe des Ehepaares von Moltke - eine ganz andere Geschichte, aber mit frappierenden Parallelen. Das Resümee Freya von Moltkes, die wie Lilo Sommer keine neue Ehe einging, trifft auf beide Briefwechsel zu: "Diese Briefe haben mit seinem Tod, aber auch mit meinem weiteren Leben zu tun. Sie statteten mich für mein weiteres Leben aus, und die Gemeinsamkeit, die sie darstellen, dauert noch an. [...] Der Höhepunkt unseres gemeinsamen Lebens - die schwerste Zeit unseres gemeinsamen Lebens." [1]

Ernst und Lilo trafen sich 1935 erstmals in Burg in Schleswig-Holstein im Rahmen des nationalsozialistisch vereinnahmten Landjahr-Programms. Lilo, bereits in einer Führerrinnenrolle, reiste aus Pommern an. Ernst war im Dithmarschen Nordseeland zu Hause. Die beiden jungen Leute teilten ihren Enthusiasmus für die nationalsozialistische Jugendbewegung, für Hitler und eine glorreiche Zukunft Deutschlands. Lilo und Ernst, der kurz darauf Mitglied der SA wurde, übernahmen bei der Hitlerjugend und beim Bund Deutscher Mädel (BDM) Führungspositionen. Deutlich zeigen sich hier die Möglichkeiten, die der Nationalsozialismus der Jugend beiderlei Geschlechts bot: neue Freiheiten, Emanzipation vom Elternhaus und Entkommen aus dem oft eintönigen Landleben. Ein Foto zeigt Lilo mit hellblondem Haar und sportlicher Figur in der Mitte von BDM-Mädchen - einer fotographischen Inszenierung Leni Riefenstahls gleich.

Das Buch zeichnet den Weg der Beziehung von Lilo und Ernst nach und ist gleichzeitig thematisch ausgerichtet auf die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg. Die beiden heiraten nach einer langen Verlobungszeit aufgrund der Blockadehaltung von Ernsts Mutter schließlich erst 1938. In kurzem Abstand werden Tochter Heinke und Sohn Hartmut geboren. Wir bekommen Einblicke in den harten, nicht zuletzt von Geldnöten geplagten Alltag der jungen Familie, die aber für das nationalsozialistische Deutschland und für sich selbst eine glorreiche Zukunft voraussieht. Enthusiasmus und überbordender Patriotismus spiegeln sich in der Begeisterung für den "Anschluss Österreichs", die Reden Hitlers und in der gesteigerten Faszination Ernsts nach der Teilnahme an einem Nürnberger Reichsparteitag.

Die Briefe sind von einer deutlichen Ambivalenz gekennzeichnet. Dies betrifft die Sprache, welche die NS-Propaganda und Begriffe wie "Pflicht", "Volk", "Gott", "Familie", "rote Horden" etc. transportiert. Gleichzeitig zeigt sich die offensichtlich große Sprachbegabung von Lilo, die Ernst während seiner Offiziersausbildung und Soldatenzeit an ihrem Alltag und der Entwicklung der Kinder intensiv, mit warmherzigen, empathischen Worten teilhaben lässt. Heinke und Peter Matheson ergänzen durch Einbeziehung von Büchern und Liedern aus dem Besitz des Ehepaars sowie von Fotos den Kosmos der Liebe von Lilo und Ernst in getrennten Lebenswelten. Hart und unerbittlich zeigt sich die Unvereinbarkeit von privatem Glück und der Ausrichtung des totalitären Regimes auf Krieg und Zerstörung.

Während Lilos Angst vor Krieg, langer Trennung und Tod wächst, versucht der in zunehmend heftigere Kämpfe verwickelte Ernst seine Ehefrau zu beruhigen, indem er ein fast romantisches Bild vom Soldatenleben zeichnet. Er beschreibt Ausritte mit seinem Pferd in die russischen Wälder und den Bau einer Blockhütte. Selten brechen sich seine Emotionen Bahn, dann berichtet er von Grausamkeiten und Zermürbung. Der Vernichtungskrieg, der Terror gegen die jüdische Bevölkerung, Andersdenkende, Roma, die Ausgrenzungen, der Hass - all das bleibt eine Leerstelle in dem Briefwechsel. So wundert das Resümee der Autoren kaum, dass mehr Fragen offenbleiben als beantwortet werden. Das Nebeneinander von Liebe, Erotik, christlichem Glauben, Sorge um die Familie, Krieg, Patriotismus, aber auch Naivität und Kurzsichtigkeit sind aus der Rückschau schwer zu fassen. So bleibt auch die Frage unbeantwortet, wie es sein kann, dass geliebte und liebende Menschen mit hoher emotionaler Intelligenz, ausgeprägten kommunikativen Fähigkeiten und einer guten Bildung in den Sog des NS-Systems, das freilich eine enorme Wirkkraft entfaltete, hineingezogen und zunehmend von ihm zerrissen worden sind. Das Autorenehepaar Matheson ist der spürbar schmerzlichen und vielgestaltigen Auseinandersetzung zwischen wissenschaftlicher Analyse und familialer Loyalität, der sich nur wenige Familien stellen, nicht aus dem Weg gegangen.

Das Vorwort des Buchs legt den Akzent auf die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, eine Verbindung, die dem Buch angesichts der gegenwärtigen Rassismus-Debatte eine neue Aktualität und Qualität verleiht. Der aggressive Nationalismus hat Europa in Trümmer gelegt, er hat Menschen korrumpiert, Leben und Zukunft zerstört. "Love and Terror" führt dies den Leserinnen und Lesern eindrücklich und unerbittlich vor Augen. Es gibt immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen - und schon deswegen sollten solche Bücher in die Literaturlisten der Schulen aufgenommen werden.


Anmerkung:

[1] Helmuth James und Freya von Moltke: Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 bis Januar 1945. Gekürzte Ausgabe, hgg. von Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke, München 2013.

Susanne Greiter