Magdalena Weileder: Spätmittelalterliche Notarsurkunden. Prokuratorien, beglaubigte Abschriften und Delegatenurkunden aus bayerischen und österreichischen Beständen (= Beihefte zum Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde; 18), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 318 S., 7 Farbabb., ISBN 978-3-412-51621-5, EUR 45,00
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Bei der vorliegenden Studie von Magdalena Weileder handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete Version ihrer 2017 fertiggestellten Dissertation. Sie bietet eine hilfswissenschaftliche Bereitstellung und kritische Analyse eines über 1000 Notarsurkunden aus bayerischen und österreichischen Archiven umfassenden Bestandes. Weileder untersucht, welche Angelegenheiten in österreichischen und bayerischen Regionen notariell beglaubigt, inwiefern dabei rechtlichen Vorschriften gefolgt wurden, und in welchem Verhältnis notarielle Urkunden zu den im Norden viel häufiger vorkommenden Siegelurkunden stehen. Der Anteil dieser über 1000 untersuchten Notarsurkunden am Gesamtbestand des Fonds beträgt 4%. Dabei werden die Urkunden vor 1250 ausgeklammert, als im untersuchten Gebiet noch keine Notare tätig waren. Diese Prozentzahl nimmt im 14. und 15. Jahrhundert leicht zu. Im Zentrum der Analyse stehen die drei am häufigsten vorkommenden Urkundenarten: Prokuratorien (Stellevertretervollmachten), Transsumpte (beglaubigte Abschriften) und Delegatenurkunden, d.h. Urkunden päpstlich delegierter Auditoren, Kommissare und Exekutoren. Ein umfangreicher Anhang listet die Anzahl der untersuchten Notarsurkunden tabellarisch auf und zeigt deren Anteil am Gesamtbestand der in den Archiven enthaltenen Urkunden an.
Die untersuchten Urkunden betreffen vorwiegend geistliche Empfänger in der Kirchenprovinz von Salzburg. Außer den Urkunden aus den Beständen des Reisinger Domkapitels und Hochstifts sind alle zitierten Urkunden auf monasterium.net chronologisch sortiert und auffindbar. Der Untersuchungszeitraum umfasst das 14. bis Ende des 15. Jahrhunderts. Von etwa 1300 an sind in deutschen Diözesen notariell beglaubigte Urkunden nachweisbar. Obwohl das Jahr 1500 keine Zäsur bildet, kann es jedoch als Endpunkt der Entwicklung des öffentlichen Notariats in Deutschland gelten. Durch die Gründung des Reichkammergerichts und Reichsnotariatsordnung (1512) waren Notare auch im weltlichen Bereich gefestigt.
Einer der wichtigsten Beiträge der Studie besteht darin zu zeigen, dass für die Beurteilung der Rezeption des Notariats im nordalpinen Raum im Allgemeinen und für die sogenannten "Mischformen" im Speziellen stärker auf den Inhalt und Zweck der Urkunden geachtet werden muss. Unter "Mischformen" werden Urkunden verstanden, die notariell beglaubigt waren und zusätzlich dazu ein Siegel trugen. Weileder findet unter den untersuchten Notarsurkunden 520 Stück, die als "Mischformen" klassifiziert werden können, und kann somit darauf hinweisen, dass es sich bei der Kombination von notarieller Unterschrift und Siegel nicht um ein Randphänomen handelte.
Das Buch beginnt mit einer Einleitung (Kapitel 1), gefolgt von einer kurzen Übersicht über den Forschungsstand (Kapitel 2). Zum öffentlichen Notariat in Deutschland liegen zahlreiche Studien vor, die vor allem den Berufsstand der notarii publici anhand rechts- und sozialgeschichtlicher Fragestellungen untersuchen. Was jedoch weniger Beachtung fand, sind die Rechtsinhalte der Urkunden. Das darauffolgende Kapitel (3) bietet eine Zusammenfassung und kritische Beurteilung der Anfänge und Ausbreitung des öffentlichen Notariats in Deutschland, wo sich im Gegensatz zu Italien kein Berufsschreibertum ausbildete. Die allmählich einsetzende Rezeption des öffentlichen Notariats nördlich der Alpen ist von der Forschung unter anderem im Zusammenhang mit der Ausbreitung des römisch-kanonischen Prozessrechts gesehen worden. Dieses unterschied die Beweiskraft verschiedener Beglaubigungsmittel und sprach den instrumenta publica unbedingte Beweiskraft zu. Als ein weiterer Faktor werden die bischöflichen Offizialatsgerichte betrachtet, denn diese konnten die Anwesenheit öffentlicher Notare fordern. Ebenfalls eine Rolle spielten Delegatengerichte und Pfründenvergaben sowie Studenten, die aus einem Aufenthalt in Italien zurückkehrten, aus einer Region also, in der das öffentliche und private Leben unvergleichbar stärker durch die Präsenz öffentlicher Notare geprägt war. Ausschlaggebend war das insbesondere unter Karl IV. verbreitete Notarsernennungsrecht.
