Rezension über:

Astrid M. Eckert: West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands, Oxford: Oxford University Press 2019, x + 422 S., 3 Kt., 10 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-069005-2, GBP 64,00
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Rezension von:
Pascal Pawlitta
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Pascal Pawlitta: Rezension von: Astrid M. Eckert: West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands, Oxford: Oxford University Press 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 10 [15.10.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/10/33950.html


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Astrid M. Eckert: West Germany and the Iron Curtain

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Bei der lesenswerten und ansprechend geschriebenen Monographie "West Germany and the Iron Curtain" handelt es sich um einen Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik, der sich von den gewohnten historiographischen Metaerzählungen unterscheidet. Astrid Eckert nimmt mit ihrem Fokus auf die östliche Peripherie eine bisher wenig berücksichtigte Perspektive ein und fragt hiervon ausgehend nach den Auswirkungen der innerdeutschen Grenze auf den westdeutschen Staat. Konkret steht jener Grenzstreifen im Zentrum des Interesses, der - ganz in der Rhetorik der Nachkriegszeit - seit den 1950er Jahren unter der Bezeichnung "Zonenrandgebiete" firmierte und den Eckert aufgrund der unmittelbaren Nähe zur weltpolitisch bedeutsamen Systemgrenze als "most sensitive geographical space in West Germany" (3) beschreibt. In insgesamt sechs Kapiteln werden nicht nur ökonomische, kulturelle und umweltbezogene Belange dieser Grenzregion beleuchtet. Eckert richtet durch diese thematischen Schlaglichter zugleich einen neuen Blickwinkel auf die Geschichte der (alten) Bundesrepublik, auf die innerdeutschen Beziehungen und den Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Staaten.

Wie die Autorin diesen Ansatz umsetzt und die einzelnen Themenkapitel auch als eine Art Linse zur Betrachtung breiterer Bedeutungszusammenhänge der bundesdeutschen Geschichte verwendet, lässt sich besonders eindrücklich an den ersten beiden Abschnitten ablesen. Anhand ausgewählter lokaler Zugriffspunkte legt Eckert dar, wie die an die DDR angrenzenden Landstriche zu Beginn der 1950er Jahre als vermeintlich besonders hart von der innerdeutschen Teilung betroffene und daher wirtschaftlich rückständige Regionen konstruiert wurden und wie sich dieses Konstrukt im weiteren Verlauf unter dem Label der "Zonenrandgebiete" als dauerhafte territoriale, politische und sozio-ökonomische Kategorisierung in der Bundesrepublik etablierte. Neben den Interessen und Aktivitäten bestimmter lokaler Akteure, die Eckert als "borderland advocates" (15) bezeichnet und die auf eine möglichst umfassende Subventionierung ("Zonenrandförderung") ihrer Regionen zielten, finden dabei auch die Einflüsse der Bundespolitik sowie damit einhergehende Funktionalisierungen der östlichen Randgebiete Beachtung. Beispielhaft sei auf die Zielsetzung der Regierung Adenauer verwiesen, durch eine Förderung der infrage stehenden Gebiete Abwanderungs- und Verödungsprozessen

entgegenzuwirken, um das Herausbilden einer "wirklichen" Grenze zu der in ihrer Staatlichkeit nicht anerkannten DDR zu verhindern und derart die Perspektive einer raschen Vereinigung aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang setzt die Studie auch die Kategorie "Raum" gewinnbringend als Analysemittel ein. So sieht Eckert in der anvisierten ökonomischen Durchdringung der östlichen Peripherie einen Teil der (territorialen) Konsolidierung der frühen Bundesrepublik.

