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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Andreas Gottsmann / Pierantonio Piatti / Andreas E. Rehberg (a cura di): Incorrupta monumenta Ecclesiam defendunt (Rezension), in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 12 [15.12.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/12/34253.html


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Andreas Gottsmann / Pierantonio Piatti / Andreas E. Rehberg (a cura di): Incorrupta monumenta Ecclesiam defendunt

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Die Liste illustrer Vorgänger ist lang. Sergio Pagano (*1948), seit 1997 Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs (seit 2007 im Rang eines Titularbischofs von Celene), führt das weiter, wofür Persönlichkeiten wie Angelo Mercati (†1955) oder Eugène Tisserant (†1972) vor ihm die Grundlagen legten. Anlässlich seines 70. Geburtstages wurde er mit einer monumental zu nennenden, aus fünf Teilbänden mit fast 4000 Seiten bestehenden Festschrift geehrt. Die 196 Beiträge in fünf Sprachen (Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch) sind drei großen Sektionen zugeordnet: 1. La Chiesa nella storia (religione, cultura, costume); 2. Archivi, Archivistica, Diplomatica, Paleografia; 3. Inquisizione Romana, Indice, Diplomazia Pontificia.

Unter den behandelten Institutionen ragt wenig überraschend die Römische Kurie mit ihrer weitverzweigten Verwaltungsmaschinerie hervor. Der Jubilar darf sich aber auch über einige Beiträge freuen, die der Geschichte seines eigenen Ordens, der Kongregation der Regularkleriker vom Hl. Paulus (Barnabiten), gewidmet sind. Chronologisch wird weit ausgeholt: vom hohen Mittelalter bis in die Gegenwart. Wie bei Publikationsunternehmen solcher Größenordnung nicht anders zu erwarten, macht sich mitunter der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit und allzu großen Heterogenität breit, die insgesamt aber den Vorteil hat, von den "vasti e articolati interessi scientifici degli utenti degli Archivi Vaticani e dei sodales di mons. Pagano" (xviii) Zeugnis abzulegen.

Und in der Tat: Das weitgespannte Beziehungsnetz, das Pagano im Laufe seiner Amtszeit etablieren konnte, spiegelt sich in der schieren Anzahl der mit einem Beitrag vertretenen Autoren wider. Nicht jeder Aufsatz betritt dabei historisches Neuland oder greift auf unbekannte Quellenbestände zurück. Auch der jeweilige Umfang variiert sehr stark. Eine geringe Seitenzahl hat dabei aber nicht zwangsläufig mittelprächtige, mit heißer Feder gestrickte Elaborate zur Folge (auch wenn es diese zweifellos gibt). Im Gegenteil: oftmals werden dabei neue Forschungsprojekte umrissen. Deutlich wird dies beispielsweise im Beitrag von Giulia Barone über das Mäzenatentum und ästhetische Empfinden von Kardinal Napoleone Orsini, der bis zu seinem Tod 1342 die Institution Papsttum an entscheidender Stelle mitprägte (I, 43-52). Über sein politisches Wirken in und für die Kirche wurde (nicht zuletzt von der Autorin selbst) breit geforscht, wobei auch der Aspekt der "Liebe zum Schönen" ("Napoleone Orsini: un cardinale amante del bello") durchaus Berücksichtigung fand. Was Giulia Barone aber über die künstlerische Ausstattung der beiden von Orsini in der Unterkirche S. Francesco in Assisi in Auftrag gegebenen Kapellen oder seine Beziehung zum am avignonesischen Papsthof tätigen Simone Martini zu sagen hat, lässt eine angekündigte umfassendere Untersuchung mit Spannung erwarten.

Auch Concetta Bianca, die in einem knappen Abriss (II, 37-45) den status quo der Forschungen zu den wenigen erhaltenen Kardinalsarchiven des 15. Jahrhunderts skizziert und dabei insbesondere auf das nur durch Verweise aus zweiter Hand dokumentierte Archiv von Domenico Capranica eingeht, weist weiteren Forschungen knapp, aber durchaus aussagekräftig den Weg.

Zahlreiche Aufsätze führen die eigenen Forschungsschwerpunkte der Autoren weiter. Dominik Burkhard etwa beschäftigt sich in einem lesenswerten Beitrag mit der Genese eines Werks, das für all diejenigen, die mit den Beständen des Vatikanischen Archivs arbeiten, noch immer von großer Bedeutung ist: Karl August Finks 1943 gedruckte Einführung in die Bestände des Archivio Segreto (II, 47-88). Gezeigt wird, wie stark Fink lavieren musste, um angesichts der politischen Großwetterlage das dem Archivpräfekten Angelo Mercati gewidmete Werk überhaupt zum Druck zu bringen.

