Joachim Bauer / Stefan Gerber / Christopher Spehr (Hgg.): Das Wartburgfest von 1817 als europäisches Ereignis (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena; Bd. 15), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 340 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-12578-9, EUR 59,00
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Das Konzept der Jenaer Jubiläumstagung von 2017, aus der dieser Band hervorgegangen ist, sah vor, das Wartburgfest in europäischer Perspektive zu betrachten. Das ist gelungen. Der deutschsprachige Raum steht zwar im Mittelpunkt. Doch auch in ihm wird die europäische Szenerie sichtbar, in der das Fest seine Wirkung entfaltete.
Die ersten fünf Beiträge fragen, wie die politischen Führungen in der Habsburgermonarchie (Wolfram Siemann), Preußen (Wolfgang Burgdorf) und Russland (Franziska Schedewie) auf das Fest reagierten, wie es britische Zeitungen und Diplomaten (Markus Mößlang) wahrnahmen, und welche Gesamteinschätzung des Festes und seiner Wirkungen der heutige Forschungsstand zulässt und wie er sich verändert hat (Hans-Werner Hahn). Siemann setzt auf der Grundlage seiner großen Metternich-Biographie [1] einen Gegenpunkt zu den gängigen Einschätzungen: Metternich nicht als Hauptverantwortlicher für die restaurative Wende im Deutschen Bund, sondern als Architekt eines auf Kriegsvermeidung ausgelegten Sicherheitssystems, das innere Reformen nicht ausschließen wollte. In Metternichs Handlungsagenda kam dem Wartburgfest nur eine marginale Position zu, wie für ihn generell der deutsche Raum in der Frühphase des Deutschen Bundes nicht im Vordergrund stand. Auch in den britischen Medien spielte das Wartburgfest "kaum eine Rolle" (Mößlang, 89), während die britischen Gesandten in Berlin und Dresden wie auch ihre russischen und französischen Kollegen es als Zeichen einer drohenden Revolution verstanden.
Der nächste Abschnitt ist deutschen Mittel- und Kleinstaaten gewidmet. Marko Kreutzmann deutet die Ereignisse im Herbst 1817 als "die entscheidende Wende in der Verfassungspolitik der süddeutschen Mittelstaaten" (125). Seine Wortwahl - "scheint", "vielleicht sogar" - macht jedoch kenntlich, es handelt sich um eine Hypothese, die einer genaueren Untersuchung bedarf. In Sachsen war es anders. Hier wurde, so Winfried Müller, das Wartburgfest "kein Erinnerungsort" (129). Warum das so war, erörtert er eingehend. Für Sachsen-Weimar-Eisenach hingegen gehörte das Fest zum Konstitutionalismus, mit dem das Großherzogtum seine Position zu festigen suchte. Das Staatsministerium und der Großherzog unterstützten es großzügig und verteidigten es im Vorfeld gegen die Warnungen, die von anderen Regierungen eingingen (Gerhard Müller).
Die Einladungen der Jenaischen Burschenschaft gingen an "sämmtliche protestantische Universitäten Deutschlands"; es sollte der Leipziger Völkerschlacht gedacht und das 300jährige Reformationsjubiläum gefeiert werden. Der Bedeutung des Konfessionellen gehen zwei Beiträge nach. Christopher Spehr erörtert zunächst in weiter Perspektive, wie das Wartburgfest in einen "über das rein konfessionell Kirchliche hinausgehenden ideengeschichtlichen Horizont von 'Protestantismus' als Religion der Freiheit, des Fortschritts und des besseren Zusammenlebens" einzuordnen ist (159). Vor allem aber analysiert er präzise anhand der Quellen die Liturgie der Andachten und Gottesdienste und das religiöse Spektrum, das in den Liedern und Reden sichtbar wird. Er konstatiert ein kämpferisches Lutherbild, das "in dieser Zuspitzung neu" sei (175) und beigetragen habe, den "religiösen Patriotismus" populär zu machen. Wie das "katholische Deutschland" zum Wartburgfest stand - danach fragt Stefan Gerber - ist schwieriger festzustellen. Um die "These vom Brennglas-Charakter des Wartburgfestes für die Tendenz einer Politisierung der Konfessionen" (182) im 19. Jahrhundert zu untermauern, müsste als ein erster Schritt untersucht werden, ob und wie man sich in den katholischen Landschaften des deutschsprachigen Raums mit dem Wartburgfest auseinandergesetzt oder später darauf zurückgegriffen hat. Eine solche Untersuchung fehlt. Gerber bietet einen Ausgangspunkt.
