Ruth Meyer (ed.): Alberti Magni Opera Omnia. Tomus XX, Pars I. Super Threnos. Super Baruch, Münster: Aschendorff 2019, CXIII + 134 S., ISBN 978-3-402-10122-3, EUR 166,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Julia McClure: The Franciscan Invention of the New World, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2017
Gert Melville / Leonie Silberer / Bernd Schmies (Hgg.): Die Klöster der Franziskaner im Mittelalter. Räume, Nutzungen, Symbolik, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2015
Gaia Sofia Saiani (a cura di): La Passio XII fratrum qui e Syria venerunt. Edizione critica e introduzione, Spoleto: Fondazione Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo 2019
Die Mediävistin Ruth Meyer legt hier eine neue Edition von Kommentaren des gelehrten Dominikaners Albertus Magnus zu zwei kurzen biblischen Büchern vor. Das erste, in der lateinischen Vulgata "Threni" genannt, ist heute auch Bibelkundigen kaum noch unter diesem Namen bekannt, sondern als "Klagelieder" (Lamentationes), die gleich auf das große Buch Jeremia folgen, in seine Zeit zu datieren, aber nicht von ihm verfasst sind. Gegen seine Autorschaft sprechen das gebundene Versmaß der fünf Lieder und die Anordnung der ersten vier als Akrostichon. Das fünfte (Klgl 5,1-22) ist eine Bitte des leidenden Volkes an JHWH, dass er sich ihm erneut zuwende. In der Vulgata ist Klgl 5 mit "Oratio Ieremiae" überschrieben, was Albertus Magnus gleich damit begründet, dass Jeremia "ein Freund der Brüder und des Volkes Israel ist, der viel für das Volk und die gesamte Gesellschaft betet" (67). Albert erkennt auch, dass das Gebet zweigeteilt ist; er kommentiert jeden Vers mit bis zu 30 Zeilen, wobei ein Drittel wiederum Zitate aus dem Alten Testament sind, mehr als aus dem Neuen Testament. Von den Vätern zitiert er in diesem Gebet je einmal Augustinus († 430) und Hieronymus († 419), während bei den vorhergehenden Kapiteln keine Väter herangezogen werden. Wohl aber gibt die Herausgeberin im zweiten kritischen Apparat auf jeder Seite Parallelstellen aus anderen Werken Alberts sowie aus Werken von Beda Venerabilis († 735), Hugo von St. Cher († 1263) und Hugo von St. Viktor († 1241) an, zur Herleitung von Namen besonders Isidor von Sevilla († 636) und häufig die Glossa Ordinaria zur lateinischen Bibel (ed. A. Rusch) und jene zu den Lamentationes Ieremiae (ed. A. Andrée). Ferner verifiziert oder korrigiert sie die biblischen Stellenangaben. Im ersten, meist kürzeren kritischen Apparat verzeichnet sie die Varianten der Lesarten in den Kodizes von Bordeaux (= B), Königsberg (= K), London (=L), München (= M) und dem Vatikan (=V) sowie in der bisherigen Edition der Werke Alberts von Petrus Jammy (Lyon 1651).
