Johannes Arndt / Esther-Beate Körber: Periodische Presse in der Frühaufklärung (1700-1750). Ein Vergleich zwischen Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Band I (= Presse und Geschichte - Neue Beiträge; Bd. 138), Bremen: edition lumière 2020, 534 S., ISBN 978-3-948077-11-2, EUR 44,80
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Johannes Arndt / Esther-Beate Körber: Periodische Presse in der Frühaufklärung (1700-1750). Ein Vergleich zwischen Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Band II (= Presse und Geschichte - Neue Beiträge; Bd. 139), Bremen: edition lumière 2020, 612 S., ISBN 978-3-948077-12-9, EUR 44,80
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Veit Elm (Hg.): Wissenschaftliches Erzählen im 18. Jahrhundert. Geschichte, Enzyklopädik, Literatur, Berlin: Akademie Verlag 2010
Christine Vogel / Herbert Schneider / Horst Carl (Hgg.): Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge einer interdisziplinären Tagung aus Anlass des 65. Geburtstages von Rolf Reichhardt, München: Oldenbourg 2009
Jan Löhdefink: Zeiten des Teufels. Teufelsvorstellungen und Geschichtszeit in frühreformatorischen Flugschriften (1520-1526), Tübingen: Mohr Siebeck 2016
Johannes Arndt: Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648-1750, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Johannes Arndt: Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648, Stuttgart: Reclam 2009
Johannes Arndt / Esther-Beate Körber (Hgg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010
Die historische Medien- und Kommunikationsforschung profitiert seit Jahrzehnten von theoretischen Impulsen und empirischen Studien aus der sogenannten "Pressegeschichte". Als "Pressegeschichte" - früher auch "Zeitungsgeschichte" genannt - firmiert in der deutschsprachigen Historiografie eine Perspektive auf seriell-periodische Papier-Publikationen, die mittels einer Drucktechnik hergestellt worden sind. Esther-Beate Körber und Johannes Arndt sind innerhalb dieser Strömungen mehrfach prominent mit quellennahen Beiträgen zu einzelnen Gattungen und Publikationsformaten sowie zur Dynamik eines generellen "Mediensystems" in der europäischen Frühen Neuzeit hervorgetreten. [1] In dem doppelbändigen, rund 1100 Seiten umfassenden Werk "Periodische Presse in der Frühaufklärung" richten sie gemeinsam einen, europäische Sprachräume und Territorien vergleichenden Blick auf Zeitungs- und Zeitschriften-Publizität im beginnenden 18. Jahrhundert.
Die transregional angelegte Studie beabsichtigt, "Gemeinsamkeiten, Verbindungen, parallele[n] Einrichtungen und Vorgänge[n] sowie Unterschiede[n]" in den "Mediensystemen" in Frankreich, dem Heiligen Römischen Reich und der Republik der Vereinigten Niederlande in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu analysieren und in Fallbeispielen darzustellen (13). Um dies zu erreichen, ist die Studie, nach einleitenden Kapiteln zum systemtheoretisch inspirierten Hintergrund der ausgebreiteten Forschungsblicke, in zwei Hauptteile gegliedert: einen einführenden und verordnenden Teil aus fünf Unterkapiteln zu Quellen und Funktionsweisen eines "frühmodernen Mediensystems" sowie einen Teil mit vier Fallstudien. Abgeschlossen werden die Ausführungen von einem Kapitel "Abschließende Betrachtungen" und einem umfangreichen Anhang.
Die der Studie zugrundliegende "Mediensystem"-Konzeption beruht auf Vorarbeiten, die Körber und Arndt individuell und gemeinsam in den letzten Jahren entwickelt haben. In nuce formuliert sich das genutzte "Mediensystem"-Modell aus einer Synthese von Luhmann'scher Systemtheorie mit Ergebnissen der historischen Kommunikationsforschung zum frühneuzeitlichen gedruckten Medienensemble. In Veröffentlichungen von 2004, 2010 und 2013 lässt sich nachvollziehen, wie Arndt zunächst ein von Eigenlogik angetriebenes "Mediensystem der politischen Druckpublizistik" für Periodika entdeckte (2004), dann gemeinsam mit Körber in einem breiteren Medienverbund erprobte (2010), um dann wiederum den Fokus enger auf seriell-periodische Druckpublizistik auszurichten (2013). [2] Von Beginn an setzt diese Modellierung auf eine Interpretation von kommunikativen Zusammenhängen, nämlich der Nachrichtensammlung, -verarbeitung und -rezeption, die Luhmann'sches "Sinnprozessieren" mit den weiterverarbeitenden Dynamiken des sogenannten Nachrichtenwesens der Frühen Neuzeit zusammendenken und -deuten. In der vorliegenden Studie heißt es hierzu: "In Anlehnung an Luhmann verstehen wir unter dem 'Mediensystem' oder 'System der gedruckten Medien' nicht die gedruckten Quellen an sich, sondern die kommunikativen Prozesse, in deren Verlauf politische Nachrichten beschafft, in der Redaktion in journalistische Berichte umgewandelt und schließlich in gedruckter Form verbreitet wurden" (22). Verwertbare Information ist das immaterielle Gut, um das sich das modellierte Mediensystem aufbaut. Der Nachrichtenwert bestimmter Neuigkeiten wird an eine mögliche monetäre Wertigkeit oder andersartige Belohnung geknüpft, so dass eine systemische Dynamik der Weiterverwertung entfacht wird.
