Rezension über:

Alexander Benatar: Kalter Krieg auf dem indischen Subkontinent. Die deutsch-deutsche Diplomatie im Bangladeschkrieg 1971 (= ZMO-Studien; Bd. 38), Berlin: de Gruyter 2020, VIII + 257 S., ISBN 978-3-11-068085-0, EUR 79,95
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Rezension von:
Amit Das Gupta
Universität der Bundeswehr München
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Amit Das Gupta: Rezension von: Alexander Benatar: Kalter Krieg auf dem indischen Subkontinent. Die deutsch-deutsche Diplomatie im Bangladeschkrieg 1971, Berlin: de Gruyter 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 4 [15.04.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/04/34660.html


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Alexander Benatar: Kalter Krieg auf dem indischen Subkontinent

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Der Weg zur Unabhängigkeit Bangladeschs hat viele Dimensionen. Aus dem innerstaatlichen Konflikt wurde mit dem Flüchtlingsstrom nach Indien und dessen militärischem Eingreifen ein zwischenstaatlicher, in dem sich die Groß- und Supermächte China, UdSSR und USA allesamt positionierten. Schließlich eskalierte die Krise in Südasien just zu dem Zeitpunkt, als die Regierung Brandt mit der Neuen Ostpolitik daran ging, die territoriale Neuordnung Europas nach 1945 zu akzeptieren und eine Normalisierung mit dem zweiten deutschen Staat herbeizuführen. Die international weitgehend isolierte DDR hoffte, angesichts dieser Koinzidenz über eine schnelle Anerkennung des neuen Staates Bangladesch Indien zu der seit 20 Jahren angestrebten Anerkennung des zweiten deutschen Staates zu bewegen. Dies hätte möglicherweise eine Kettenreaktion in Afrika und Asien nach sich gezogen und die Verhandlungsgrundlage für die Gespräche über den Grundlagenvertrag entscheidend verändert.

Die an der Humboldt-Universität eingereichte Dissertation ist nicht die erste Studie, die sich mit den deutsch-deutschen Beziehungen in Bezug auf Südasien auseinandersetzt. Selbst zu Alexander Benatars Thema liegt bereits ein Beitrag des Rezensenten vor [1]. Dementsprechend müht sich der Autor um Argumente für das Verfassen einer weiteren Monographie auf einem gut erforschten Gebiet. Er erschwert sich diese Aufgabe noch mit dem Postulat, eine "klassische Diplomatiegeschichte" schreiben zu wollen. Dergleichen Ansätze haben hierzulande den Ruch des Gestrigen. Vor allem aber ist dann noch weniger nachzuvollziehen, wo der Wert der ersten deutschsprachigen Monographie zum Thema liegen soll, wenn die Forschercommunity zu Südasien überwiegend im Englischen zu Hause ist und Deutschsprachiges nur begrenzt wahrnimmt. Gänzlich aus der Luft gegriffen ist Benatars Behauptung, dass bislang die deutsch-deutschen Beziehungen zu Pakistan nicht untersucht worden seien. Richtig ist vielmehr, dass keine Studie zu Indiens Außenpolitik oder gar zur Entstehung Bangladeschs darauf verzichtet, Pakistan breiten Raum zu gewähren. Den Anspruch, relevante neue Quellen des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. in indischen Archiven erschlossen zu haben, widerlegt der Verfasser im Schlusskapitel schließlich selbst, in dem er diese als Marginalien bezeichnet.

Ansätze für Neues hätte es durchaus gegeben, insbesondere die von Benatar nur angerissene Frage, wie denn die beiden deutschen Staaten nach zwei Jahrzehnten Kampf um die (Nicht-)Anerkennung ihre jeweilige Südasienpolitik gestalteten. Erinnert sei hier an den Kommentar des bundesdeutschen Botschafters Dirk Oncken aus dem Jahre 1978, dass es abgesehen von Wirtschaftsbeziehungen keinerlei gemeinsame Interessen und daher nur "temperamentlose Wohltemperiertheit" im Verhältnis der Bundesrepublik zu Indien gebe [2]. Bis auf die Fortsetzung des Kleinkriegs der diplomatischen Vertretungen und die Konzentration der finanziell schwachen DDR auf die Kulturpolitik bietet die Monographie kaum neue Einblicke. Die üblichen Grußadressen und Höflichkeitsbesuche missdeutet Benatar als Zeichen einer genuinen Freundschaft zwischen der DDR und den Staaten Südasiens.

