Claudia Denk (Hg.): Valenciennes' Ratgeber für den reisenden Landschaftsmaler. Zirkulierendes Künstlerwissen um 1800, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2019, 272 S., 80 Farbabb., ISBN 978-3-422-97991-8, EUR 49,90
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"O möchten doch alle angehende Künstler, die Hang und Anlagen zur Landschaftsmahlerey fühlen, und Sie besonders, dem wir diese Betrachtungen widmen, dem wir mit Wohlgefallen unsern Unterricht ertheilen und mit so großem Vergnügen in seinen Fortschritten folgen, sich unermüdet bemühen, die schöne Natur allenthalben zu studieren, wo sie anzutreffen ist" (249).
Dieser Rat erschien in dem Traktat zur Landschaftsmalerei von dem aus Toulouse stammenden französischen Landschaftsmaler Pierre-Henri de Valenciennes, welcher im Jahr VIII der Republik (1799-1800) veröffentlicht wurde. Er wurde zu einer der wichtigsten gattungsspezifischen Abhandlungen des 19. Jahrhunderts. [1] Selbst im Jahr 1883 riet noch der impressionistische Maler Camille Pissarro seinem Sohn Lucien eindringlich dazu, das Werk von Valenciennes zu konsultieren.
Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung in Frankreich gab Johann Heinrich Meynier eine deutsche Fassung heraus: Der Rathgeber für Zeichner und Mahler, besonders in dem Fache der Landschaftsmahlerey. Nebst einer ausführlichen Anleitung zur Künstlerperspectiv. [2] Obgleich das Werk in den Jahren nach seiner Erscheinung eine große, landschaftsgesinnte Leserschaft fand, geriet es danach in Vergessenheit. Seit den 1980er Jahren und in der Folge eines wachsenden Interesses für die im frühen 19. Jahrhundert im Freien praktizierte Ölskizze wurde der deutschen Übersetzung wieder Beachtung geschenkt. [3] Mit der kommentierten Neuausgabe des Landschaftsbuches von Valenciennes liefert Claudia Denk eine genau analysierte Untersuchung eines Grundlagenwerks der Gattung und zeichnet eindrücklich dessen Wirkungsgeschichte in Deutschland und in deutschsprachigen Kreisen nach.
Die Rolle, die dieses Traktat in der französischen Kunst spielte, wurde von verschiedenen Kunsthistorikern in Frankreich vor allem in den letzten 20 Jahren hervorgehoben. [4] Die Basis von Valenciennes Landschaftskunst war das Studium nach der Natur und sein Traktat war an der Verbreitung der Ölskizze in situ weitreichend beteiligt. Er riet seinen Schülern stets, zu jeder Tages- und Jahreszeit im Freien zu arbeiten und rasche Skizzen zu fertigen, um so die flüchtigen meteorologischen Bedingungen festzuhalten. Seine Lehre wurde auch durch seinen Unterricht an der École des beaux-arts sowie an der École polytechnique in Paris verbreitet. Seine Schüler, wie Jean-Victor Bertin, setzten die Lehre in ihren eigenen Ateliers fort, welche einige deutsche Maler frequentierten. [5]
Die pädagogische Ausrichtung von Valenciennes' Lehre spiegelt sich auch in seinem Traktat wider. Der erste Band der französischen Ausgabe beschäftigt sich mit der Perspektivkunst, der zu Valenciennes' Unterricht gehörte, während der zweite Teil seines Werkes sich spezifisch der Landschaftsmalerei widmet. Valenciennes vertrat den klassischen Topos der Landschaftsmalerei und des "Beau idéal" in seinen Gemälden, aber in seinem Traktat wurde die Malpraxis im Freien vehement von ihm in den Vordergrund gestellt, sowie die Bedeutung des Reisens, wobei er auch seine eigene Reiseerfahrung teilte.
