Rezension über:

Stefan M. Holzer: Gerüste und Hilfskonstruktionen im historischen Baubetrieb: Geheimnisse der Bautechnikgeschichte, Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn 2021, IX + 470 S., ISBN 978-3-433-03175-9, EUR 79,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stefan Bürger
Institut für Kunstgeschichte, Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Bürger: Rezension von: Stefan M. Holzer: Gerüste und Hilfskonstruktionen im historischen Baubetrieb: Geheimnisse der Bautechnikgeschichte, Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 9 [15.09.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/09/36166.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Stefan M. Holzer: Gerüste und Hilfskonstruktionen im historischen Baubetrieb: Geheimnisse der Bautechnikgeschichte

Textgröße: A A A

Dieses Buch ist ein echter Gewinn: Über lange Zeit sammelte der Autor eine Fülle an Artefakten und Wissen zum Gerüstbau, um erstmals eine Gerüstbaugeschichte von der Antike bis nach 1900 darstellen zu können. Zu den Quellen gehören Miniaturen, Zeichnungen, Drucke und Fotos, aber auch Objekte und Baubefunde. In Kapiteln zu Arbeitsgerüsten wie Ausleger-, Stangen- oder sogenannten Lantenengerüsten, zu Lehrgerüsten und Schalungen für Bögen, Gewölbe und Kuppeln, zu Hebezeugen und Gerüsten für den Brückenbau werden anhand exemplarischer Beobachtungen und detaillierter Konstruktionsbeschreibungen Aspekte und Entwicklungen des Gerüstbaus aufgezeigt. Dabei gelingt es, von Verwicklungen des Forschungsstandes entlastet, eine Erzählung zu entfalten, die Orientierung bieten möchte.

Ein Ergebnis dieser großartigen Studie ist, dass Gerüstbau über Jahrhunderte eine große Kontinuität kennzeichnet, weniger innovative Schübe (2). Aus der Sicht der Bautechnikgeschichte werden Gerüste als technische Konstruktionen und Teile technologischer Prozesse betrachtet. Aus der Eigenschaft des Buches, zugleich Überblick und Detailstudien zu bieten, ergibt sich ein besonderer Gebrauch: Wer sich für Gerüstbau interessiert, sollte das Buch von A bis Z lesen, um keine Details zu übersehen. Der Autor macht es der Leserschaft leicht: Das Buch ist flüssig geschrieben. Fazit: Ein hervorragendes Kompendium, das in der Forschung zweifellos seinen Platz finden wird.

Nur wenige Anmerkungen zum Gebrauch - aus Sicht eines Architekturhistorikers und Bauforschers - sollen auf einige Aspekte aufmerksam machen: Gerüstbaufragen stellen sich oft im Zuge der Bauforschung. Für unbeachtete oder unerklärliche Befunde hilft die Lektüre, um künftig genauer hinzuschauen. Da das Buch die Geschichte aber narrativ abhandelt, gibt es wenig Anhaltspunkte, um, von konkreten Befunden ausgehend, Analogiebeispiele aufzufinden und entsprechende Fragen zu klären. Das knappe Stichwortverzeichnis hilft kaum weiter; einmal mehr sei die Gesamtlektüre empfohlen.

Ähnliches gilt für die Quellenforschung. Punktuell werden Auszüge oder Begriffe aus schriftlichen Dokumenten wiedergegeben. Zahlreiche Begriffe (wie henkets gerust/hängendes Gerüst, keffer/Kran, koppelwytten/Weidenzweige zum Binden, stellingmaker/Gerüstbauer) tauchen nicht auf. Das Fehlen eines Glossars wird evtl. weniger schwer wiegen, wenn die angekündigte Dissertation von Christian Mai (147) vorliegt, Untersuchungen zum Gerüstbau anhand der Schriftquellen samt Glossar zu Begriffen der Konstruktionen, Bauteilen und Aspekten des Gerüstbaus, die als Parallellektüre zu empfehlen wäre. [1]

Sich über Bilder bautechnikgeschichtlichen Fragen zu nähern, führt zum Problem der Auswahl: Welche Abbildungen taugen als 'authentische' Darstellungen, welche nicht? Der Autor weist auf dieses Problem hin, gibt aber für den kritischen Umgang keine Hilfestellungen, weshalb hier Forschungsbedarf bleibt. Dazu zwei Beispiele:

Die Babeldarstellung der Wenzelsbibel wird als geeignete Quelle verworfen (245). Dagegen steht, dass der dargestellte Kran mit Tretrad nachgebaut wurde und bei der Dachsanierung auf Burg Točnik zum Einsatz kam (derzeit Guédelon). [2] Dabei wurde sichtbar, wie sich ein solcher Kran an einer Mauer aufziehen kann, ein Versetzen - entgegen anderer Vorstellungen - ohne Auf- und Abbau möglich ist, was als Innovation des 14. Jahrhunderts zu würdigen wäre.

Ganz selbstverständlich wird der Wiener Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel des Älteren als Quelle herangezogen (86). Der Detaillierungsgrad legt dies nahe; doch bei genauer Analyse fällt auf, dass viele (bau-)technische Aspekte fragwürdig sind: Das Seil eines Kranes wird außen auf dem Tretrad aufgewickelt; Floßhölzer sind falsch verbunden; eine Bearbeitung großer Werksteine mit kleinen, spitzen Eisen ist höchst merkwürdig. [3] Eine solche Bildquelle müsste als 'fehlerhaft/unverstanden' aussortiert oder hier die für Brueghel typischen 'ironischen Brechungen' im Umgang mit der Realität mitberücksichtigt werden.

