Rezension über:

Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 234), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 396 S., 4 s/w-Abb., 5 Tbl., ISBN 978-3-525-31096-0, EUR 70,00
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Rezension von:
Tobias Huff
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Huff: Rezension von: Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/34100.html


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Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR

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In den vergangenen fünf Jahren sind zahlreiche Arbeiten entstanden, die sich mit der Umweltgeschichte und der Umweltbewegung in der DDR auseinandersetzen und die die strukturellen Hemmnisse für eine effektive Umweltpolitik herausgearbeitet haben. In diese Liste reiht sich Möller mit seiner an der Universität Bielefeld eingereichten Dissertation ein.

Die beiden zentralen Fragen für Möller sind, wie der umfassende umweltpolitische Aufbruch der 1960/70er Jahre dennoch zu einer stark belasteten Umwelt in der DDR führen konnte und warum breite Kreise der Bevölkerung diesen Zustand so klaglos hinnahmen. Möller möchte hier, angelehnt an Mary Fulbrook, die Umweltgeschichte als Teil einer erweiterten Gesellschaftsgeschichte sehen, die sich die Frage zu stellen hat, warum die DDR über einen derart langen Zeitraum stabil gewesen sei. Ähnlich wie Fulbrook sieht er die Gründe dafür weniger im Überwachungsapparat des Regimes und den Panzern der Besatzungsmacht (sprich, den Erfahrungen des 17. Juni 1953), sondern in dem konsensorientierten und konsultativen Charakter der SED-Herrschaft. Mangels Wahlen und freier Presse versuchte die SED - neben MfS-Berichten -, die Bevölkerungsstimmung via Eingaben zu ermitteln. Möller sieht die Bevölkerung daher nicht als passive Masse, sondern ihre Teilhabe sei über Eingaben gesichert gewesen. Neben dem vielleicht nur sprachlichen Missgeschick, dass er die Bevölkerung zum "Träger" der Diktatur macht (23), gibt er dieser ein großes Maß an Mitschuld für den Umweltzustand und entlässt die Führungsriege ein Stück weit aus ihrer Verantwortung. Diese Dialektik löst Möller nicht überzeugend auf. Er erhebt die Eingaben zum Kern des Umweltengagements in der DDR. Dieses habe zum ersten wesentlich früher eingesetzt als bisher beschrieben, es sei zweitens wesentlich breiter in der Bevölkerung verankert gewesen als bisher angenommen und habe drittens einen wesentlich größeren Einfluss auf politische Prozesse genommen als bisher vermutet. Davon abgesehen, dass dieser weit gefasste Begriff von Engagement diskussionswürdig ist, gelingt es Möller nicht, damit seine zentrale Frage zu beantworten: Wenn eine umweltengagierte Bevölkerung das Ohr des partizipatorischen Regimes hatte, wer trägt dann die Verantwortung für Espenhain, Wolfen und Bitterfeld?

Das Regime achtete gewiss auf die Bedürfnisse der Untertanen, es schätzte jedoch die Belange der Wohnraum- und Warenversorgung höher ein als das Umweltinteresse. Möller schreibt zwar korrekt, dass die Zahl der Eingaben zum Umweltbereich stetig anstieg, er setzt diese aber niemals in Bezug zu anderen Themenkreisen, die gemessen an absoluten Zahlen die Eingaben mit Umweltbezug um ein Vielfaches übertrafen. Oder, um es im Vergleich zur Bundesrepublik auszudrücken, welchen Möller ebenfalls öfter anstellt: In demokratisch verfassten Gesellschaften gehen die politischen Akteure auf die sich verändernden Bedürfnisse - konkret: nach mehr Umweltschutz - der Bevölkerung ein, um in Wahlen die Macht zu behalten oder zu erlangen. In der DDR gab es keine ernstzunehmenden Wahlen, die zu einem Machtwechsel hätten führen können. Was heißt das nun für das Umweltthema? Entweder bewegte das Thema einen ausreichend großen Bevölkerungskreis und die SED reagierte nicht, weil sie ihre eigenen Prioritäten setzte und die partizipatorischen Elemente, frei nach Ulbricht, Fassade waren und die SED ihre Macht auf anderen Wegen sicherte. Oder aber das Thema hatte mangels Masse nicht die Wucht, um über die zur Verfügung stehenden Kanäle (z. B. Eingaben) das Verhalten des Regimes in die gewünschte Richtung zu lenken.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Monita trägt Möller viel zum besseren Verständnis der frühen Umweltgeschichte der DDR bei. Auf einer breiten Quellenbasis zeichnet er die Genese des Landeskulturbegriffes nach und untersucht, welchen Einfluss prägende Persönlichkeiten des Naturschutzes wie Hermann Meusel oder Hans Stubbe in den 1950er und 1960er Jahren auf die Entwicklung des Landeskulturgesetzes nahmen und wie ihnen die Integration des Naturschutzes in das sozialistische Aufbauwerk zumindest teilweise gelang. Aber auch hier verstrickt sich Möller teils in Widersprüche, wenn er von "durchsetzungsstarken Führungsfiguren" spricht (101), Stubbe selbst aber 1960 feststellen musste, dass seine Anliegen praktisch ungehört verhallten (111). Ob man das politische Antichambrieren der beiden, fest im Institutionengefüge verankerten Akteure als politische Initiative von unten bewerten kann, um den partizipatorischen Charakter des Regimes zu unterstreichen, ist ebenso Auslegungssache wie die Deutung gehäufter Eingabetätigkeit als "Bürgerprotest".

