Jutta Wimmler / Klaus Weber (eds.): Globalized Peripheries. Central Europe and the Atlantic World, 1680-1860, Woodbridge: Boydell Press 2020, XV + 270 S., ISBN 9781783274758, GBP 25,00
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Von 2015 bis 2019 hat die DFG ein Projekt unter der Leitung von Klaus Weber gefördert, das die Einbindung der in der Geschichtsschreibung zum Transatlantischen Dreieckshandel häufig als "Peripherien" dargestellten Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in das global verflochtene Handels- und Wirtschaftssystem untersucht. Dabei stand der Export von Waren, die für den Tauschhandel mit afrikanischen Sklaven und für den Konsum in der Neuen Welt bestimmt waren, sowie der Rückfluss von Produkten aus Afrika und Amerika und ihre Auswirkungen auf die mitteleuropäischen Gesellschaften im 18. Jahrhundert im Vordergrund. In drei Teilprojekten sollten die Warenkette schlesischen Leinens, die Netzwerke mitteleuropäischer Händler in Lissabon und Nantes und die Produktions- und Vertriebswege einiger für die Zielregion wichtiger Waren aus dem atlantischen Dreieckshandel analysiert werden. Die vorliegende Publikation ist ein Ergebnis des Vorhabens. Sie resultiert aus einer im Juli 2018 an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) durchgeführten Tagung. In ihrer Einleitung gehen Jutta Wimmler und Klaus Weber auf den von ihnen in Bezugnahme auf die von Immanuel Wallerstein (1930-2019) entwickelte, bis heute sehr wirkmächtige Weltsystemtheorie gewählten Begriff "Globalized Peripheries" ein. Ihre Beobachtungen widersprächen Wallersteins Vorstellungen, dass die peripheren Überseeregionen Rohstoffe und Grundnahrungsmittel für die nordwesteuropäischen Kernregionen herstellten, in denen dann anspruchsvollere Güter produziert und Kapital akkumuliert würde. Vielmehr müsse man von einer sehr starken ökonomischen (und politischen) Verflechtung der frühneuzeitlichen mittel- und osteuropäischen Wirtschaft mit der atlantischen Welt ausgehen. Sehr gut könne man dies am Beispiel der deutschsprachigen Regionen sehen: Entlang der westafrikanischen Küste wurden Textilien, Waffen und Messingwaren aus diesem Produktionsraum zu wichtigen Gütern im Austausch gegen Sklaven und lokale Handelswaren. Unternehmer aus eher ländlich geprägten deutschen Regionen ließen sich in Genua, Nantes, Lissabon oder Sevilla nieder, um direkt von den Gewinnen des boomenden Seehandels zu profitieren. Die Exporte aus dem deutschen Hinterland über Hamburg nahmen von den 1680er bis zu den 1720er Jahren stark zu, als sich die Zahl der über den Atlantik verschleppten Sklav*innen verdoppelte - eine Folge der sprunghaften Steigerung der Zuckergewinnung auf Jamaika und Saint-Domingue. Die protoindustrielle Produktion von Textilien, Glas und Metallwaren in den deutschsprachigen Provinzen expandierte entsprechend. Gleichzeitig wurden die mitteleuropäischen Regionen zu begeisterten Konsumenten von Plantagenprodukten wie Zucker, Ingwer, Tabak, Schokolade und später Kaffee und Baumwolle. Der Wandel des westlichen Konsumverhaltens stand somit in direktem Zusammenhang mit der europäischen Expansion und dem Atlantikhandel - nicht nur in England, Frankreich oder den Niederlanden, sondern auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen.
In einer Reihe von Fallbeispielen, die räumlich von Schlesien (Anka Steffen: "A Fierce Competition! Silesian Linens and Indian Cottons on the West African Coast in the Late Seventeenth and Early Eighteenth Century"), Stettin (Jutta Wimmler: "Prussia's New Gate to the World: Stettin's Overseas Imports (1720-1770) and Prussia's Rise to Power"), Russland (Friederike Gehrmann: Luxuries from the Periphery: The Global Dimensions of the Eighteenth-Century Russian Rhubarb Trade"), Hamburg (Torsten dos Santos Arnold: "Atlantic Sugar and Central Europa: Sugar Importers in Hamburg and their Trade with Bordeaux and Lisbon, 1733-1798"), Triest (Klemens Kaps: "A Gateway to the Spanish Atlantic? The Habsburg Port City of Trieste as Intermediary in Commodity Flows between the Habsburg Monarchy and Spain in the Eighteenth Century") bis in das Wuppertal (Anne Sophie Overkamp: "A Cartel on the Peiphery: Wupper Valley Merchants and their Strategies in the Atlantic Trade (1790-1820s)") und nach Westfalen (Margit Schulte Beerbühl: "Linen and Merchants from the Duchy of Berg, Lower Saxony and Westphalia, and their Global Trade in the Eighteenth Century London") reichen, wird dieser Befund sehr überzeugend untermauert.
Geht es in all diesen Beiträgen in erster Linie um Waren und Warenketten, so handelt der Aufsatz von David K. Thomson von den sich nach 1848 intensivierenden Beziehungen zwischen Bankleuten aus den deutschen Gebieten und den USA. Der Text fällt ein wenig aus dem Rahmen, denn er behandelt eine andere Epoche als die anderen Artikel und berührt weder den Zusammenhang mit dem Sklavereisystem, noch geht er auf die Weltsystemproblematik ein. "Did Prussia have an Atlantic History?" Dieser Frage geht Bernhard Struck am Beispiel der Teilung Polen-Litauens 1772 nach. Sehr gut kann er darstellen, dass man die Geschichte Preußens nur in einem europäischen oder gar in einem nationalen Kontext sehen sollte, sondern sie immer als Teil einer Globalgeschichte auffassen und letzten Endes auch schreiben muss.
Die beiden verbleibenden Beiträge lassen sich am besten in den Kontext von Migrationsphänomenen stellen. Josef Köstlbauer befasst sich mit der Herrnhuter Brüdergemeinde, die im 18. Jahrhundert ein Netzwerk aufbauen konnte, das bis in die Karibik hineinreichte. Auf diesem Weg wurden auch zahlreiche Personen nach Europa gebracht, deren Status man wohl als "sklavenähnlich" bezeichnen kann. Eine interessante Personengruppe steht auch im Mittelpunkt von Alexandra Gittermanns Überlegungen. Gemeint sind ca. 100.000 Menschen, die während des 18. Jahrhunderts aus den deutschsprachigen Gebieten für eine Übersiedlung nach Amerika aktiv rekrutiert wurden. Es handelte sich um eine Form von Menschenhandel, an dem eine Reihe von Händlern bereicherten. Nachdem die angelockten und angeheuerten Frauen, Männer und Kinder oft unter erbärmlichen Bedingungen über den Atlantik verschifft worden waren, mussten die meisten von ihnen noch jahrelang Frondienste leisten, um die Kosten für die Überfahrt abzubezahlen.
Die Lektüre der Beiträge in diesem Sammelband ist sehr anregend. Es wird deutlich, dass wir noch am Anfang einer globalgeschichtlichen Verortung mitteleuropäischer Gebiete in der Frühen Neuzeit stehen.
Stephan Conermann