Josef Memminger: Didaktik der Geschichte. Basistexte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, 263 S., ISBN 978-3-515-11486-8, EUR 29,00
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Josef Memminger: Schüler schreiben Geschichte. Kreatives Schreiben im Geschichtsunterricht zwischen Fiktionalität und Faktizität, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2007
Josef Memminger (Hg.): Überall Geschichte! Der Lernort Welterbe - Facetten der Regensburger Geschichtskultur, Regensburg: Friedrich Pustet 2014
"Am Anfang war Jeismann" (10) schreibt der Herausgeber dieses Bandes zur Didaktik der Geschichte in der Reihe Basistexte Geschichte. Die Bände dieser Reihe sollen jeweils zu einem Themengebiet der Geschichtswissenschaft eine Auswahl von Texten bieten, die für den Gang der Forschung richtungsweisend waren. Für die Didaktik der Geschichte in diesem Kontext einen Aufsatz von Karl-Ernst Jeismann im ersten Abschnitt "Zentralkategorien" (37-106) des Bandes an den Anfang zu stellen, wird überzeugend damit begründet, dass mit der vor allem von Jeismann geprägten Konzeption der Geschichtsdidaktik als der Wissenschaft vom "Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft" in den 1970er Jahren jene Basis gelegt wurde, auf die sich die Forschung bis heute stützt. Ein Modell von Hans-Jürgen Pandel zum Geschichtsbewusstsein, das durch die prägnante Struktur mit sieben Dimensionen (Zeit, Wirklichkeit, Historischer Wandel (Historizität), Politik, Ökonomisches und Soziales, Moral, Identität) viel Zustimmung bekommen hat, findet sich im nächsten Text der Auswahl. Den ersten Abschnitt beschließt ein Aufsatz von Bernd Schönemann zur Geschichtskultur, die im Geschichtsbewusstein in der Gesellschaft von Jeismann schon mitgedacht war und in den 1990er Jahren neben dem Geschichtsbewusstsein zu einer zweiten Zentralkategorie avancierte.
Im zweiten Abschnitt "Kritische Bestandsaufnahmen zum Geschichtsunterricht" (107-138) findet man zunächst einen Text von Klaus Bergmann, der durchaus in Opposition zu Jeismann eine stärkere Subjektorientierung des Unterrichts einforderte, was vielfach aufgegriffen wurde und bis heute unter anderem bei der Einführung der Inklusion nachwirkt. Während Bergmanns Analyse damit auch unterrichtspraktisch wirksam wurde, hat die im zweiten Beitrag dieses Abschnitts von Bärbel Völkel entfaltete Kritik am chronologischen Geschichtsunterricht bisher nur in Ansätzen Auswirkungen auf die Unterrichtspraxis, obwohl Völkels Argumente sich im akademischen Diskurs weiterhin großer Zustimmung erfreuen.
Den dritten Abschnitt "Historisches Erzählen und Narrativität" (139-182) eröffnet ein Text von Jörn Rüsen zu vier Typen der historischen Sinnbildung im Geschichtsbewusstsein eines Individuums oder auch der Gesellschaft im Jeismannschen Sinne. Diese Typen sind eng verknüpft mit Rüsens Beschreibung des historischen Denkens durch die Formel "Sinnbildung über Zeiterfahrung", die auch der Herausgeber des vorliegenden Bandes in der Einleitung einen "vielzitierten Topos" nennt (22). Rüsen hat damit herausgearbeitet, dass Narrativität das Strukturmerkmal von Geschichtsdarstellungen ist, was zur Folge hat, dass die von Rüsen schon so genannte "narrative Kompetenz" bis heute ein Kernanliegen von historischem Lernen ist. Die Verbindung zur Unterrichtspraxis wurde mit einer intensiven Vertiefung der Theoriebildung vor allem von Michele Barricelli genauer erforscht, der deswegen mit einem grundlegenden Beitrag zur Narrativität in die Auswahl des Bandes aufgenommen wurde.
Die für narrative Kompetenz formulierten Fähigkeiten bei den Schülerinnen und Schülern haben vielfach Eingang in die für den Geschichtsunterricht entworfenen Kompetenzmodelle gefunden, denen der vierte Abschnitt "Kompetenzmodelle historischen Lernens" (183-234) gewidmet ist. Mit dem gemeinsamen Modell von Sauer und dem VGD, dem der FUER-Gruppe und dem von Peter Gautschi sind hier die Modelle mit Texten vertreten, die für die Lehrpläne der Bundesländer und die Lehrkräfte die größte Bedeutung haben. Das hier nicht aufgenommene Modell von Pandel wurde zwar im akademischen Diskurs durchaus wohlwollend aufgenommen, blieb aber ohne größere Resonanz in den Lehrplänen. Pandels Modell wird von einigen Professionals in dieser Zusammenstellung von Grundlagentexten vermutlich vermisst werden, aber in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern hat es wohl weniger Bedeutung als die anderen genannten Modelle und verliert auch im akademischen Diskurs zunehmend an Aufmerksamkeit.
Den fünften Abschnitt "Empirie in der Geschichtsdidaktik" (235-252) bildet ein Text zu Schülervorstellungen vom Nationalsozialismus von Bodo von Borries, der als Pionier dieser Forschungsrichtung gelten kann. Damit wird der Leserschaft nach den theoretischen Texten in den vorhergehenden Abschnitten der Blick dafür geöffnet, dass die Geschichtsdidaktik heute keineswegs eine nur theoretische Disziplin ist, sondern auch in großem Umfang empirische Forschungen betreibt.
Der obige Gang durch die Abschnitte des zu besprechenden Bandes lässt erkennen, dass die ausgewählten Texte nicht nebeneinander, sondern in einem Zusammenhang stehen, der den Gang der Forschung in der Geschichtsdidaktik seit Jeismann in den 1970er Jahren aufzeigt. Eine zusammenhängende Darstellung dieser Forschungsgeschichte mit einer Einordung der ausgewählten Texte bietet die ausführliche Einleitung des Herausgebers (7-36), zudem finden sich hier Hinwiese auf das Fortleben der Gedanken der Texte in der aktuellen Forschung. So wird herausgearbeitet, dass gegenwärtige Forschungsaktivitäten unter anderem auf den Feldern des inklusiven Geschichtsunterrichts, der sprachsensiblen Zugänge und der weiteren Theoriebildung vielfach die Rückbindung an das vorgestellte Fundament suchen. Hinzufügen ließe sich, dass dies auch für die in Covidzeiten jüngst vermehrt in den Fokus gerückte Digitalisierung gilt. Als Fazit lässt sich daher formulieren, dass der vorliegende Band mit einer wohldurchdachten Auswahl von lesenswerten Texten die Basis der Geschichtsdidaktik prägnant vorstellt und ihre Bedeutung für aktuelle Forschungen aufzeigt. Wer ein Einführungsseminar zur Geschichtsdidaktik besucht oder plant bzw. unterrichtet kann von dieser Lektüre nur profitieren.
Björn Onken