Daniel Marwecki: Germany and Israel. Whitewashing and Statebuilding, London: Hurst Publishers 2020, VIII + 274 S., ISBN 978-1-78738-318-0, GBP 30,00
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Die Geschichte der Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik ist schon lange ein Thema von Publizistik und Forschung. Dem kann nicht anders sein: Immerhin werfen die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontakte zwischen einem der drei Nachfolgestaaten des 'Dritten Reiches' und dem Staat Israel, der nach der Katastrophe des Holocaust zur Heimstätte vieler Überlebender wurde, zahlreiche Fragen auf. Wie und unter welchen Bedingungen gestalteten und entwickelten sich die Beziehungen zwischen den einstigen Tätern und Opfern? Auf welcher Grundlage konnten politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehung überhaupt initiiert werden?
Das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme der deutsch-israelischen Beziehungen (1965) war Anlass für eine Vielzahl neuer Veröffentlichungen, die deren Geschichte aus verschiedenen Perspektiven diskutierten. Auch Daniel Marweckis 2020 bei Hurst in London erschienene Studie Germany and Israel. Whitewashing and Statebuilding gehört zum Kreis der neuen Literatur und hebt sich doch von anderen Publikationen ab. Das betrifft nicht allein den genuin politikwissenschaftlichen Zugriff und die Chronologie des Buches. Immerhin legt sich das in 4 Haupt- und 13 Unterkapitel gegliederte Buch keinerlei zeitliche Beschränkungen auf, sondern bietet einen Einblick in das deutsch-israelische Verhältnis von den frühesten Anfängen bis in die Gegenwart. Stärker noch besticht Marweckis zur Veröffentlichung überarbeitete Dissertation aber durch ihren thesenstarken Charakter. So ist das Buch als Einspruch gegen einen deutschen Selbstverständigungsdiskurs der Gegenwart geschrieben, demzufolge die deutsch-israelischen Beziehungen ihren Ursprung in der deutschen Übernahme historischer Verantwortung und einer moralgeleiteten Politik hatten. Wider solch "affirmative writing of diplomatic history" (6) rückt Marwecki die historische Konstellation der Beziehungen ins Zentrums seiner Darstellung. Der "exchange between whitewashing and statebuildung" - dem Bedarf an Staatsaufbauhilfen einerseits und moralischer Rehabilitation anderseits - wird ihm gleichsam zur "conceptual lens" (8), um die staatlichen Beziehungen zu rekonstruieren.
Nirgends wird dieser Zugriff deutlicher herausgearbeitet als im ersten großen Kapitel des Buches, das sich der Geschichte und Bedeutung des Luxemburger Abkommens (1952) zuwendet. Zwar fördert das Kapitel kaum neue Erkenntnisse zutage und greift auf die breite Sekundärliteratur zum Thema zurück. Doch gelingt es Marwecki, elegant die unterschiedlichen Perspektiven, Motive und Spannungen zusammenzuführen, die sich mit den Verhandlungen von Wassenaar verbanden. Das schlägt sich schon in den begrifflichen Bezeichnungen nieder. Was den Deutschen als Wiedergutmachung galt, waren in hebräischer Sprache Shilumim - Ab- oder Vergeltungszahlungen. Dass sich Ben-Gurion gegen den von Menachem Begin angeführten Protest wider die Annahme deutschen "Blutgelds" durchsetzte, war letztlich der materiellen Not des Landes und dem drängenden Bedarf an wirtschaftlicher Unterstützung geschuldet: gleichsam eine Entscheidung im Sinne von Staatsräson - Mamlachtiut. Deutschland wiederum erhoffte sich von der Zahlung der Entschädigungen vor allem moralische Rehabilitation auf dem Weg zur Westbindung und den Respekt des Landes innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft.
Faszinierender noch lesen sich die Folgekapitel, die die Geschichte der westdeutschen Militärhilfe an den jüdischen Staat aus den Aktenbeständen des Auswärtigen Amts rekonstruieren. Gegenüber dem Blick auf die "weichen" deutsch-israelischen Wissenschaftskontakte, die der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorausgegangen waren, gilt Marweckis Interesse der harten Währung militärischen Materials, das Deutschland an Israel lieferte. Bestand die Militärhilfe zwischen 1957 und 1962 noch in leichtem Gerät, begründete der 1962 geschlossene Kooperationsvertrag beider Staaten die Lieferung von Transportflugzeugen, Schiffen und U-Booten. Auf deutscher Seite wesentlich von Franz Josef Strauß koordiniert, akzentuiert Marwecki überzeugend dessen zentrales Motiv, mittels der Lieferung von Waffen "leaving the past behind us" (75) und moralische Rehabilitierung zu erwirken (78). Für Israel selbst wiederum kam den deutschen Waffen zusammen mit den französischen Mirage Jets eine existenzielle Bedeutung zu, denn diese trugen zum israelischen Sieg im Junikrieg des Jahres 1967 bei: "While French Mirage jets won the decisive air campaign", schreibt Marwecki, "the ground campaign in Egypt was won with German-delivered tanks" (110). Als Deutschland Israel im Jahre 1965 zudem einen Kredit unter dem Namen "Aktion Geschäftsfreund" gewährte, erklärte der damalige stellvertretende Verteidigungsminister Shimon Peres: "[T]he USA helped us with money, but not with weapons. France helped us with weapons, but not with money. Germany could build a bridge over the past by delivering arms, without demanding money or anything else."
