Marie-Thérèse Champagne / Irven M. Resnick (eds.): Jews and Muslims under the Fourth Lateran Council. Papers Commemorating the Octocentenary of the Fourth Lateran Council (1215) (= Religion and Law in Medieval Christian and Muslim Societies; 10), Turnhout: Brepols 2018, 280 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-58151-4, EUR 79,00
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Rebecca Rist: Popes and Jews, 1095-1291, Oxford: Oxford University Press 2016
Wiebke Deimann: Christen, Juden und Muslime im mittelalterlichen Sevilla. Religiöse Minderheiten unter muslimischer und christlicher Dominanz (12. bis 14. Jahrhundert), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2012
Paola Tartakoff: Between Christian and Jew. Conversion and Inquisition in the Crown of Aragon, 1250-1391, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2012
71 Kanones fassten die Beschlüsse des 4. Laterankonzil vom 11. bis 30. November 1215 zusammen. Lediglich fünf davon griffen Aspekte auf, die das Leben von Juden und Muslimen unter christlicher Herrschaft betrafen: Kanon 67 befasste sich mit jüdischen "Wucherzinsen"; Kanon 68 forderte unterschiedliche Kleidung für Christen, Juden und Muslime; Kanon 69 verlangte, Juden, und ohne explizite Nennung auch Muslime, nicht mit offiziellen Ämtern zu betrauen; Kanon 70 betraf jüdische Konvertiten; Kanon 71 rief zu einem neuerlichen Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen Landes auf. Der rezensierte Band widmet sich diesen fünf Kanones. Seine einzelnen Beiträge bearbeiten dabei nicht einfach jeweils einen Kanon, sondern beleuchten einen oder mehrere aus unterschiedlichen Perspektiven.
Der erste Teil versammelt fünf Beiträge, die den "jüdischen" Aspekt des Konzils untersuchen: Valerie Ramseyer beschreibt das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen in Süditalien vor dem Konzil. Alex Novikoff verbindet Kanon 68 mit einem anderen Text von Innozenz III. und stellt dar, wie dadurch Juden das Verhalten an einem bestimmten öffentlichen Raum in einer christlichen Stadt vorgegeben werden sollte. Irven Resnick verfolgt, wie aus der Forderung nach unterschiedlicher "Kleidung" für Christen, Juden und Muslime in nur wenigen Jahren die Forderung nach "Kleidungskennzeichen" für Juden und Muslime wurde. Anna Sapir Abulafia stellt die Konzilsbeschlüsse in den Kontext von zwei früheren Bullen Innozenz' III. sowie drei zeitnahen Kommentaren zu diesen Beschlüssen, um herauszuarbeiten, welche Bedeutung Innozenz der jüdischen "Knechtschaft" innerhalb der christlichen Gesellschaft zumaß. Rebecca Rist stellt einen Text aus dem Schevet Jehuda (16. Jahrhundert) vor, der auf das Konzil Bezug nimmt.
Der zweite Teil des Bandes umfasst sechs Beiträge und ist dem "muslimischen" Aspekt vorbehalten: Ryan Szpiech stellt dar, dass die Konzilstexte vor und bis einschließlich 1215 lediglich den sozialen Status von Muslimen innerhalb einer christlichen Gesellschaft, oder deren Rolle als Kriegsgegner, thematisierten, während spätere Texte auch auf die religionsgesetzlichen Grundlagen des Islam sowie den Glauben und die religiöse Praxis von Muslimen eingingen. Giulio Cipollone zeigt, dass die Konzilsbeschlüsse keinerlei Interesse der Teilnehmer an der Frage der Auslösung von Kriegsgefangenen erkennen lassen, obwohl diverse Texte von Innozenz III. klarmachen, dass diese Problematik für ihn von sehr großer Bedeutung war. Yvonne Friedman arbeitet heraus, dass der Wille zum Kreuzzug gegen die Muslime und die Notwendigkeit, dafür so viele Männer wie möglich aufzubieten, Innozenz III. dazu bewog innerchristlich Frieden zu propagieren. Clara Almagro Vidal versucht aus den wenigen Quellen herauszufiltern, welche Einflüsse die Konzilsbeschlüsse auf religiöse Orden hatten, die auf der iberischen Halbinsel für den Kampf gegen die Muslime gegründet worden waren. Ana Echevarria zeichnet nach, wie sich die Bestimmungen des Konzils auf die Muslime der Iberischen Halbinsel auswirkten. Josep Hernando Delgado beschreibt die Vorbedingungen und Folgen der Konversionen von Juden und Muslimen, die auf der Iberischen Halbinsel nach 1215 stattfanden.
Den Beiträgen angeschlossen sind ein Appendix, eine Bibliografie sowie ein Index. Der Appendix (223-233) bietet zuerst die englischen Übersetzungen der Kanones 67-71, daran anschließend folgen die lateinischen Texte.