Auch wenn man wusste, dass Valenciennes's Ratgeber durchaus deutschen Künstlern bekannt war und von ihnen konsultiert wurde, war die deutsche Ausgabe bislang nur skizzenhaft gattungsspezifisch und sozialkulturell eingeordnet worden. Eine grundlegende Studie der deutschen Übersetzung fehlte, aber wie Claudia Denk es zeigt, war sie seit langem überfällig. Die Autorin stellt der kommentierten Neuausgabe eine gründliche Studie voran, die eine eindringliche historische sowie kulturelle Einordnung des Ratgebers von Valenciennes im Bereich der deutschen Kunst veranschaulicht.
Denk widmet sich nicht nur einer Studie des Malers Valenciennes, sondern auch von Johann Heinrich Meynier, dem hugenottischen Übersetzer und Kommentator der deutschen Ausgabe. Denk ordnet die deutsche Ausgabe in die Übersetzungsgeschichte des deutsch-französischen Kulturtransfers ein, die um 1800 ihren Höhepunkt hatte, nachdem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehr und mehr Werke der französischen Kunstliteratur ins Deutsche übersetzt wurden. Welche Rolle Meynier spielte, um dieses Werk einem deutschen Publikum zugänglich zu machen, und wie bewusst die Publikation explizit auf den deutschen Markt angepasst wurde, stellt Denk nachdrücklich heraus. Meynier war ein ausgebildeter Künstler, Zeichenlehrer, Autor, Übersetzer und Lektor der französischen Sprache. Er hatte selbst einen Traktat zur Zeichnungskunst von Landschaften verfasst und war ein Vertreter der Malerei im Freien. Der Verleger Gottfried Adolph Grau hatte das neue gebildete Bürgertum als Lesepublikum im Visier, und die deutsche Ausgabe fügte sich so passend in die Nachfrage für Ratgeberliteratur ein (32-33).
Die französische Originalausgabe von Valenciennes hatte durch ihren Titel die Emphase auf die Perspektivkunst gelegt und die Ausführungen zur Landschaftsmalerei waren als Anhang präsentiert, obwohl es natürlich letztendlich dieser Teil war, der die größeren Auswirkungen haben sollte. Denk argumentiert eindrücklich, wie Meynier in der deutschen Publikation den editorischen Schwerpunkt auf die Landschaftskunst legte. Er stellte der Übersetzung so ein zusätzliches Titelblatt voran, welches im Gegensatz zum französischen Original den Untertitel zum Haupttitel machte: Der Rathgeber für Zeichner und Mahler, besonders in dem Fache der Landschaftsmahlerey (47). Meynier ordnete das Perspektivtraktat bewusst dem Landschaftsteil unter und reagierte damit ausdrücklich auf die Naturbegeisterung der deutschen Kulturelite, die sich auch auf das Bürgertum übertragen hatte. Er hob den praktisch, anwendungsorientierten Charakter des Lehrbuchs hervor, der im Gegensatz zu den deutschen kunsttheoretischen Publikationen zur Landschaftsmalerei stand. Der Impetus der Malerei in situ, der Valenciennes' Lehre dominierte, half auch die Landschaftsmalerei als Reisekunst zu identifizieren. Die Bedeutung des Reisens für die Landschaftsmalerei war in der Tat ein Schwerpunkt von Valenciennes' Traktat und neben den klassischen Reisezielen Italien oder Griechenland fand auch die regionale Natur erneute Bedeutung, oder andere, unerschlossene Gegenden. [6]
Wie weitreichend die Rezeption des Ratgebers war, zeichnet Denk eindrücklich in der Wirkungsgeschichte des Traktats nach und widmet sich in großem Detail den Lesern des Werkes. Rezensionen des Buches, die bald nach der Publikation erschienen, gaben dem Werk schnell den Rang eines Standardwerks der Landschaftsmalerei (53).
