Rezension über:

Maria Husabo Oen / Unn Falkeid (eds.): Sanctity and Female Authorship. Birgitta of Sweden and Catherine of Siena (= Routledge Studies in Medieval Religion and Culture), London / New York: Routledge 2019, XVIII + 246 S., eBook, ISBN 978-0-4293-5177-8, GBP 36,99
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Rezension von:
Monika Costard
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Monika Costard: Rezension von: Maria Husabo Oen / Unn Falkeid (eds.): Sanctity and Female Authorship. Birgitta of Sweden and Catherine of Siena, London / New York: Routledge 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/10/34514.html


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Maria Husabo Oen / Unn Falkeid (eds.): Sanctity and Female Authorship

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Birgitta von Schweden (1303-1373) und Katharina von Siena (1347-1380) sind bekannt als die ersten Frauen aus dem Kreis der Laien, die noch im Mittelalter heiliggesprochen wurden. Beide wirkten im öffentlichen Leben für Reformen und hinterließen ein umfangreiches literarisches Werk. Anfänglich umstritten, gelang den Schriften beider eine bis in die Gegenwart andauernde Rezeption; Leben und Werk inspirierten eine Flut wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeiten. Im Jahr 1999 erhielten Birgitta und Katharina in der katholischen Kirche einen Status als Patroninnen Europas (zusammen mit Edith Stein). Katharina gilt seit 1970 als Kirchenlehrerin. Birgitta, die seit 1349 in Rom lebte, war beispielgebend in Katharinas Heiligsprechungsprozess. In Italien bestand ein zeitgenössisches Netzwerk, über das sich Bindeglieder zwischen beiden Frauen aufzeigen lassen.

Dass bisher keine umfassende vergleichende Untersuchung vorliegt, war den Herausgeberinnen Grund genug für neue Initiativen (2 und 7). Die zu besprechende Aufsatzsammlung ging aus zwei Workshops in den Jahren 2015 und 2017 hervor (xvii) und enthält Beiträge von zehn international renommierten Historikern, Philologen und Kunsthistorikern, die bereits mit einschlägigen Monographien und Einzelbeiträgen hervorgetreten sind. Schlaglichtartig werden die Identitätskonstitution, die Haltung der Heiligen im Verhältnis zur Welt, die über Text, Bild und Körperausdruck vermittelte Verständigung über ihre Botschaft und ihr Eingebundensein in Reforminitiativen zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas (1378-1417) beleuchtet. Berührungspunkte bei im engeren Sinne kirchlichen Themen, die Roger Andersson (152) und André Vauchez (205) erwähnen, werden nicht vertieft. Die etwa gleich langen, leserfreundlich präsentierten Aufsätze berücksichtigen jeweils beide Heilige. Sie sind durchgängig in englischer Sprache verfasst. Lediglich die Beiträge zur Observanz als Netzwerk und Textgemeinschaft verlangen geübte und interessierte Leser. Der Band enthält ein gemeinsames Literaturverzeichnis und ist durch ein Register erschlossen. Bedauerlich ist die schlechte Qualität der Abbildungen in der Print-Ausgabe.

Modern fragt die Mitherausgeberin Unn Falkeid nach der Selbstgestaltung der Heiligen und nach ihren Strategien, Autorität aufzubauen. Sie beschreibt, wie sich Birgitta von Schweden auf Maria als Himmelskönigin stützt, während sich Katharina von Siena auf Maria Magdalena als apostola apostolorum bezieht, um sich selbst und ihre Anhängerinnen zu stärken und um vorbildhaftes Verhalten zu vermitteln (54-73). Den körperlichen Zeichen der engen Verbindung mit Gott geht Gábor Klaniczay nach und behandelt die Erscheinung der Passionswunden am Körper der Katharina von Siena, sichtbar nur für sie selbst, und die mystische Schwangerschaft der Birgitta von Schweden im historischen Kontext (159-178). Zwei Beiträge widmen sich dem öffentlichen Wirken der Heiligen und wählen dazu die Kreuzzugsthematik und die Haltung zur Pilgerreise. Renate Blumenfeld-Kosinski fragt nach der Rolle Birgittas bei den durch König Magnus IV. Eriksson von Schweden initiierten Zügen gegen Nowgorod in den Jahren 1348-51 und beschreibt Katharinas Anliegen eines gesamteuropäischen Kreuzzugs ins Heilige Land (74-92). Nach Jane Tylus kennen beide Heilige das Verständnis des Erdenlebens als Pilgerschaft. Während sich für Birgitta an Pilgerstätten die Überlieferung verlebendigt und heilige Orte zu Auslösern von Visionen werden, setzt Katharina auf Selbsterkenntnis und stellt Spuren des Heiligen im Alltag in Frage (35-53). Tylus versucht, ein Grundverständnis für Frauenmystik zu vermitteln (36, 38), trifft sich aber eher durch den vergleichenden Ausblick auf Dante und Petrarca mit der Mystik-Geschichte von McGinn. [1]