Der abschließende und umfangreichste Abschnitt ist "Öffentlichkeit und Universitäten" überschrieben. Werner Greiling hat eine Reihe von Periodika durchgesehen, die erkennen lassen, wie das Wartburgfest zu einem Medienereignis wurde. Dass die Berichterstattung zunehmend kritischer geriet, lag vor allem an der Aufmerksamkeit, welche die Bücherverbrennung auf sich zog. Die Augsburger Allgemeine Zeitung hatte zunächst ohne Kommentar und Wertung von diesem Akt berichtet, doch dann wurden in dieser Zeitung vor allem die Professoren kritisiert, die mit der Verbrennung von Büchern "die Habeas-Corpusakte der gelehrten Republik" (212) verletzt hätten. Dass nicht die Bücher, sondern Makulaturbögen verbrannt wurden (54, 201, 224), bestreiten für einige der Titel Anna Ananieva und Rolf Haaser (220). Die beiden rekonstruieren die ideologische Radikalisierung, die mit dem Mord an August von Kotzebue und den Angriffen auf Alexander von Stourdza einher ging und in die Karlsbader Beschlüsse mündete.
Aufschlussreich ist die statistische Analyse der studentischen Festteilnehmer durch Joachim Bauer. Von den 501 bislang namentlich ermittelten Teilnehmern waren ca. 80 % Studenten. Die Mehrzahl studierte Rechtswissenschaft oder Theologie, knapp die Hälfte in Jena. Lutheraner überwogen. Wichtig ist Bauers Hinweis, dass möglicherweise nicht nur konfessionelle Gründe die Auswahl der Eingeladenen bestimmt hätten, sondern auch, weil man nur Universitäten berücksichtigte, die über Burschenkomments verfügten. Noch dominierten aber die Landsmannschaften. Auf dem Wartburgfest waren mehr als 80 vertreten. Für 47 Studenten (von 401) konnte nachgewiesen werden, dass sie an Kriegen 1813-15 teilgenommen hatten. Die große Mehrheit aller studentischen Festteilnehmer war im wehrfähigen Alter. Die Kriegsära hatte sie politisiert. Sie wollten am politischen Leben teilhaben, wie auch ihre Universitätslehrer. Klaus Ries nennt das Wartburgfest die "Geburtsstunde des 'politischen Professorentums'" [2]. In den politischen Gelehrten die "Keimzelle der frühen liberalen Gesellschaft" (265) zu sehen, blendet allerdings die Bedeutung des städtischen Bürgertums aus.
Universitäten auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie waren nicht zum Wartburgfest eingeladen worden. Den "österreichischen Sonderweg" der Hochschulen und der Studentenschaft analysiert überzeugend Matthias Stickler. Er endete um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Politik der Abschottung gelang nicht völlig, doch sie unterband erfolgreich den "Austausch mit dem außerösterreichischen Deutschland" (299). Die Folge war, dass die österreichischen Universitäten qualitativ zurückfielen und Österreich zunehmend aus dem Prozess der deutschen Nationsbildung, in dem die Universitäten eine wichtige Rolle spielten, ausschied. Die nationalpolitische Selbstausgrenzung ging dem militärisch erzwungenen Ausscheiden Österreichs aus Deutschland voraus.
Den Abschluss des Bandes bildet Harald Lönneckers differenzierte Analyse des Wartburgfestes in der burschenschaftlichen Historiographie. Die Betrachtung beginnt mit den frühen Studien von 1817 und 1818 und führt bis zu Paul Wentzckes Geschichte der Frühphase der Burschenschaft von 1919. Die Wertungen fielen sehr unterschiedlich aus. Die größte Resonanz fanden die Schriftsteller, die in ihren Romanen über die Burschenschaft und ihr Wartburgfest schrieben.
Der Band bilanziert und erweitert den Forschungsstand.
Anmerkungen:
[1] Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biographie, München 22017. http://www.sehepunkte.de/2016/09/forum/mehrfachbesprechung-wolfram-siemann-metternich-stratege-und-visionaer-eine-biografie-muenchen-chbeck-2016-202/
[2] Detailliert dazu Klaus Ried: Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007. http://www.sehepunkte.de/2008/02/13629.html
Dieter Langewiesche