Um das Funktionieren von den drei (gleichzeitig miteinander verbundenen, aber auch separat existierenden) Mediensystemen in Fallstudien historiografisch darstellen zu können, um also Strukturen und Muster um die Berichterstattung in gedruckten Zeitungen und Zeitschriften erfassen und interpretieren zu können, setzen Körber und Arndt auf ein einführendes "Fundament" (12). In diesen rund 500 Seiten ("Das frühmoderne Mediensystem") werden die ausgewählten Periodika vorgestellt, infrastrukturelle Gegebenheiten (wie z.B. das Postwesen, Druckverfahren etc.) und regulatorische Rahmenbedingungen (wie z.B. Zensursysteme) beleuchtet, sowie Beobachtungsleistungen innerhalb der Mediensysteme (wie z.B. Mediennutzungsdebatten der Zeit) und mögliche Rezeptionsmuster von Periodika reflektiert. Diese einordnenden Ausführungen sind, trotz eines deskriptiven Grundtons, gewinnbringend zu lesen, denn sie thematisieren umsichtig viele relevante Aspekte zur Analyse von frühneuzeitlichen Kommunikationsprozessen und -situationen. Besonders für die universitäre Lehre dürften diese Einordnungen von Gewinn sein, weil sie Überblicke ermöglichen und als Nachschlagwerk dienen können. Ein wesentliches Manko dieser Überblicke ist indes die fehlende Tiefe der einzelnen Themenwelten: Dass die transregional blickende Netzwerkforschung einer englischsprachigen "News History" fast völlig fehlt, ist besonders misslich für den vergleichenden Ansatz der Studie. [3] Im Detail fehlt es oft an einschlägigen Literaturhinweisen. Stellvertretend für viele Auslassungen ist, dass niederländische Zeitungen ohne die Forschungen von Arthur der Weduwen behandelt werden und selbst bekannte Forscher der frühneuzeitlichen Nachrichtenforschung, wie Andrew Pettegree, nicht einmal im Literaturverzeichnis auftauchen.
In den Fallstudien zu Herrschaftswechseln, zu französischen Finanzreformen, zu den Salzburger Exulanten und zum Medienereignis des Aachener Friedens von 1748 kann die Studie überzeugend und quellennah darlegen, dass es viele strukturelle Gemeinsamkeiten bei den Nachrichtenströmen durch Europa gab. Mittels des vergleichenden Analyseansatzes wird ein europäisches Mediensystem mit großteils ökonomischem Antrieb bestätigt, in dem transregional nutzbare Informationen in Periodika weiterverarbeitet und transportiert worden sind. Für verwertbare politische Nachrichten gab es, so Körber und Arndt, "keine politischen oder geographischen Grenzen" (946). Es ist ein wichtiger empirischer Befund, dass das entworfene Mediensystem "durch die Reichweite der Korrespondenzen [definiert wurde]" (946), und dass es in den untersuchten Territorien und Sprachräumen Europas ähnliche "Praktiken der Nachrichtenerhebung und -verarbeitung" (946) gab. Auf diese Interpretationslinie ist zwar die - unberücksichtigte - englischsprachige Forschung um Joad Raymond auch schon gekommen. Jene Betriebsamkeit als ein Mediensystem-Funktionieren auf europäischem Level zu beschreiben, in dem wechselseitige "Beobachtungen und Nachahmungen" (946) die auffällige Weiterverwertung von Worten, Themen und Ideen in den zeitgenössischen Publikationsformen prägten, ist indes eine gewinnbringende Modellierung für die Kommunikationsgeschichte der Epoche. Für eine zukünftige Auseinandersetzung mit diesem attraktiven Modell erscheinen Medienverbund-Analysen, die nicht mehr nur vorrangig gedruckte Periodika in den interpretativen Mittelpunkt stellen, als ebenso ertragreiche wie korrektive Ansätze wie die Integration von nicht-politischer Publizistik in die systemischen Interpretationen.
Anmerkungen:
[1] Johannes Arndt / Esther-Beate Körber (Hgg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750), Göttingen 2010.
[2] Johannes Arndt: Gab es im frühmodernen Heiligen Römischen Reich ein "Mediensystem der politischen Publizistik"? Einige systemtheoretische Überlegungen, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 6 (2004), 74-102; Johannes Arndt / Esther-Beate Körber (Hgg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750), Göttingen 2010; Johannes Arndt: Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648-1750 (Veröffentlichung des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 224), Göttingen 2013.
[3] Vgl. Joad Raymond / Noah Moxham (Hgg.): News Networks in Early Modern Europe, Leiden / Boston 2016.
Daniel Bellingradt