Ein weiteres Problem ist die in Bildern und Traktaten entfaltete Leistungsschau des Gerüstbaus (7). Oft scheinen dokumentierte Gerüste zu den Spitzenleistungen zu gehören und können nur bedingt dazu dienen, das Allgemeine und Erwartbare zu verdeutlichen. Zu Recht wird vom Autor angemerkt, dass Gerüste als Repräsentanten von 'Baustelle' gelten konnten und inszeniert wurden (236), um 'Bauen' auch symbolisch sichtbar zu machen. Dies führt zum Problem der Abweichung solcher Bilder von der historischen Realität und der Frage, inwieweit dann die Gerüstbaugeschichte abweicht. Gravierender ist, dass der 'Sichtbarmachung' von Gerüsten eine auffällige 'Unsichtbarkeit' gegenübersteht: Das Fehlen von Quellen und Befunden sollte auffordern, über das 'Bauen ohne Rüstungen' als integralen Teil der Bautechnik- und Innovationsgeschichte nachzudenken. Zu berücksichtigen wäre, dass sich Bautechniken und Bauformen auf den Verzicht von Rüstungen zurückführen lassen: Maßwerke wurden aus bogenförmigen Werkstücken gefügt, um Lehrgerüste komplett zu sparen. Gewölberippen wären analog als 'steinerne' (verlorene) Teile der Lehrgerüste zu betrachten. Der Autor beschreibt solche Verzichtsmomente oder Reduktionen auf Funktionen wie Formkontrolle (98, 176, 186). Die These, dass Lehrgerüste in der Regel durchgezimmerte, sehr tragfähige Konstruktionen gewesen sein müssen, nicht bloß leichte, mit Stricken verbundene Rüstholzgestelle, wäre unbedingt zu hinterfragen: Hier legen zahlreiche Baurechnungen ein anderes Zeugnis ab, wenn Gerüstkosten gering ausfallen, Rüstholz von Zimmerholz unterschieden wird und hunderte Stricke angeschafft werden. Auch Eisendübel, Klammern und Zugbänder, die Radialsteine verbinden, waren geeignet, um beim Bau von Bögen Lasten abzuleiten, ggf. um Gerüstmasse zu reduzieren oder einzusparen.

Durch praxisnahe Forschungen ließ sich beim Nachbau des Schlingrippengewölbes der Dresdner Schlosskapelle nachvollziehen, dass für ein figuriertes Gewölbe nur punktuelle Unterstützungen der Rippenkreuzpunkte ausreichen (152). Früher wurden die Werkstücke wohl mit Eisendornen auf den Stammhölzern fixiert, um mit bleiverlassenen Dübeln die Rippenstücke - fast freihändig - als Lehrbögen für den Kappenbau einzuspannen. Wenn überhaupt waren nur leichte Unterstützungen notwendig. [4] Das sparte viel Zimmerarbeit und bewirkte Baufreiheit beim Mauern des Kappenwerks. Sobald das Rippenwerk intakt war, ließ sich Last auf das Mauerwerk ableiten. Durch diese sukzessive Lastableitung erübrigt sich die Frage, ob sofort nach dem Wölben oder nach dem Abbinden des Mörtels ausgerüstet werden sollte (159).

Ausgehend davon, 'Gerüst' und 'Baustelle' eng zu denken, wäre auch zu überlegen, welche Rolle einem Vorgängerbau vor dem Abriss zufiel. Durch Rechnungen und Baubefunde lassen sich Abläufe rekonstruieren, wie alte, basilikale Substruktionen - als Gerüste - zur Aufrichtung neuer Hallendächer dienten. Auch Türme und Treppentürme wären als gerüstartige Unterkonstruktionen für Hebezeuge stärker zu beachten, da vielfach nachweisbar Turmschäfte zunächst nur auf Traufhöhe der Hauptbaukörper gebracht wurden, um Kräne aufzunehmen.

Diese Anmerkungen - die die Leistung keinesfalls schmälern sollen - können lediglich davor bewahren, wichtige Erkenntnisse zu verallgemeinern und ungeprüft auf konkrete historische Bauprojekte zu übertragen. Gerade weil die Bauprozesse vielfältig und Bauen und Gerüste eng verbandelt waren, ist immer mit eigenständigen Lösungen im Gerüstbau rechnen. Mit den Worten Holzers: 'Jede Gewölbeform hat dabei ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und fordert auch individuelle Techniken der Einrüstung und Schalung.' (84) ... und ihrer Erforschung.


Anmerkungen:

[1] Christian Mai: vom rusten, bogestellenn zumachenn, zuverschalenn unndt allerley notturft. Gerüstbau im späten Mittelalter auf der Grundlage zeitgenössischer Schriftquellen aus dem deutschsprachigen Raum 1300-1500, Manuskript/Diss. TU Dresden 2020.

[2] Vgl.: https://www.handshouse.org/czech-crane (Stand: 21.07.2021).

[3] Dazu: Stefan Bürger: Über den Turmbau zu Babel zwischen Utopie und technischer Machbarkeit, in: Technik und Science fiction in der Vormoderne. Ringvorlesungen der Universität Würzburg, hgg. von Brigitte Burrichter / Dorothea Klein, Würzburg 2018, 146-147.

[4] U.a.: Thomas Bauer / Jörg Lauterbach: Die Ausführung des Schlingrippengewölbes der Schlosskapelle Dresden, in: Das Schlingrippengewölbe der Schlosskapelle Dresden, hgg. von Sächsisches Ministerium der Finanzen, Altenburg 2013, 136-139.

Stefan Bürger