Zum Stichwort Female Authorship geht es nur in ein paar Nebensätzen um Selbstzeugnisse (24, 27, 29, Luongo) und feministische Theologie (208, Vauchez). Die Grundfrage lautet vielmehr, wie sich Texte der Heiligen in einem gesellschaftlichen Klima etablieren konnten, das das öffentlich verbindliche Wort Männern zuwies. Unn Falkeid (64) und Maria Oen (113) erwähnen das kirchliche Lehrverbot für Frauen. Thomas Luongo beschreibt im ersten Beitrag des Bandes für beide Frauen die Beteiligung von Beichtvätern, Übersetzern, Redakteuren und Schreibern als konstitutive Elemente zeitgenössischer Autorschaft, ein Thema, dem Text- und Bildzeugnisse aus dem Umkreis der Heiligen große Aufmerksamkeit widmen, und fragt nach den Auswirkungen auf das Autorverständnis (1-34). Ergänzend diskutiert Maria Oen visuelle Legitimierungsstrategien über Autorenporträts, die Birgitta nach dem Modell des schreibenden Evangelisten gestalten und Katharina nach dem des Kirchenlehrers, speziell nach Thomas von Aquin. In den Bildern können beide Heilige zugleich als demütige Gefäße dargestellt werden, die das göttliche Wort übermitteln - der höchste Wert im mittelalterlichen Autoritätsverständnis (113-137).

Roger Andersson beschreibt die Rezeption in der Predigt und stellt dazu neben bekanntem Material eine unveröffentlichte Predigt über Birgitta vor. Die Predigt folgt den etablierten Mustern der Heiligenpredigt und integriert Birgitta auf diese Weise in die Tradition. Während in Katharinas Fall nur ihr ehemaliger Beichtvater William Flete als Ohrenzeuge ihre Worte in die Predigt einbringt, werden in Birgittas Klostergründung Vadstena ihre Offenbarungen, wie in der normgebenden Regula Salvatoris festgelegt, auch noch nach kirchlichen Verboten in Predigten verwendet (138-158).

Schließlich gilt die Aufmerksamkeit dem Netzwerk der Heiligen im Kontext der zeitgenössischen kirchlichen Reformbewegung. Silvia Nocentini zeigt an Schlüsselfiguren, Handschriften und Skriptorien frühe Zeugnisse einer ordensübergreifenden gemeinsamen Verbreitung des Werks beider Heiliger innerhalb der Observanz in Italien und England (93-112), während Camille Rouxpetel den Focus auf Reforminitiativen an der Spitze der Kirche richtet. Sie beschreibt personelle Verbindungen und berücksichtigt kirchenpolitische Vorstellungen in einem wohl 1385/86 entstandenen Traktat des Birgitta-Beichtvaters Alfonso Pecha von Jaén zum Schisma und zur Papstwahl Urbans VI. sowie den Liber dialogorum hierarchie subcelestis, einem ungedruckten anonymen dominikanischen Traktat aus dem Jahr 1388 (179-200).

Die Beiträge sind spielerisch-abwechslungsreich, tatsächlich aber wohl nach Relevanz angeordnet. Thematische Überschneidungen und über die Beiträge verteilte Kurzeinführungen zu Sachthemen vermitteln den Eindruck einer Zusammenarbeit auf gleicher Ebene und legen den Anteil der Verfasser am Geschichtsbild offen. Der Band eignet sich gut für ein Schnupperstudium im Bereich religious studies. Vertreter:innen einer Verantwortungselite, Aktivist:innen und Lobbyist:innen werden hier einen fernen Spiegel finden.


Anmerkung:

[1] Bernard McGinn: The Presence of God: A History of Western Christian Mysticism, Volume 5: The Varieties of Vernacular Mysticism (1350-1550), New York 2012. Part II. Mysticism in Late Medieval Italy, Kapitel 6 zu Dante und Birgitta von Schweden (179-196), Kapitel 7 zu Katharina von Siena (197-249). Deutsch unter dem Titel: Die Mystik im Abendland, Band 5: Vielfalt. Die Mystik in den Niederlanden, Italien und England (1350-1550), Freiburg, Basel, Wien 2016.

Monika Costard