Dieses Beispiel verweist auf ein weiteres grundsätzliches Problem des Buchs: Dem studierten Juristen Benatar fehlen allenthalben historische Kontexte und Grundkenntnisse. So gilt ihm die sogenannte Hallstein-Doktrin als Ursache der deutsch-deutschen Konkurrenz. Sie war aber nur Ausformung des Alleinvertretungsanspruchs, nach dem die Bundesregierung für alle Deutschen sprach - auch für die, die in der DDR lebten. Die "Scheel-Doktrin", die die "Hallstein-Doktrin" zum Zeitpunkt der südasiatischen Krise bereits modifiziert hatte, wird erst- und letztmals auf Seite 45 erwähnt. In dem Zusammenhang überrascht, dass Benatar auf eine Verzahnung der raschen Veränderungen in Südasien mit dem Fortgang der Verhandlungen im Rahmen der Neuen Ostpolitik weitestgehend verzichtet, obwohl sie eindeutig korrelierten. Dabei nimmt die deutsch-deutsche Diplomatie in Südasien in der Monographie ohnehin recht wenig Platz ein. Stattdessen referiert Benatar ausführlich Wohlbekanntes, das anderswo sehr viel besser aufgearbeitet worden ist.

Zum Verständnis mancher politischer Entscheidungen der Jahre 1971 und 1972 wäre die Beschäftigung mit den Folgen des Kaschmirkriegs von 1965 unverzichtbar gewesen. Pakistan konnte nicht nur diesen Krieg nicht gewinnen, sondern verlor vor allem das Vertrauen westlicher Geber und Waffenlieferanten. Diverse Versuche, vornehmlich über die Bundesrepublik dennoch an Panzer und Jets zu gelangen, scheiterten. Die Bonner Zurückhaltung der frühen 1970er hatte weniger mit der Krise in Ost-Pakistan als vielmehr mit den schlechten Erfahrungen der Vorjahre zu tun. Noch eindeutiger gilt dies für die Entwicklungszusammenarbeit: Der Bruch geht auch hier auf das Jahr 1965 zurück, als Pakistan, bis dahin Musterschüler des Westens, seine beachtlichen wirtschaftlichen Fortschritte für ein militärisches Abenteuer aufs Spiel setzte. Islamabads Finanzgebaren galt ab diesem Zeitpunkt als unseriös. Die Verweigerung von Neuzusagen im Frühjahr 1971 stand erneut nicht im Zusammenhang mit den Ereignissen in Ost-Pakistan, sondern war die Reaktion aller Geber auf ein von Pakistan einseitig erklärtes Moratorium bei der Schuldentilgung.

Derartige Lücken korrelieren mit denen in der Bibliographie, in der keineswegs nur das Standardwerk von William Glenn Gray zum deutsch-deutschen Wettlauf in der "Dritten Welt" [3] fehlt. In der Summe bietet Benatars Studie einige neue Details, aber keinerlei neue Einsichten. Die "Erkenntnis" des Schlusskapitels, dass die Bundesrepublik im westlichen Bündnis mehr Spielräume genoss als die DDR im östlichen, darf für Südasien wie insgesamt als altbekannte Binsenweisheit gelten. Der Autor hat sich unverkennbar an einem zugegebenermaßen komplexen Thema überhoben.


Anmerkungen:

[1] Amit Das Gupta, India and Ostpolitik, in: Carole Fink / Bernd Schaefer (Hgg.): Ostpolitik, 1969-1974. European and Global Responses, Cambridge u.a. 2009, 163-181.

[2] Daniela Taschler / Amit Das Gupta / Michael Mayer (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1978, Bd. II, München 2009, Dokument 284, 1416-1422, hier 1418.

[3] William Glenn Gray: Germany's Cold War. The Global Compaign to isolate East Germany, 1949-1969, Chapel Hill 2003.

Amit Das Gupta