Michael Cotey Morgan: The Final Act. The Helsinki Accords and the Transformation of the Cold War (= America in the World), Princeton / Oxford: Princeton University Press 2018, XI + 396 S., ISBN 978-0-691-17606-2, USD 35,00
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Die Anfang August 1975 in Helsinki unterschriebene KSZE-Schlussakte leitete den final act des Ost-West-Konflikts ein. Fünfzehn Jahren später war dieses Drama beendet, überwiegend friedlich. Feierlich verkündet wurde dies am 21. November 1990 von 32 europäischen sowie den beiden nordamerikanischen Regierungen USA und Kanada in der "Charta von Paris für ein neues Europa". Danach dauerte es aber nicht lange, bis mit dem Rückbau aller ehrgeizigen Vorstellungen und Konzepte über Sicherheit, Zusammenarbeit und Demokratie im "gemeinsamen europäischen Haus" begonnen wurde. Für die beteiligten Staaten bedeutete das Ende des Ost-West-Konflikts eben nicht das Ende der Konfliktgeschichte in und um Europa herum.
Im Grunde ist das viel weniger verwunderlich als die erstaunliche Dynamik, mit der aus einem typischen Instrument der sowjetischen Politik im Kalten Krieg ein gesamteuropäisches Projekt für blockübergreifende Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Friedenssicherung und Wirtschaftsbeziehungen sowie der Menschenrechte wurde, ungeachtet vieler Missverständnisse und Rückschläge. Morgans auf viel Quellenmaterial und die umfangreiche (hauptsächlich angelsächsische) Sekundärliteratur zurückgreifende Monographie bietet einen eindrucksvollen Überblick über Vorgeschichte und Verlauf der multilateralen diplomatischen Verhandlungen, die ab November 1972 in Helsinki, Genf und wiederum Helsinki sowie, nicht so gut sichtbar, auch bilateral in den Hauptstädten der beteiligten Länder stattfanden. Sein Ansatz betont die Multilateralität der Vorgänge, unterschlägt aber weder die besonderen einzelstaatlichen Interessen an der KSZE noch die teilweise Interessenüberlagerung der beiden Weltmächte USA und UdSSR. Das ist eine originelle Perspektive, die auch vieles, was bereits bekannt ist, in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Gegliedert ist das Buch in eine Einleitung, sieben Kapitel und einen Epilog. Morgan unterlegt seiner Darstellung des KSZE-Prozesses eine Deutung des Ost-West-Konflikts nach 1945, die sowohl die grundsätzlichen Unterschiede als auch die Ähnlichkeit mancher Herausforderungen im westlichen und östlichen Lager herausstellt. Im ersten Kapitel beschreibt er so die Legitimitätskrisen, die sich in den 1960er Jahren in Ost und West bemerkbar machten, und folgert, der durch sie erzeugte Druck auf die Regierungen habe zu deren Bereitschaft beigetragen, wenigstens im Ost-West-Konflikt (bei Morgan durchgängig als Kalter Krieg bezeichnet) zu einer Art Entspannung zu kommen. Freilich verbanden alle Akteure erheblich unterschiedliche Erwartungen an eine solche Ost-West-Entspannung. Darauf geht das zweite Kapitel ein, in dem exemplarisch die Prioritäten von Breschnew, Nixon (mit Kissinger), Pompidou und Brandt (mit Bahr) dargestellt werden - ein wenig zugespitzt, aber überzeugend.