Im folgenden Kapitel (4) bietet Weileder einen Überblick über die von bayerischen und österreichischen Notaren gekannten und direkt benutzten literarischen Hilfsmittel. Die italienischen Vorläufer der ars notaria waren vor allem auf theoretischer Ebene wichtig, sie besaßen jedoch keine nachweisbare praktische Relevanz. Eines der bekanntesten und meistüberlieferten Formulare ist das Formularium notariorum curie sub Iohanne papa XXII., das wahrscheinlich zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Avignon verfasst wurde. Für das Formularium instrumentorum, ein Formular, das seit 1474 in zahlreichen Drucken überliefert ist, konnte Weileder die stärkste praktische Relevanz feststellen. Aus diesem wurde, wie die Autorin in den folgenden Kapiteln zeigt, direkt abgeschrieben.
Kapitel 5 ist den inneren und äußeren Merkmalen des untersuchten Urkundenbestandes gewidmet. Hier geht Weileder auf die Arten notariell verfasster Urkunden ein und untersucht Aspekte wie das verwendete Material, das Layout und die graphische Ausstattung. Ein beträchtlicher Teil des Kapitels gilt der Diskussion über die "Mischformen". In der bisherigen Forschung ist davon ausgegangen worden, dass Mischformen das Resultat eines jeweiligen Entgegenkommens nördlicher und südlicher Vertragspartner signalisierten. Diesem Argument hält Weileder u.a. entgegen, dass sich auch in grenzfernen Regionen Mischformen finden lassen (102). Ebenfalls als ungenügend empfindet sie die Erklärung, dass die doppelte Beglaubigung dem Wunsch nach einer Kumulation prestigereicher Beglaubigungsmittel entspräche. Basierend auf der in den nächsten drei Kapiteln folgende Analyse der Notariatsurkunden schlägt Weileder stattdessen vor, dass die Wahl von Signet und Siegel nicht willkürlich war, sondern dem Zweck und Inhalt der Urkunde entsprach. Für weitere und umfassendere Antworten scheint hier die Kombination Weileder's Befundnisse mit kulturhistorischen und anthropologischen Studien zum mittelalterlichen Urkundenwesen und Notariat aufschlussreich. [1]
Im Zentrum der nächsten und letzten drei Kapitel stehen die Notarsurkunden. Die Kapitel sind jeweils ähnlich aufgebaut. Einer Übersicht über den Forschungsstand zur jeweiligen Urkundenart folgt eine Betrachtung der Urkunde in der juristischen Literatur und in Formelbüchern. Als nächstes geht es jeweils um die Analyse der im Bestand untersuchten Urkunden, wobei Weileder stets auf die Anzahl und das erste Auftreten, die Auftraggeber, Orte, Aufbewahrung, Inhalte, äußere Merkmale und das Formular eingeht. In jedem dieser Abschnitte können wertvolle Informationen gefunden werden, die ohne Weileder's Beitrag kaum zugänglich und schwierig auffindbar wären.
Kapitel 6 fokussiert die 87 im Urkundenkorpus vorkommenden Prokuratorien (117). Sie sind die häufigsten unbesiegelten Notariatsinstrumente. Bei den meist vorkommenden Inhalten der Prokuratorien handelt es sich um Vollmachten (insbesondere zur Inbesitznahme von oder Verzicht auf Pfründe), Gerichtsprozesse, Verhandlungen, Impetration päpstlicher Privilegien und Kreditaufnahmen. Kapitel 7 behandelt die Transsumpte, die mit 30% des Gesamtanteils am untersuchten Bestand die am häufigsten überlieferten Notarsurkunden sind. Die meisten Transsumpte beinhalten "Begünstigungen für den Empfänger" (182). Darunter finden sich Maut- oder Zollprivilegien, Zehntbefreiungen oder allgemeine Privilegienbestätigungen, Schutzbriefe, Stiftungen, Ablässe, Vergleiche und Verträge. Abschliessend geht es in Kapitel 8 um die 140 überlieferten Delegatenurkunden, die zusammen mit den über 300 Transsumpten etwa 90% an den 526 besiegelten Notariatsinstrumenten ausmachen (207).
Der Fokus auf Rechtsinhalte erlaubt es der Autorin festzustellen, dass vereinfachende Konzepte wie das eines Konkurrenzkampfes zwischen italienischen und deutschen Beurkundungstraditionen der Komplexität des spätmittelalterlichen Urkundenwesens nicht gerecht werden (223). Dadurch, dass öffentliche Notare zum Verfassen der Urkunden einem Formular folgten, ermöglichten sie einen regionsübergreifenden Rechtsverkehr mit der päpstlichen Kurie im Zentrum.
Durch die vorliegende Monographie hat Weileder nicht nur eine wertvolle Grundlage für die Erforschung des nordalpinen Notariats gelegt, sondern auch vergleichende und regionsübergreifende Fragestellungen entwickelt. Da Weileder den Fokus stärker als bisherige Studien auf die Rechtsinhalte der Urkunden legt, wird ihre Studie für Forschende zu zahlreichen Themen einschließlich der Rechts-, Institutions-, Sozial-, Wirtschafts-, Kirchen- und Kulturgeschichte eine große Hilfestellung bilden.
Anmerkung:
[1] Brigitte Bedos-Rezak: When Ego was Imago. Signs of Identity in the Middle Ages, Leiden 2011, betrachtet Siegel unter rechtshistorischen und anthropologischen Gesichtspunkten.
Sarina Kuersteiner