Tobias Arand / Peter Scholz (Hgg.): Digitalisierte Geschichte in der Schule (= Transfer; Bd. 20), Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2021, 239 S., ISBN 978-3-8340-2116-8, EUR 24,00
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Heute besteht wohl ein breiter Konsens unter Lehrer*innen und Wissenschaftler*innen der Bildungsforschung, dass Lernen in der Schule des 21. Jahrhunderts auch digital stattfinden muss. Der von Tobias Arand (PH Ludwigsburg) und Peter Scholz (Universität Stuttgart) herausgegebene Band "Digitalisierte Geschichte in der Schule" ist aus einer Tagung mit dem Titel "Virtuelle Geschichte in der Schule" hervorgegangen, die am 5. und 6. März 2018 an der PH Ludwigsburg stattgefunden hat. Ziel der Tagung war es, "Möglichkeiten und Perspektiven, Probleme und Grenzen des Einsatzes von visuellen und akustischen Simulationen historischer Räume, Gebäude und Situationen" (5) vorzustellen und zu diskutieren sowie den "Gebrauch der digitalen Medien im schulischen und universitären Unterricht, aber auch in der Ausstellungspraxis aus einem dreifachen Blickwinkel [zu betrachten]: aus fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und musealer Perspektive" (5). Auf die Einführung von Tobias Arand, Florian Groll und Peter Scholz, die leider kaum mehr als einen Überblick über die Inhalte der Tagung beziehungsweise des Tagungsbandes bietet, folgen sieben Beiträge.
Die ersten vier Aufsätze des Bandes fokussieren vor allem das Feld des Geschichtsunterrichts: Der Text von Christian Bunnenberg analysiert kritisch das 2017 mit dem deutschen Reporterpreis ausgezeichnete 360°-Film-Projekt "Was wollten Sie in Berlin!?" der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Bunnenberg kommt am Ende seiner überzeugenden Analyse der emotionalisierten Inszenierung zu diesem Fazit: "Die vermeintliche Eindrücklichkeit der dargestellten Haftsituation mag vielleicht Empathie für die Inhaftierten wecken, zu einer historischen Auseinandersetzung vermag der Film allein nicht anregen oder gar anleiten" (40-41). Bunnenberg verweist auch auf die vom Deutschlandradio entwickelte Smartphone App "StasiVR", die sich um eine stärkere Distanz zur dargestellten Vergangenheit bemüht. Beide Projekte eignen sich laut Bunnenberg für Dekonstruktionen im Geschichtsunterricht.
Nach kurzen Anmerkungen über aktuelle Herausforderungen für historisches Lernen in der Mediengesellschaft stellt Andrea Kolpatzik in ihrem lesenswerten Beitrag ein Unterrichtsbeispiel zum Mauerfall am 9. November 1989 unter Einsatz des virtuellen Zeitzeugenportals "Gedächtnis der Nation" vor. Sie illustriert praxisnah und kompetenzorientiert den Einsatz des Portals im Geschichtsunterricht, in dem veröffentlichte Filme mit Schüler*innen kritisch analysiert und dekonstruiert werden können.
Holger Meeh zeigt in seinem Beitrag anhand vieler gut ausgewählter Beispiele, wie Virtual und Augmented Reality didaktisch sinnvoll im Geschichtsunterricht eingesetzt werden können. Demgegenüber bewertet Meeh aus nachvollziehbaren Gründen den "3D-Druck als eine faszinierende Technologie, die aktuell noch zu komplex ist, um mit vertretbarem Aufwand in unterrichtliche Vorhaben integriert zu werden" (109).
Ebenfalls sehr praxisnah steht im Zentrum des innovativen Beitrages von Andreas Laubinger die Integration von Software-Programmen wie "SketchUp", "Trimble" und "Lumion" zur Erstellung von digitalen Modellen am Beispiel der Levinischen Werke, um die Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert im Unterricht zu vermitteln. Laubinger zeigt dabei konkret, wie mittels der Software mehr als reine Anschauungen entstehen, da besonders "eine visuelle Narration über die Arbeits- und Machtverhältnisse in der Industrialisierung" (138) von Schüler*innen erstellt werden kann.
In ihrem stärker theoretisch ausgerichteten Beitrag zeigt Astrid Schwabe ausgehend von den Strukturmerkmalen digitaler Medien schlüssig Potenziale und Grenzen für historische Lernprozesse auf. Im Kern steht dabei die Überzeugung, dass eine historische Medienkompetenz auch zu einer allgemeinen Medienkompetenz führen kann: "Wer im Geschichtsunterricht den kritisch-analytischen Umgang mit verschiedenen digitalen geschichtskulturellen Phänomenen erlernt [...], wird auch übertragbare Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben" (166).
Viola Skibas Beitrag ist im Feld der musealen Geschichtsvermittlung zu verorten und zeigt anhand von zwei Praxisbeispielen ("Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa", "Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt. Antike - Mittelalter - Renaissance"), wie digitale Rekonstruktionen in kulturhistorische Ausstellungen integriert werden können. Überzeugend sind die am Ende des Beitrages genannten didaktischen Bedingungen für einen gelungenen Einsatz von digitalen Medien in musealen Kontexten: konzeptionelle Einbindung, bewusster Einsatz, Korrektheit, Vernetzung, Ausgewogenheit.
Der letzte Beitrag des Bandes von Christian Fron und Peter Scholz präsentiert Ergebnisse des Forschungsprojektes "Reden ohne Mikrophon" der Universität Stuttgart, in dem mit einem interdisziplinären Ansatz auch mittels audiovisueller Rekonstruktionen antiker Gebäude die Frage untersucht worden war, welche Stimmkraft antike Redner benötigten, um bei Debatten des römischen Senats gehört zu werden. Bezogen auf den Titel des Bandes enthält der sonst lesenswerte Beitrag leider keine nennenswerten Impulse.
Insgesamt sind die zahlreichen praxisnahen Analysen eine Stärke des vorliegenden Titels. Sie führen vielfältig anhand ausgewählter Beispiele vor, wie digitalisierte Geschichte didaktisch sinnvoll vor allem in den Geschichtsunterricht integriert werden kann. Damit liefert der Band zahlreiche überzeugende und teils innovative Praxisbeispiele, die deutlich aufzeigen, wie digitale Medien im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht nachhaltig eingesetzt werden können.
Hannes Burkhardt