Insgesamt ist die erste Hälfte der Arbeit der gelungenere Part. Detailreich schildert Möller hier die Auseinandersetzungen um einzelne Industriebetriebe und führt die Hygieneinstitute als wichtige Akteure in die DDR-Umweltgeschichte ein. Klug und stringent zeichnet er das zähe Ringen um Grenzwerte und Gebühren für Umweltmedien nach, um deren Nutzung in der Logik der Planwirtschaft ökonomisch abbilden zu können. Wenig Neues bietet dagegen das letzte der drei Kapitel, das mit "Das Scheitern der ökologischen Modernisierung" überschrieben ist, ohne auf das Konzept der Ökologischen Modernisierung - wie es etwa von Martin Jänicke und Arthur Mol geprägt wurde - einzugehen. Hier erst rücken die unabhängigen Umweltgruppen ins Bild, die Möller in der bisherigen Forschung überrepräsentiert sieht. Der Logik seines Ansatzes folgend, sieht er die Wurzel dieser Gruppen in gemeinsam verfassten Eingaben. Während dieses Prozesses hätten sich Einzelpersonen zu einer Gruppe verdichtet und dann unter das Dach der Kirche geflüchtet.

Dem widerspricht nicht nur, was die ältere Forschung über den sozialen Hintergrund der Gruppenmitglieder zusammengetragen hat, sondern damit wird auch die starke innerkirchliche Wurzel der Gruppengründungen ignoriert. Der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung wirkte hier Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre massiv in die Kirchen hinein und regte die Gründung von Gruppen an. Andere lockere Zusammenkünfte entwickelten sich erst über das gemeinsame Verfassen von Eingaben zu einer festen Gruppe. Möller interpretiert diese parallel ablaufenden Entwicklungen zu stark als diskreten Prozess mit Schwerpunkt auf dem zweiten Weg.

Generell geht Möller mit der bisherigen umwelthistorischen Aufarbeitung hart ins Gericht und wirft ihr Fehlinterpretationen und methodische Unzulänglichkeiten vor. Es gehört zwar zum akademischen Betrieb, die raison d'être des eigenen Werkes in Abgrenzung zur älteren Literatur zu erhöhen. Er verurteilt jedoch die älteren Arbeiten zu undifferenziert, zumal er sich an zahlreichen Stellen den Überlegungen und Argumentationen der bisherigen Forschung bedient und zentrale Ergebnisse reproduziert.

Insgesamt legt Möller eine dicht erzählte und über weite Strecken gut geschriebene Dissertation vor, die bisher wenig bekannte Einzelaspekte der DDR-Umweltgeschichte ausleuchtet. Die Arbeit steht allerdings nicht, wie er ganz am Ende schreibt, am Anfang der historiographischen Aufarbeitung, sondern ergänzt die Forschung um weitere Befunde und Anregungen. Dabei untersucht er die in ihren wesentlichen Elementen bekannten Strukturen der DDR-Umweltpolitik äußerst detailliert und lädt mit seinem partizipatorischen Ansatz zu Widerspruch und akademischem Streit ein.

Tobias Huff