Bernhard Maaz: Das gedoppelte Museum. Erfolge, Bedürfnisse und Herausforderungen der digitalen Museumserweiterung für Museen, ihre Träger und Partner, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2019, 88 S., ISBN 978-3-96098-755-0, EUR 8,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Die kleine Schrift von Bernhard Maaz geht auf eine Rede zurück, die er anlässlich des 50-jährigen Bestehens der VG Bild-Kunst in der Akademie der Künste, Berlin, gehalten hat. Auf die rechtlichen Aspekte der Veröffentlichung von digitalen Abbildungen von Kunstwerken, die der Autor ausführlich anspricht, soll in dieser Replik jedoch nicht eingegangen werden. Stattdessen werden die von Maaz genannten Aspekte beim Aufbau digitaler Infrastrukturen für die Bereitstellung von Forschungsdaten zu musealen Sammlungen kritisch erwidert.
In seiner Denkschrift wehrt sich Maaz in der Position als Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gegen den von ihm wahrgenommenen Vorwurf, Museen nähmen den Auftrag, ihre Sammlungen zu digitalisieren, nur zögerlich wahr. Wie er schreibt, ist es nicht mangelnder Wille, sondern es sind ein großer Mangel an finanziellen, personellen und infrastrukturellen Ressourcen sowie rechtliche Einschränkungen, die die Museen an einer zügigen und umfassenden Bereitstellung von digitalen Abbildungen und beschreibenden Texten hindern. Daraus leitet er Forderungen an das politische Umfeld und die finanziellen Träger der Museen ab, um eine digitale Zukunft auch für Museen in Deutschland zu gestalten. Es ist zu begrüßen, dass Maaz mutig gegenüber den Herausforderungen des digitalen Wandels Stellung bezieht und seinen Finger in offene Wunden legt. Der Autor benennt viele offene Fragen hinsichtlich der technischen Infrastruktur und der noch zu entwickelnden Standards bei der Erfassung und Publikation von digitalen Daten über Kunstwerke.
Umfassende Lösungsansätze dafür können aber erst dann entwickelt werden, wenn es endlich mehr disziplinübergreifende Zusammenarbeit zwischen Kunstwissenschaftler*innen und Spezialist*innen in der Informationswissenschaft und Informationstechnologie gäbe. Nur in engem Austausch zwischen diesen fachlichen Perspektiven können die notwendigen Strukturen für eine Erkenntnis stiftende Bereitstellung von Daten über Kunstwerke geschaffen werden.
Digitale Infrastruktur:
Gleich zu Beginn nennt Maaz das gravierende Problem der Abhängigkeit von einzelnen Softwareanbietern für das digitale Sammlungsmanagement innerhalb der Museen. Ganze vier Jahre hätten allein die "strategische Sondierung und der vergaberechtliche Vorlauf" eines Upgrades des eigenen Systems bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in Anspruch genommen (6), obwohl man bei demselben Anbieter geblieben sei. Wie aufwändig muss es dann erst sein, wenn ein Museum den Anbieter wechseln möchte, in der Hoffnung, dass die Struktur der erfassten Daten erhalten bleibt? Die Idee einer nationalen Datenbank für die Erfassung und Publikation von Forschungsdaten über Kunstwerke, die in Frankreich mit der Base Joconde, einer nicht-kommerziellen Datenbank des Kulturministeriums, bereits umgesetzt ist, sollte vor dem Hintergrund der kostenintensiven Insellösungen in Deutschland erneut aufgegriffen werden (67). Das ist jedoch mit erheblichem Koordinationsaufwand verbunden und nur für Häuser mit ähnlichen Sparten sinnvoll. In einem föderalistisch organisierten Umfeld mit vielen schon vorhandenen Sammlungsdatenbanken wäre bereits viel erreicht, wenn Museen in individuellen Systemen erfassen, ihre Daten aber im selben technischen Format in sammlungsübergreifende Portale exportieren würden. Vor allem dort können die Daten in vernetzten Strukturen publiziert werden, um Sinnzusammenhänge auch über Institutionsgrenzen hinweg erfahrbar zu machen. Man denke an die einzelnen Teile eines Altarretabels, die heute auf viele Sammlungen verteilt sind, aber virtuell gemeinsam präsentiert und in ihrem ehemals intendierten Zusammenhang verstanden werden könnten. Ganze Netzwerke von Personen könnten veranschaulicht werden: Wer lernte bei wem? Wer stellte wen dar? In Dresden findet man bereits ein schönes Beispiel für eine georeferenzierte Darstellung von Zeichnungen (SKD Online Collection). Anhand der präzise erfassten Herstellungsorte kann veranschaulicht werden, welches die Zentren für die Produktion von Zeichnungen in Italien in der Hoch- und Spätrenaissance waren. Solche Strukturen wachsen langsam, die jüngst ins Leben gerufene Nationale Forschungsdateninfrastruktur wird hoffentlich weitere Impulse liefern. Dieser Mehrwert der Kontextualisierung des einzelnen Kunstwerks, der vor allem in Portalen geleistet werden kann, rechtfertigt die langfristig zu tätigenden Aufwände, die sich seitens der Museen als Datenlieferanten stellen.
