Patrice Poutrus: Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart, Berlin: Ch. Links Verlag 2019, 247 S., ISBN 978-3-96289-036-0, EUR 25,00
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Asylpolitik und Flüchtlingsaufnahme waren und sind in Deutschland von leidenschaftlich geführten Debatten und starker politischer Mobilisierung begleitet. Patrice G. Poutrus zeichnet in seinem Buch Umkämpftes Asyl die polarisierenden Auseinandersetzungen über den sogenannten Asylparagraphen von 1949 (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG) bis zu dessen Revision durch Artikel 16a, den sogenannten Asylkompromiss vom 28. Juni 1993, nach. Er stellt die "dynamische Konfliktgeschichte" (14) dar, indem er die Aufnahme einzelner Gruppen von Asylsuchenden in der Bundesrepublik und der DDR auf der Basis von Quellen und Einzelstudien analysiert.
Gérard Noiriel hat die politische wie auch administrative Migrationskontrolle und -verwaltung als ein zentrales Moment der Nationalisierung von Staaten bezeichnet [1]. Im Anschluss an diesen Forschungsansatz untersucht Poutrus die deutsche Asylpolitik und Flüchtlingsaufnahme als einen bis in die Gegenwart hineinreichenden Konflikt über die normativen und rechtsstaatlichen Grundlagen der gesellschaftlichen Beziehungen (12). Eine - im Kontext von konkreten Ereignissen und sich wandelnder politischer Kultur immer wieder neu konfigurierte - Spannungslinie zwischen Verfechtern einer offenen, menschenrechtlich begründeten Asylgarantie und den Verteidigern nationaler Souveränität und Homogenitätsimagination strukturiert diese Kontroverse, wie Poutrus überzeugend in einer zeitgeschichtlichen Perspektive herausarbeitet.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Auf das Einführungskapitel folgt eine chronologische Übersichtsdarstellung der Phasen und Konfliktmomente, die den Prozess der Revision des Asylparagraphen charakterisieren. Im zweiten Kapitel fasst der Autor die Entstehungsgeschichte der Asylnorm zusammen. Die von Poutrus hervorgehobenen Spannungen in den Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung und der Alliierten Hohen Kommission über die Ausgestaltung des Asylrechts kündigen die Streitinhalte der weiteren Phasen der Konfliktgeschichte an.
Kapitel 3 behandelt die Asylgewährung in der frühen Bundesrepublik (1956-1970). Anhand der Fluchtbewegungen aus Ungarn verdeutlicht Poutrus die "völkisch orientierte[] Migrationspolitik" (45), die die bundesdeutsche Ministerialbürokratie zunächst bei der Flüchtlingsaufnahme verfolgte. Die klare Priorisierung deutscher Staatsangehöriger und sogenannter Volksdeutscher gegenüber den Ungarn, die aus politischen Gründen ihr Land verlassen mussten, wurde Ende 1956 aufgegeben und durch eine aktive Integrationspolitik gegenüber den ausländischen Flüchtlingen ersetzt. Im Kontext der Auseinandersetzungen über das Ausländergesetz von 1965 brachen jedoch die Spannungen zwischen denjenigen, die einen humanitären Flüchtlingsschutz vertraten, und denjenigen, die die grundrechtliche Asylgarantie als Abwehrpolitik von ausländischen Flüchtlingen anzuwenden versuchten, erneut auf. Poutrus zeigt, in welchem Maße die Anwendung des Abschiebeschutzes je nach innen- und außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik variiert und wie die bayerische Staatsregierung im Rahmen der föderalen Aufgabenverteilung zur "Torwächterin" (55) einer restriktiven Auslegung der Asylgarantie geworden ist. Er unterstreicht in dieser Hinsicht, dass die Bedingungen des Kalten Kriegs nicht allein die Aufnahme von politisch Verfolgten bestimmten, sondern "diese ganz wesentlich vom [...] Wandel in der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik abhing" (58).