Damit sind wir bei den "Prolegomena super Threnos" (VII-XIX). Darin erklärt Ruth Meyer in gut verständlichem Latein: 1. Warum das Buch super Threnos von Albertus stammt, der ihm auch diesen Titel gegeben hat; 2. Warum sie die Entstehungszeit "nicht lange vor 1272" (VIII) ansetzt; 3. Wie sie die genannten fünf Handschriften einander zuordnet und datiert und weshalb sie neben der ersten gedruckten Albertus-Ausgabe von 1651 auch noch jene von Paris 1893 anführt; 4. Wie jede der Handschriften ihre Geschichte hat, sie sich gegenseitig ergänzen und manchmal von der Druckausgabe abweichen; 5. Welches die Prinzipien der Edition sind; 6. Dass sie den Kodex K deshalb als Grundlage des Edtionstextes heranzieht, weil er der älteste Textzeuge ist, sie fehlende Worte aber aus den anderen Kodizes ergänzt, und schließlich auch den von Albertus gebrauchten Bibeltext der Vulgata nach den drei in Paris vorhandenen Versionen (Mazarine, vor 1231; Correctorium S. Iacobi, ca. 1250; Sorbonne, vor 1270) berücksichtigt und möglichst jene Version als Basis benutzt, die mit allen drei Versionen übereinstimmt (Ω); wo dies unmöglich ist, belässt sie den Text nach Ω M, Ω J und Ω S. Bleibt noch zu sagen, dass das Buch der Klgl bis heute im Judentum am Gedenktag der Zerstörung des Tempels (9. Av), im Christentum in der Karwoche in Bezug auf das Leiden und Sterben Jesu liturgisch verwendet wird.
Das bisher Gesagte gilt mutatis mutandis auch für das Buch Baruch, das etwa die gleiche Länge hat und zu Beginn Baruch, den Helfer und Sekretär des Propheten Jeremia, als Autor nennt, der das Buch in Babel geschrieben und vor König Jojachin von Juda und seinem ganzen Volk vorgelesen haben soll (Bar 1,1-4). Während die griechische Bibel (LXX) Baruch unmittelbar auf Jeremia folgen lässt, hat ihn die lateinische hinter die Klagelieder gestellt. Dadurch, dass Bar 6 einen Brief des Jeremias fingiert, ist das Buch ebenso gut mit Jeremia verbunden wie die Klagelieder, die nach dem Untergang der Stadt und des Tempels klagen, aber auch vertrauensvoll bitten: "Erneuere unsere Tage wie in der Urzeit!" (Klgl 5,21b).
Statt fünf Handschriften wie bei den Klgl sind es bei Bar nur zwei: eine aus Brügge (= Br) (XV. Jh.), eine aus dem Vatikan (= V) (XIV. Jh.). Sie bilden zusammen mit der Lyoner Edition der Opera omnia Alberti sowie dem Pariser Bibeltext des XIII. Jahrhunderts und der Vulgata-Version (Rom, 1972) die Grundlage für den kritischen Text. Aufgefallen ist mir, dass es im zweiten kritischen Apparat für den Kommentar zu Bar zahlreiche Verweise gibt nicht nur auf andere Vätertexte, sondern auch auf Texte von Albertus selbst, die somit die Authentizität der kleinen Schrift Bar erhärten.
Für die beiden Schriftkommentare gibt es gleichartige sorgfältige "Indices" (IXL-CX): 1. zu Stellen der Heiligen Schrift; 2. zu den von Albertus selbst angeführten Autoren; 3. zu jenen, die R. Meyer anführt; 4. einen umfangreichen Sach- und Wort-Index von Aaron bis Zelus. Abgeschlossen wird das Ganze mit der Auflösung der Abkürzungen und der Nennung der vollständigen Buch- und Reihentitel. Was Wunder, dass bei unzähliger Wiederkehr des Namens Albert, nur einmal ein l fehlt (VII, Fn 7). Eine Leistung des gesamten Herausgebergremiums!
Habe ich auf dem letzten Blatt den Conspectus der edierten und noch zu edierenden Werke des Doctor universalis richtig verstanden, begann 1951 bei Aschendorff ein neues Editionsprojekt mit dem Tomus XXVIII, und jetzt sind wir mit dem Band 33 (2019) beim Tomus XX/1 angelangt. Bis wir Tomus XLI erreichen, werden noch Jahre vergehen. Es stehen vor allem noch dogmatische Schriften und der mehrbändige Sentenzenkommentar aus. Was zugänglich ist, reicht jedoch allemal, um in das Wissen und Ahnen dieses Universalgenies aus Lauingen einzutauchen, der in Köln gelehrt hat.
Leonhard Lehmann