Carola Lau: Erinnerungsverwaltung, Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur nach 1989. Institute für nationales Gedenken im östlichen Europa im Vergleich (= Kultur- und Sozialgeschichte Osteuropas; Bd. 6), Göttingen: V&R unipress 2017, 825 S., ISBN 978-3-8471-0661-6, EUR 110,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Der Umgang mit Vergangenheit hat im östlichen Europa in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Was anfangs noch aussehen mochte wie eines der typischen Phänomene der Transformationszeit, ist in den letzten Jahren zu einem gesellschaftlichen Diskussionsfeld geworden, bei dem es längst nicht mehr nur um die Bewältigung eines autoritären Systems, sondern um die Verteidigung unterschiedlicher Partikularinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppierungen geht. Dabei zeigen die Diskurse in Polen und Ungarn, wie stark sich auf diesem Themenfeld zentrifugale Gegensätze ausgebildet haben.
Vor diesem Hintergrund präsentiert Carola Lau eine umfassende vergleichende Institutionengeschichte derjenigen Einrichtungen, die sich im östlichen Europa seit den 1990er Jahren zum Zweck des Umgangs mit der Vergangenheit gebildet haben. Sie behandelt die Situation in den Ländern Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei, der Ukraine und Tschechien. Überall hier hatten sich Einrichtungen gebildet, die Lau mit einem Sammelbegriff als "Institute für Nationales Gedenken" bezeichnet, obwohl, wie sie im Einzelnen darlegt, die Motivationen zur Veränderung, die Arbeitsweise und die betrachteten Perioden durchaus unterschiedlich sind. Welche Vergangenheiten in welcher Form miteinbezogen wurden, war in allen Ländern Ergebnis kontrovers geführter Diskurse mit politischer Brisanz, etwa wenn es um die Frage ging, ob man die Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs mit den Verbrechen aus der staatssozialistischen Zeit nach dem Krieg auf eine Stufe stellen sollte. In Einzelfällen griffen die Institute jedoch noch erheblich weiter aus. So sollten im ukrainischen Fall nach einer Ausweitung des entsprechende Instituts nach 2010 nicht nur die Ereignisse des 20. Jahrhunderts, sondern auch die "Ära der Kosaken" und die "Freiheitskämpfer des 18. und 19. Jahrhunderts" in die Arbeit einbezogen werden.
Eine erste Gründungswelle derartiger Institutionen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre führte zur Entstehung des Historischen Amts (Történeti Hivatal) in Ungarn, des Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej) in Polen und des Nationalen Rates für das Studium der Securitate-Archive (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţi) in Rumänien. Ab dem Jahr 2002 folgte das slowakische Institut für Nationales Gedenken (Ústav Pamäti Národa), die Umgestaltung des ungarischen Historischen Amtes in das Historische Archiv der Staatsicherheitsdienste (Állambiztonsági Szolgálatok Történeti Levéltára) sowie die Gründung des ukrainischen Instituts für nationales Gedenken (Ukraïns'kyj Instytut nacional'noï pamjati) und des tschechischen Instituts für das Studium totalitärer Regime (Ústav pro studium totalitních režimů).
Wie die Autorin selbst darlegt, stand für alle diese Einrichtungen die deutsche Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) Pate - eine Erscheinung, die von Zeithistorikern wie etwa Timothy Garton Ash mit seiner Formel vom BStU als der "DIN-Norm der Vergangenheitsbewältigung" für das östliche Europa bissig kommentiert worden war, aber nicht von der Hand zu weisen ist und vielmehr ein noch zu untersuchendes Phänomen darstellt. Ausdrücklich verzichtet Lau aber sowohl auf die Einbeziehung des BStU als auch auf eine Darstellung der Wirkung dieser Institution als Vorbild; lediglich am Schluss der Untersuchung finden sich dazu einige Passagen. Überhaupt tritt die vergleichende Betrachtung im gesamten Band angesichts der detail- und kenntnisreichen Darstellung der Begleitumstände der Entstehung der Institutionen im jeweiligen Land etwas in den Hintergrund. Die Stärke des Bandes liegt daher vor allem in der transparenten Darstellung der komplizierten diskursiven Prozesse in einem Land.
Die Kernaufgaben all dieser Institute - Aufbewahrung und Zugänglichmachung der Archivalien, Überprüfung und Lustration von Institutionen und Funktionsträgern, Forschung und öffentlicher Bildung - rückte diese wiederum in die Aufmerksamkeit nicht nur der Zeithistoriker, sondern zunehmend auch der politischen Diskussion. Die Institute sahen sich mit neuen Aufgaben konfrontiert: Sie wandelten sich von Einrichtungen, die vorwiegend Informationsdienstleistungen anboten, zu Objekten und dann auch Akteuren im Kräftefeld der nun immer wichtiger werdenden Geschichtspolitik und erhielten dadurch, in den Worten der Autorin, eine eigentümliche "Zwitterfunktion" (614). Dies führte im tschechischen Fall zu der (nicht realisierten) Forderung nach der Einrichtung separater Institutionen für den Bereich Aktenverwahrung, Forschung und Bildung.
Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte der Einrichtung, Zweckbestimmung und tatsächlichen Arbeit all dieser Institutionen ein Fallbeispiel dafür, wie sich staatliche Geschichtspolitik im Umgang mit zentralen Institutionen realisiert, welche gesellschaftlichen Kraftfelder hier wirksam sind und wie die Eigenart der schließlich entstandenen Institution ein Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen staatlicher Geschichtspolitik und gesamtgesellschaftlicher Erinnerungskultur in den jeweiligen Ländern ist.
Aufschlussreich ist auch Laus Hinweis auf die große gesellschaftliche Resonanz, die jedes der besprochenen Institute in dem jeweiligen Land phasenweise erhalten hat, was am besten durch die oft sehr polemisch geführten Diskurse über ehemalige Geheimdienstmitarbeiter deutlich wird. Es kann sich hier bei aller Differenziertheit doch immer nur um eine Momentaufnahme handeln, wie die Verfasserin betont, da die Diskussionen um die Institute des nationalen Gedächtnisses immer aktuelle tagespolitische Debatten widerspiegeln, die sich (auch zukünftig) in ständigem Wandel befinden. Dabei sind - auch darauf weist Lau hin - die Diskussionen um die Institutionen der Geschichtspolitik immer nur ein Teil des übergeordneten Diskurses über den Umgang mit Geschichte generell.
Dabei besticht der Band durch eine außerordentlich breite Quellengrundlage, die nicht nur schriftliche Quellen wie etwa Zeitungsartikel in den jeweiligen Originalsprachen oder Verlautbarungen der besprochenen Institutionen, sondern auch Ergebnisse von Experteninterviews und schriftliche Stellungnahmen an die Autorin umfasst. Die Dichte der Darstellung macht dabei die einzelnen Länderkapitel zu separat lesbaren Abhandlungen für die jeweiligen nationalen Diskurse zu Institutionen der Geschichtspolitik. Die hier vorgestellte Institutionengeschichte wird mit Sicherheit für zukünftige Untersuchungen zu Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im östlichen Europa reichlich Material bieten.
Rüdiger Ritter