Alle Beiträge regen zu weiteren Überlegungen an und werfen weitere Fragen auf. Eine besonders wichtige Frage betrifft den Text von Kanon 68 (Kleidungskennzeichen), der in allen Beiträgen angesprochen wird. Abulafia (93) stellt fest, dass nur in fünf von ca. dreißig Handschriften dieses Kanons neben Juden auch Muslime erwähnt werden. Die auf den eigentlichen Text folgende Feststellung, dass Moses selbst bereits eine Kleidungsunterscheidung gefordert habe, scheint Abulafia daher "nachlässig", weil sie sich ja nur auf Juden, nicht aber auf Muslime beziehen kann. Da auch die drei von ihr herangezogenen Kommentare zu den Konzilsbeschlüssen Muslime nicht erwähnen, vermutet sie, dass in der ursprünglichen Textfassung nur von Juden, nicht aber von Muslimen, die Rede war.
Resnick (67) stellt fest, dass der Verweis auf Moses in späteren Fassungen des Konzilstextes ausgelassen wurde. Führt man Abulafias und Resnicks Feststellungen zusammen, ergibt sich die Frage, ob sich der Text von Kanon 68 ursprünglich nur auf Juden bezog. Immerhin hatte er, wie das Folgende zeigt, auf diese besondere Auswirkungen.
Resnick rekonstruiert in seinem Beitrag unter anderem die verschiedenen Formen und Optiken, die die Kleiderkennzeichen für die Juden im Lauf der Zeit annahmen. Diesen Aspekt nimmt auch Rist in ihrem Beitrag auf, in dem sie eine entsprechende Textstelle aus dem Schevet Jehuda analysiert. [1] Leider hat Rist ihre hebräische Quelle an mehreren Stellen etwas ungenau gelesen. So entnimmt sie dem Text, dass die Juden von Montpellier im Jahr 1215 in eine existenzbedrohende Situation geraten wären, im Text selbst ist aber von Béziers die Rede (Rist 108; Shochat 147). Rist stellt Überlegungen darüber an, was die abschätzige Beschreibung der Kleidung der Konzilsteilnehmer im hebräischen Text bedeuten könnte, unterlässt es aber darauf hinzuweisen, dass Shochat vermutet hatte, dass die entsprechenden hebräischen Worte ursprünglich nicht an diese Stelle des Textes gehörten (Rist 109; Shochat 233). [2] Im Schevet Jehuda heißt es weiter: "Im Jahre 176 ward von Seiten der tyrannischen Regierung der Beschluss gegen unser Volk gefasst, dass sie mit einem Abzeichen versehen, an welchem sie kenntlich wären, von zwölf Jahren und darüber einhergehen sollten, und zwar Männer an ihren Hüten und die Frauen an ihren Schleiern."[3] Rist verlegt diese Bestimmung ins Jahr 1215, obwohl im Text das Jahr 1216 genannt ist und der Tod Innozenz' III. im selben Jahr angesprochen wird (Rist 109). Zuletzt verschleiert Rists verkürzte Zusammenfassung des nachfolgenden Textes, dass in späteren Jahren in Frankreich an verschiedenen französischen Orten weitere, und unterschiedliche, Bestimmungen in Bezug auf die Kleidungskennzeichen und ihre Ausgestaltung getroffen wurden, und dass diese Bestimmungen nicht nur einmal, sondern mehrmals aufgehoben und wieder in Kraft gesetzt worden sind. [4]
Rists Analyse des kurzen Textes aus dem Schevet Jehuda bietet, vor allem, wenn man sie zusammen mit den Analysen der anderen Beiträge liest, ein differenziertes Bild der zahlreichen Versuche, die Kleidungskennzeichnung an verschiedenen Orten im Frankreich des 13. Jahrhunderts durch- und umzusetzen.
Ebenso differenzierte Bilder erhält die interessierte Leserin, der interessierte Leser, auch im Hinblick auf die anderen Konzilsbeschlüsse, die Juden und Muslime einschließen.
Der hier rezensierte Band ist daher, trotz der oben formulierten Vorbehalte, zur eingehenden Lektüre sehr zu empfehlen.
Anmerkungen:
[1] Rists benutzte für ihre Analyse die Ausgabe Azriel Shochat (ed.): Sefer Schevet Jehuda (Hebräisch), Jerusalem 1947.
[2] In der älteren Ausgabe Meir Wiener: Sefer Schevet Jehuda (Hebräisch), Hannover 1855 (Neudruck 1924), 114 finden sich die Worte nicht.
[3] Meir Wiener: Das Buch Schevet Jehuda (Deutsch), Hannover 1856, 233.
[4] Für die jüdischen Bemühungen, sich der Kennzeichnungspflicht zu entledigen, nennt der hebräische Text auch zwei Namen. Nach Rist handelte es sich dabei um die Rabbinen "Mordechai Man Yosef Oynin and Shlomo de Shalom" (Rist 110). Shochat identifizierte den Erstgenannten als R. Mordechai bar Joseph aus Avignon, den zweiten als R. Salomo aus Salon (Shochat 224).
Ursula Ragacs