Mochten derlei Beziehungen auch die Grundlage für eine Annäherung nach der Katastrophe bilden, die schließlich in die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mündete: Die deutsche Rede von einer "Normalisierung" möchte sich Marwecki für die Verstetigung des zwischenstaatlichen Verhältnisses, die er in seinem dritten Kapitel untersucht, jedoch nicht zu eigen machen. Angesichts eines fortwährenden Gegensatzes zwischen der bundesrepublikanischen Hoffnung, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und einer israelischen Realität, in der "the past still speaks to us with a terribe voice" (Abba Eban, 126), unterstreicht Marwecki stattdessen "two contrasting visions of 'normalised' versus 'special relations'." (127) Stärker noch problematisiert Marwecki das Fortwirken von Ressentiments und antijüdischen Stereotypen, für die er gerade in die Frühgeschichte des deutsch-israelischen Verhältnisses - etwa am Beispiel von Rolf Pauls, dem ersten westdeutschen Botschafter in Israel - zahlreiche Belege findet.
Eine Fortwirkung von Bildern der Vergangenheit erkennt Marwecki aber auch weit über das engere deutsch-israelische Verhältnis hinaus. Es ist eine zentrale Besonderheit und Stärke des Buches, dass es auch die Wahrnehmungen des israelisch-palästinensischen Konfliktes im Spiegel des deutsch-israelischen Verhältnisses diskutiert. Hier werden Projektionen erkennbar, die nicht minder zu Schuldabwehr und Relativierung der deutschen Verbrechen beitrugen. So verweist Marwecki auf Berichte in der westdeutschen Presse, die im israelischen Sieg vom Juni 1967 einen "Blitzkrieg" und in Moshe Dayan einen "Rommel Israels" erkennen wollten (113 f.). Kaum weniger scharf kritisiert er eine "nazification" (93 f.) von Palästinensern und Arabern und deren Charakterisierung im Konflikt mit Israel als Wiedergänger der Nationalsozialisten. Zwar übergeht Marwecki nicht die judenfeindlichen Anteile mancher palästinensischen Positionierung und ignoriert auch nicht die notorischen Beziehungen des einstigen Großmuftis zu NS-Deutschland. Doch hebt er die eigenständige Geschichte und Struktur des israelisch-palästinensischen Konflikts hervor, um an der Notwendigkeit von dessen Lösung und einer Perspektive der gegenseitigen Anerkennung festzuhalten.
Ohnehin geht Marwecki in seiner Darstellung weit über die historische Bestimmung des deutsch-israelischen Verhältnisses hinaus und richtet den Blick zuletzt auf dessen Auswirkungen auf die deutsche Stellungnahme zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Frage nach der westdeutschen Positionierung gegenüber Palästinensern und der Palästinafrage durchzieht dessen gesamte Darstellung: Sie reicht von Einblicken in die Ambivalenz der innerdeutschen Debatten über das palästinensische Flüchtlingsproblem im Gefolge des israelisch-arabischen Kriegs 1948, reflektiert aber auch Deutschlands europäische Rolle als Gegengewicht zu Frankreich, das sich seit den 1960er Jahren zunehmend an die arabische Staatenwelt anzunähern suchte, und erstreckt sich zuletzt bis zur Festigung eines deutlichen Votums für eine Zweistaatenregelung.
Mit dieser Einbindung des israelisch-palästinensischen Konflikts in seine Darstellung geht Marwecki aber nicht allein über viele andere Untersuchungen hinaus. Mit der Frage nach dem Verhältnis von Israels Sicherheit als Ausdruck von Deutschlands - dem Holocaust entspringender - Staatsräson - einerseits und der Übernahme von politischer Verantwortung im israelisch-palästinensischen Konflikt andererseits ist sein Buch nicht nur von historiographischer Relevanz, sondern liefert zugleich einen Beitrag zu den zyklisch wiederkehrenden Debatten der Gegenwart.
Lutz Fiedler