Im dritten Kapitel stellt Morgan die sich seit 1968/69 im Westen wie im Osten jeweils konkreter herausbildenden Ziele samt den damit verbundenen Verhandlungsstrategien für eine Ost-West-Großkonferenz vor. Rasch hatte sich gezeigt, dass es nicht unbeträchtliche Risse in den beiden Lagern gab, was die Vorbereitungen nicht erleichterte. Morgan sieht in dem ausgeprägten Interesse des Generalsekretärs der UdSSR, den territorialen Status quo in Europa abzusichern und sein Land als mit den USA gleichrangige Weltmacht zu etablieren, einen entscheidenden Faktor. Beides zusammen galt ihm als Friedensgarantie. Die US-Regierung folgte ihm dabei sogar ein Stück weit. Folglich wurden die europäischen Mächte, insbesondere die Bundesrepublik, wegen ihrer hartnäckigen und schließlich ja auch erfolgreichen Versuche, einen friedlichen Wandel des territorialen (und unausgesprochen des ideologischen) Status quo in den Bereich des legal Möglichen zu rücken, in Moskau misstrauisch und auch in Washington nicht unbedingt freundlich betrachtet.
Das vierte Kapitel behandelt die Prinzipienerklärung, in der es den Diplomaten gelungen ist, die widersprüchlichen Prinzipien der Souveränität/Nichteinmischung einerseits und des friedlichen Wandels und der Menschenrechte andererseits kunstvoll auszubalancieren. Morgan geht hier auch ausführlicher auf den eigenartigen Umstand ein, dass die KSZE in der Öffentlichkeit der westlichen Länder lange weitgehend ignoriert oder gar als ein trojanisches Pferd der UdSSR angesehen wurde. Das fünfte Kapitel behandelt die im Korb zwei gesammelten Fragen der blockübergreifenden Wirtschaftskooperation und Kapitel sechs die Formulierungen der Schlussakte zu den Menschenrechten im Korb drei. Anschließend geht es im Kapitel sieben noch einmal um die Argumente prominenter westlicher Kritiker (darunter, besonders meinungsstark Franz Josef Strauß) an der Schlussakte sowie um die weitere Entwicklung des KSZE-Prozesses auf den Folgekonferenzen von Belgrad (1977-1979) und Madrid (1980-1983). Beide waren nicht sehr ergiebig, dennoch aber wichtig, weil trotz oft heftigen Gegenwindes ein Abbruch der Verhandlungen vermieden wurde. Während der Belgrader Folgekonferenz veränderte sich das westliche Meinungsklima. Die Nützlichkeit der KSZE für die Durchsetzung westlicher Interessen, aber auch für die verschiedenen Dissidenten-Gruppierungen in den sowjetsozialistischen Ländern wurde nun breit anerkannt. Im Epilog mit dem nicht nur auf Deutschland bezogenen Titel Reunifications beschreibt Morgan die Glanz-Jahre der KSZE in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.
Es ist sicher richtig, dass, wie Morgan behauptet und an vielen Beispielen illustriert, der KSZE-Prozess nicht zuletzt ein Triumph der vielen beteiligten Diplomaten war, die unverdrossen an einer kooperativen Perspektive festhielten und sozusagen eine blockübergreifende Verhandlungskultur entwickelten, notfalls auch gegen ihre Vorgesetzten. Die Parallelität der doch recht unterschiedlichen Legitimationskrisen in Ost und West während der 1960er Jahre erscheint dagegen als überbetont. Die Schlussakte als diplomatischen Sieg westlicher Prinzipien im Ost-West-Konflikt zu deuten, wie Morgan es tut, ist plausibel. Allerdings begann dieser bald zu bröckeln.
Vermutlich wird sich das schon in der Einleitung von Morgans Studie formulierte Gesamturteil des Autors- die KSZE sei für die Entwicklung Europas ähnlich folgenreich gewesen wie der Wiener Kongress von 1815 - nicht halten lassen. Die beachtlichen Erfolge der KSZE und ihr beruhigender Einfluss auf die Art und Weise der Beendigung des Ost-West-Konflikts werden heute weniger bestritten als früher. Was hingegen die turbulente und konfliktreiche Weltordnung (oder Welt-Unordnung) seit den 1990er Jahren angeht - unter welchen Gesichtspunkten man sie auch analysiert, wirkungsvolle Ordnungsimpulse, die von der KSZE/OSZE ausgegangen sind, lassen sich hier so gut wie gar nicht ausmachen.
Wilfried von Bredow