Doch gerade an sammlungsübergreifenden Datenbanken, wie der Europeana oder der Deutsche Digitale Bibliothek, kann Maaz keine rechte Freude empfinden. Die Ursachen für die häufig unbefriedigenden Nutzererlebnisse sieht er vor allem bei den Portalbetreibern, die veraltete und unvollständige Informationen verbreiten würden. Das führt ihn zu dem Fazit: "das digital 'gedoppelte Museum' (bietet) inadäquate Einsichten, was das Image der Institutionen mehr schädigt, als die Sichtbarkeit der Daten ihnen nützt." (51) Laut Maaz könne die kontinuierliche Datenpflege jedoch nicht von den einspielenden Institutionen geleistet werden, weil hierfür das Personal fehle. Anhand des "Selbstbildnis im Pelzrock" von Albrecht Dürer aus der Sammlung der Alten Pinakothek in München, zu dem ein teilweise irreführender Datensatz in der Deutschen Digitalen Bibliothek vorliegt, der nicht vom Museum selbst geliefert wurde, skizziert Maaz ein bisher noch ungelöstes Problem: Es gibt bereits viele Datensätze aus unterschiedlichen Quellen, die dasselbe Kunstwerk zum Gegenstand haben, jedoch unverbunden im Netz bestehen und veraltete oder einander widersprechende Aussagen beinhalten. Das führt zwangsläufig zu mangelndem Vertrauen in die wissenschaftliche Qualität der publizierten Daten.
Mögliche Lösungsansätze:
Wie lassen sich insgesamt solche frustrierenden Erlebnisse durch zu große Treffermengen und unpräzise Datensätze vermeiden? Die Autorin dieses Textes ist Koordinatorin des Graphikportals. Aus den dort gewonnenen Erfahrungen sollen abschließend in kurzen Thesen einige von Maaz genannte Lösungsansätze aufgegriffen und ergänzt werden:
Nur die Mitarbeiter*innen in den Museen haben die Möglichkeit, digitale Daten direkt vor Originalen zu erheben. Daher liegt bei ihnen als Datenlieferanten eine hohe Verantwortung für die wissenschaftliche Korrektheit und Aktualität von Informationen über ihre Objekte.
Bildarchive, die oftmals nicht die Werke selbst, sondern fotografische Reproduktionen erschließen, sollten diesen unterschiedlichen Fokus in ihren Datensätzen kenntlich machen. Sie haben ebenfalls die Verantwortung für die langfristige Pflege der von ihnen erhobenen Daten - eine Mammutaufgabe angesichts der Menge bereits vorhandener Daten, für die oft auch hier die notwendigen Ressourcen fehlen.
Um mit wissenschaftlichem Anspruch erhobene Datensätze über Sammlungsobjekte für die Forschung verlässlich nutzen zu können, braucht man einheitliche Standards in der Museumsdokumentation, wie es auch Maaz fordert. Dabei ist jedoch seiner These, die "das völlige Ausstehen jedweder Normierung" beklagt (44), deutlich zu widersprechen. Die gewünschten Normen gibt es bereits, sie liegen jedoch selten in deutscher Sprache vor und werden nicht konsequent angewendet, weil es zu wenig interdisziplinären Austausch und kaum entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Für das Vokabular zur Beschreibung der Sammlungsobjekte gibt es externe Normdateien, auf die verwiesen werden sollte. Für den Erhalt der semantischen Qualität im Zuge des Datenexports sorgt das Datenaustauschformat LIDO, damit Daten in einer standardisierten Struktur an übergeordnete Portale geliefert und von den Zieldatenbanken fehlerfrei ausgewertet werden können.
Die Portale und datenliefernden Institutionen müssen jeweils über Schnittstellen für automatische Datenaktualisierungen verfügen. Leider beanspruchen fast alle Museen einen hohen Grad an individueller Datenstruktur. Das führt zu erheblichem Aufwand bei Datenimporten und -aktualisierungen in den Portalen, weil jeweils neue Prozesse angestoßen werden müssen, um die Informationen auch im Kontext des Portals verständlich aufzubereiten.
Extern gewonnene Forschungsdaten, etwa in Form digitaler Werkverzeichnisse, müssen zwingend mit den intern erhobenen Daten zu Kunstwerken verknüpft werden, damit Informationen aus verschiedenen Quellen über dasselbe Werk mit einander verglichen werden können. Das geschieht über einen global eindeutigen und persistenten Identifier für das Werk, der in allen Datensätzen mit Bezug zum selben Objekt enthalten sein muss.
Für die langfristige Datenpflege müssen Mitarbeiter*innen entsprechend ausgebildet, ihre Stellen verstetigt und die Ergebnisse ihrer Arbeit rechtssicher, offen und möglichst langfristig verfügbar gemacht werden. Ausbildungsmöglichkeiten für digitale Datenkurator*innen sind jedoch rar.
Fazit: Digitaler Wandel im musealen Bereich kann nur gelingen, wenn sich auch Kunsthistoriker*innen mit Fragestellungen der Informationswissenschaft vertraut machen. Wenn in langfristig angelegten und ausreichend finanzierten Kooperationen zwischen Museen, Bibliotheken und Archiven gemeinsame Infrastrukturen weiterentwickelt werden, kann eine sehr wertvolle Grundlage für die digitale Kunstgeschichte geschaffen werden. Im internationalen Rahmen gibt es bereits entsprechende Initiativen, wie das Linked Art Project. So mangelt es tatsächlich nicht an der Bereitschaft der Museen, ihre Bestände digital zur Verfügung zu stellen, doch es mangelt (noch) an Know-How, technischer, finanzieller und personeller Infrastruktur. Zu hoffen bleibt, dass die Notwendigkeit der digitalen Vermittlung musealer Bestände auch bei den verantwortlichen Trägern der Museen als Daueraufgabe erkannt und unterstützt wird.
Gudrun Knaus