Michael F. Feldkamp richtet den Blick auf die Genese des Rechtsinstituts der "Titularbischöfe", die bis 1882 (als die Missionskongregation de Propaganda Fide die Bezeichnung untersagte) als episcopi in partibus infidelium firmierten (I, 589-606). Der Forschung blieb nicht verborgen, dass diese Titularbischöfe (zumindest seit den Bestimmungen Innocenz' III. 1215) zunehmend den Aufgabenbereich von Weihbischöfen wahrnahmen und im Zeitraum von 1198-1431 mit mehreren Hundert Beispielen vor allem ein Phänomen des Reiches waren. Feldkamp liefert nützliche Listen, in denen sich die bekannten Titularbistümer und deren kuriale Vergabepraxis dokumentiert finden.

Einen weiteren Aspekt derselben Thematik beleuchtet Marek Daniel Kowalski, der sich der Forschung mit seiner 2010 auf Polnisch erschienenen, leider nur verhalten rezipierten Untersuchung über die Einkünfte der Apostolischen Kammer als profunder Kenner des kurialen Finanzsystems empfohlen hat. Er widmet sich einer balista genannten, von Martin V. im Gefolge des Konstanzer Konzils eingeführten Steuer, die Titularbischöfe an die Kurie abzuführen hatten, und unterstreicht dabei völlig zu Recht, dass die balista lediglich "a minor addition to much higher charges" (882) war (I, 877-887). Interessant sind hier die etymologischen Ausführungen, bezeichnet balista doch eigentlich eine Waffe, u. U. auch eine Belagerungsmaschine. Wenn der Begriff in der kurialen Rechnungslegung mitunter erweitert als balista castri oder balista contra turcos erscheint, verweist dies auf die Verbindung von Steuer und finanziellen Zuwendungen für den Kampf gegen Ungläubige, was insbesondere den Bischöfen in partibus infidelium angelegen sein musste.

In vielen Beträgen wird bisher nur schlecht erforschtes bzw. gänzlich unbekanntes Quellenmaterial näher beleuchtet. In ihrem Beitrag zu den überlieferten Rechnungsbüchern des Dominikanerinnenklosters S. Sisto in Rom im Zeitraum 1398-1430 (II, 89-106) kontextualisiert Cristina Carbonetti Vendittelli nicht nur, sondern geht auch auf die Entstehungsumstände, das Erscheinungsbild und die interne Organisation der erhaltenen Bände ein (eine Analyse bleibt dabei freilich einer späteren Publikationen vorbehalten).

Arnold Esch (I, 539-546) widmet sich den Suppliken der Apostolischen Pönitentiarie und beschreibt, was sich in ihnen an Informationen über die Wallfahrt nach Santiago de Compostela verbirgt. Es sind dabei die individuellen Suppliken mit z.T. sehr persönlichen Aussagen, auf die das Hauptaugenmerk gerichtet wird. In ihnen finden sich vielerlei Begründungen, weshalb eine versprochene oder als Buße auferlegte Wallfahrt nicht angetreten werden konnte - für eine Frau aus dem Poitou war sie allein deshalb nicht realisierbar, weil sie aufgrund ihrer Körperfülle weder laufen noch reiten konnte (adeo pinguis et grossa effecta exstitit quod nec ambulare nec etiam equitare potest).

Jean-Marc Ticchi geht am Beispiel von Mariano Rampolla del Tindaro (1843-1913) der einfach anmutenden Frage nach, womit sich ein Nuntius eigentlich beschäftigt. Rampolla amtierte von 1883-1887 als diplomatischer Vertreter des Papstes in Madrid und hielt dort - Ticchi weist dies detailliert anhand der im Vatikanischen Archiv aufbewahrten Bestände der Madrider Nuntiatur, zu denen auch 2238 an Rampolla adressierte Briefe gehören, nach - nicht nur Kontakte zu den offiziellen staatlichen Stellen, sondern auch zur Kirche Spaniens. Ein Drittel des erhaltenen Briefverkehrs betrifft das diplomatische Agieren in und mit der spanischen Monarchie, zwei Drittel beschäftigen sich mit den Verhältnissen der spanischen Kirche. Die Schlussfolgerung ist klar: "Il est avant tout le représentant du pape auprès de l'Église locale." (543)

Die durch einen gesonderten Index-Band (IV) erschlossene Festschrift legt Zeugnis von der Bandbreite der aktuellen Forschungen im Bereich der Kirchen- und Papstgeschichte ab und stellt einmal mehr den überbordenden Reichtum der im Archivio Segreto Vaticano gehüteten Quellenschätze vor Augen.

Ralf Lützelschwab