Textliche Rezeption, Erwerbungsgeschichte aber auch materielle Nutzung werden von Denk eindrücklich nachvollzogen, u.a. durch Aufspürung der deutschen Ausgabe in Bibliotheken, Künstlerbibliotheken, und Lehrinstitutionen, welche eindrücklich die Auswirkung zirkulierenden Künstlerwissens und -praxis verfolgen (61 ff). Die Existenz des Werkes in den Privatbibliotheken von Gelehrten und Künstlern wie zum Beispiel Bertel Thorvaldsen, der ein weitreichendes Netzwerk hatte, zeugt weiterhin von der Verbreitung der deutschen Ausgabe in Künstlerkreisen - das Zielpublikum, welches Meynier bei seiner Übersetzung im Sinn hatte (64-65). Gerade auch die praxisnahen Anweisungen von Valenciennes fanden im deutschen Künstlerkreis in Rom Anklang (74-76). Valenciennes' Ideen zum reisenden, naturnahen und empirisch ausgerichteten Landschaftsmaler fanden viele Analogien in deutschen Kreisen, bei Künstlern wie Johann Georg von Dillis, Carl Gustav Carus und Carl Blechen, die auf eine Kenntnis des Traktats und der deutschen Übersetzung hindeuten. Durch genaue Fallstudien präsentiert Denk interessante neue Perspektiven zur Leserschaft der deutschen Ausgabe, zu der sie Caspar David Friedrich und Alexander von Humboldt miteinbezieht (81ff).
Claudia Denk präsentiert mit ihrer Studie und neu kommentierten Ausgabe ein bislang fehlendes Element in der Studie nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Landschaftsmalerei und zeichnet ein detailliertes Bild von Wissens- und Praxistransfer durch eines der wichtigsten Werke zur europäischen Landschaftsmalerei.
Anmerkungen:
[1] Pierre-Henri de Valenciennes: Élémens de perspective pratique à l'usage des artistes, suivis de réflexions et conseils à un élève sur la peinture et particulièrement sur le genre du paysage, Paris 1799.
[2] Pierre-Henri Valenciennes: Der Rathgeber für Zeichner und Mahler, besonders in dem Fache der Landschaftsmahlerey. Nebst einer ausführlichen Anleitung zur Künstlerperspectiv. [Zweites Titelblatt] Praktische Anleitung zur Linear- und Luftperspectiv für Zeichner und Mahler. Nebst Betrachtungen über das Studium der Mahlerey überhaupt, und der Landschaftsmahlerey insbesondere, bearb. und übersetzt von Johann Heinrich Meynier, 2 Bde., Hof 1803.
[3] Siehe hierzu die Forschungen von Werner Busch, u.a.: Die autonome Ölskizze in der Landschaftsmalerei. Der wahr- und für war genommene Ausschnitt aus Zeit und Raum, in: Pantheon. Internationale Zeitschrift für Kunst 41 (1983), 126-133.
[4] Siehe vor allem die Forschungen von Geneviève Lacambre und Luigi Gallo, u.a.: Geneviève Lacambre / Luigi Gallo (éds.): Pierre-Henri de Valenciennes, 1750-1819, actes du colloque du 28 mai 2003, Portet-sur-Garonne 2005; Luigi Gallo / Jean Penent (éds.): "La nature l'avait créé peintre". Pierre-Henri de Valenciennes, 1750-1819, Ausstellungskatalog Toulouse, Musée Paul Dupuy, Paris 2003; Luigi Gallo: Pierre-Henri de Valenciennes (1750-1819). L'artiste et le théoricien, Rom 2017.
[5] Frauke Josenhans: La nature conçue depuis l'atelier, in: Apprendre à peindre! Les ateliers privés à Paris. 1780-1863, éd. p. France Nerlich / Alain Bonnet, Tours 2013, 163-175. Siehe auch France Nerlich / Bénédicte Savoy (Hgg.): Pariser Lehrjahre. Ein Lexikon zur Ausbildung deutscher Maler in der französischen Hauptstadt, 2 Bde., Berlin 2013 / 2015.
[6] Claudia Denk / Andreas Strobl für die Christoph Heilmann Stiftung (Hgg.): Landschaftsmalerei, eine Reisekunst? Mobilität und Naturerfahrung im 19. Jahrhundert. Tagungsband des gleichnamigen Symposiums der Christoph Heilmann Stiftung, Lenbachhaus München, 3.-5. Juli 2015, Berlin / München 2017.
Frauke V. Josenhans