Wie in Kapitel 4 (1970er Jahre) am Beispiel der chilenischen Exilanten in der Bundesrepublik deutlich wird, hat dieser Wandel der politischen Kultur eine universalisierende Konzeption des Schutzes politisch Verfolgter wie auch die menschenrechtliche Auslegung des Rechts auf Asyl gestärkt. Zugleich wurden in den 1970er Jahren im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft eine intergouvernementale Zusammenarbeit im Bereich des Asyls, der Arbeitsmigration und der Kriminalitäts- sowie Terrorismusbekämpfung etabliert, die in den folgenden Jahrzehnten die ab 2015 scheiternde Externalisierung bundesdeutscher Asylpolitik ermöglichte (Kapitel 8). Nicht zuletzt deuten die ersten europäischen Koordinierungsschritte die zunehmend vorgenommene Verkettung von Asylpolitik und Arbeitsmigration an, die der Autor im 5. Kapitel für die Phase der 1980er in der Bundesrepublik beschreibt. Sie dienen, so Poutrus, vor allem denjenigen politischen Kräften in der Bundesrepublik, die eine restriktive, abwehrende und abschreckende Asylpolitik verfolgten.
Kapitel 6 ist der Flüchtlingsaufnahme in der DDR gewidmet. Am Beispiel der griechischen Flüchtlingskinder, spanischen und aus Frankreich ausgewiesenen Bürgerkriegsflüchtlinge sowie der algerischen und chilenischen Flüchtlinge erläutert Poutrus, wie die Aufnahmepraxis der sogenannten Polit-Emigranten mit den jeweils bestehenden außenpolitischen Interessen des SED-Staates verbunden war. Gleichzeitig arbeitet er die integrationspolitischen Momente heraus, die Polit-Emigranten innergesellschaftlich marginalisierten und zu "geduldete[n] Gäste[n] einer national definierten deutschen Gemeinschaft" (157) machten. Die hier verdeutlichten Widersprüche in der Asylpolitik des SED-Staats kamen nach dem Ende der DDR den politischen Kräften zugute, die für eine restriktive Änderung des bundesdeutschen Asylparagraphen eintraten, wie Poutrus überzeugend herausstellt.
Der Asylkompromiss nach der Deutschen Einheit, der einen "weitere[n] Gründungsakt der Berliner Republik" darstellt (13), eröffnete den Weg für die Revision des Asylparagraphen. In Kapitel 7 (1990-1993) wird das dem Kompromiss vorausgehende Zusammenspiel von parteipolitischer Mobilisierung, dem "Verwirrspiel mit Zahlen" (164) durch CDU-Politiker, rassistischer Gewalt und deren explizite wie implizite Unterstützung in der Bevölkerung zusammengefasst. Das Schlusskapitel 8 (1993 bis heute) erläutert den geänderten Artikel 16a des Grundgesetzes und bezieht die Konfliktgeschichte bis zur deutschen Einheit auf die Debatten und Ereignisse bei der Flüchtlingsaufnahme in den 2000er und 2010er Jahren.
Die einzelnen, in unterschiedlichen historischen Kontexten stattfindenden politischen Auseinandersetzungen, die Poutrus in den Blick nimmt, sind für die deutschsprachige Asyl- und Migrationsforschung nicht unbedingt neu. Der große Verdienst des Buchs liegt vielmehr in ihrer zusammenhängenden Darstellung. Poutrus' Narrativ, dessen Dreh- und Angelpunkt das Ringen zwischen den Verteidigern nationaler Homogenität und Souveränität auf der einen und den Verfechtern einer offenen menschrechtlich begründeten Asylgarantie auf der anderen Seite ist, erlaubt den Leserinnen und Lesern bisher wenig berücksichtigte Zusammenhänge zu identifizieren und neue Fragestellungen zu entwickeln.
Anmerkung:
[1] Gérard Noiriel: Die Tyrannei des Nationalen. Sozialgeschichte des Asylrechts in Europa, Lüneburg 1994.
Nikola Tietze