Auf diese beiden wirtschaftshistorisch angelegten Kapitel folgt eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des (westdeutschen) Grenztourismus, der im Sinne des dreiteiligen Untertitels des Buchs vermutlich als eine besondere kulturelle Praxis beleuchtet werden soll. Eine nähere Einordnung erfolgt bedauerlicherweise ebenso wenig wie eine Erläuterung darüber, welcher Kulturbegriff der Studie insgesamt zugrunde liegt. Das Kapitel schwebt damit ein wenig im luftleeren Raum; die schlüssige und in vielerlei Hinsicht aufschlussreiche Argumentation erleidet dadurch allerdings keinen größeren Abbruch. Detailliert wird die Entwicklung verschiedener Formen von Grenzbesuchen nachgezeichnet: Von den zunächst weitgehend lokal organisierten Besichtigungen, über die zunehmende Institutionalisierung und die Herausbildung fester Infrastrukturen bis hin zur Integration in den Bereich der politischen Bildung. Obwohl diese Grenzerfahrungen gerade in den 1950er und 1960er Jahren vielfach in den Kontext der offiziellen Doktrin von Antikommunismus und der Überwindung der deutschen Teilung gestellt worden seien, so Eckert, habe diese Form, die innerdeutsche Grenze zu vergegenwärtigen und sichtbar zu machen, langfristig eher das Gegenteil bewirkt und zu einem fortschreitenden Normalisierungsprozess beigetragen, der den politischen und territorialen Status quo stabilisiert habe. Im Zuge der touristischen Erschließung nach der Wiedervereinigung sei der Grenzstreifen schließlich als bedeutendes Symbol der Teilung in der erinnerungskulturellen Landschaft der Bundesrepublik aufgegangen.

Mit gleich drei Kapiteln, die einen umwelthistorischen Zuschnitt verfolgen, reiht sich die Studie ein in die zunehmenden Bestrebungen, die Umweltgeschichte des Kalten Kriegs und des geteilten Deutschlands zu untersuchen. [1] Berücksichtigung finden der Umgang mit grenzüberschreitender Luft- und Wasserverschmutzung, die Folgen des Grenzregimes für die Landschaft und Tierwelt sowie die Diskussionen, Proteste und politischen Verhandlungen rund um die Einrichtung eines Atommüllendlagers in Gorleben. Dabei eröffnet insbesondere der über die reine Dauer des Eisernen Vorhangs hinausgehende zeitliche Rahmen neue Perspektiven. Denn dadurch rücken auch geschichtspolitisch vielfach besonders wirksame Deutungsmuster und Narrative über die Entwicklungen nach 1989/90 in den Blickpunkt, die Eckert einer kritischen Würdigung und einem ersten Historisierungsversuch unterzieht. Dies gilt sowohl für die populäre Erfolgserzählung über die Umwandlung der Grenze von einer Todeszone in einen grünen Lebensraum (Stichwort: Grünes Band) - laut Eckert eine Verkürzung der langjährigen Geschichte dieser "transboundary natures" (198) - wie auch für das gängige Bild von der ökologischen Restauration der ehemaligen DDR. So weist die Autorin darauf hin, dass die Thematisierung der massiven DDR-Umweltzerstörungen in der frühen Vereinigungsgesellschaft auch ein probates Mittel darstellen konnte, um sich auf westlicher Seite der eigenen Überlegenheit zu versichern. Und das verbreitete Narrativ einer mittlerweile erfolgreich vollzogenen Renaturierung täusche trotz aller Berechtigung über nach wie vor bestehende (und im europäischen Vergleich teils weit überdurchschnittliche) Umweltbelastungen hinweg, deren Ursachen nicht in der kommunistischen, sondern in der nach kapitalistischen Gesichtspunkten umgestalteten Wirtschaftsweise zu sehen seien.

Insgesamt liefert Astrid Eckert durch die Grundkonzeption ihres Buchs eine erfrischend andere Perspektive auf einzelne Schlaglichter der bundesdeutschen Geschichte. Der Ansatz, von der Peripherie ausgehend auch das (politische) Zentrum einzubeziehen, wird konsequent umgesetzt. Es ist begrüßenswert, dass wirtschafts-, politik-, kultur- und umwelthistorische Fragestellungen bewusst miteinander verbunden werden. Indem die Studie die gesamte Grenzregion betrachtet, liefert sie zudem eine Erweiterung zur breiten Forschungslandschaft zur Berliner Mauer und offenbart zugleich, wie auch bundesrepublikanische Akteure und Aktivitäten - trotz mitunter entgegenlaufender Intentionen - zur Konstruktion und Ausgestaltung der innerdeutschen Grenze beitrugen. Die Einbeziehung von Entwicklungen der Zeit nach 1989/90 ist zwar nicht grundsätzlich neu, stellt aber dennoch einen besonderen Mehrwert dar und bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für die zukünftige Forschung.


Anmerkung:

[1] Siehe z. B. Astrid Mignon Kirchhof / John McNeill (eds.): Nature Protection and the Iron Curtain. Environmental Policy and Social Movements in Communist and Capitalist Countries 1945-1990, Pittsburgh 2019; J. R. McNeill / Corinna R. Unger (eds.): Environmental Histories of the Cold War, New York 2010.

Pascal Pawlitta