Olaf Jacobs (Hg.): Die Treuhand - ein deutsches Drama, Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2020, 120 S., ISBN 978-3-96311-316-1, EUR 16,00
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Das schmale Buch wurde offenbar eilig mit Blick auf den 30. Jahrestag der deutschen Einheit und das wiederauflebende Interesse an der Geschichte der Treuhand erarbeitet. Einleitend skizziert der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt das Startkapital der Treuhandanstalt. Er verweist zunächst darauf, dass die DDR nicht bankrott war. Jedoch hätte die DDR auch ohne die überraschende Grenzöffnung am 9. November 1989 ihre Zahlungsbilanzprobleme kaum noch längere Zeit beherrschen können, es sei denn, der Lebensstandard wäre abgesenkt worden. Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass es solche Modelle gab. Verwiesen sei auf die "Spezialperiode" in Kuba, mit der das Regime in den 1990er Jahren auf den Zusammenbruch des Ostblocks reagierte, sowie die Griechenlandkrise in den Jahren nach 2010. In beiden Fällen wurde den Bevölkerungen ein drastischer Konsumverzicht abverlangt, ohne dass die Staaten zusammenbrachen. Es ist aber dem Autor zuzustimmen, dass es sich bei der DDR um einen Sonderfall handelte. Allein aufgrund der westdeutschen Referenzgesellschaft hätte ein von der SED-Führung verordnetes Sparprogramm die Gesellschaft destabilisiert.
Als ein zentrales Problem für die Privatisierung der DDR-Betriebe sieht Judt die von der Bundesregierung versäumte Altschuldenregelung. Dem ist entgegenzuhalten, dass zumindest bei allen größeren Privatisierungen die Altschulden von der Treuhand übernommen beziehungsweise mit dem Kaufpreis verrechnet wurden, was zu negativen Preisen führte. Inwieweit die Altschulden die MBO/MBI-Privatisierungen [1] erschwerten und zu späteren Insolvenzen führten, bedarf der weiteren Klärung. Auch bei vielen dieser Privatisierungen wurden Altschulden erlassen oder verrechnet und mindestens die Hälfte aller MBO/MBI-Verträge wurden später nachverhandelt.
Im zentralen Teil der Broschüre werden in knapper Form von Michael Graupner zehn Privatisierungsfälle vorgestellt. Mit deren Auswahl versucht Graupner die Bandbreite der DDR-Betriebe sowie die jeweiligen Hintergründe für die Entscheidungen der Treuhand abzubilden. Dies gelingt nur bedingt, da sich seine Auswahl auf acht gescheiterte Privatisierungen bzw. Problemfälle (Pentacon Dresden, die Interhotels, Elastic-Mieder Zeulenroda, Keradenta Radeberg, SKET Magdeburg, Waggonbau Ammendorf, Lebensmittelhändler Eggert Schwerin, Kunstfaserwerk Rudolstadt), und lediglich auf zwei geglückte Privatisierungen (Florena Waldheim, Tridelta Hermsdorf) beschränkt. Insofern wird schon durch diese Auswahl das Ergebnis vorweggenommen. Die Fallanalysen beginnen mit dem "Modell Pentacon". Mit dem Dresdner Kamerahersteller wurde einen Tag vor der Wiedervereinigung der erste ostdeutsche Großbetrieb in die Liquidation geschickt. Was von den Beschäftigten als Willkürakt empfunden wurde, hatte eine Vorgeschichte, auf die Graupner hinweist. Bereits im Vorfeld der Währungsunion wurden Analysen über "hochgradig konkursgefährdete DDR-Betriebe" erstellt. Unerwähnt bleibt allerdings, dass diese "Sterbelisten" nicht von der Treuhand erarbeitet wurden, sondern vom Ministerium der Finanzen und vom Wirtschaftsministerium der DDR.
Zur skandalträchtigen Privatisierung der Interhotels, der Dalmia-Affäre und den vergeblichen Rettungsversuchen für den Waggonbau in Ammendorf wiederholt der Autor Bekanntes. Bei der Darstellung des Scheiterns der Elastic Mieder GmbH stützt er sich auf das Buch des ehemaligen THA-Beraters und Geschäftsführers der Firma Christopher J. Schwarzer "Inside Ost" [2]. Schwarzer führt die Insolvenz des einstmals größten Unterwäscheproduzenten der DDR im Jahr 2004 allein auf die fehlende Unterstützung durch die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), Nachfolgerin der Treuhand, bei der Altschuldenregelung zurück. Für den Unternehmenshistoriker ergibt sich an dieser Stelle ein methodisches Problem: Ohne konkrete Kenntnis der Geschäftszahlen und des Marktumfeldes sind die Ursachen für die Insolvenz der Elastic Mieder GmbH nicht zu prüfen. Nicht für jede Pleite trugen Treuhand beziehungsweise BvS die Verantwortung.
Der Verkauf der Kedatenta GmbH Radebeul, Hersteller von Medizintechnik, gehörte zu den zwielichtigen Privatisierungen, die unter immensem Zeitdruck und ohne ausreichende Prüfung der Bonität und der Geschäftskonzepte der Erwerber zustande kam. Den neuen Inhabern diente die Firma lediglich als Abschreibungsgesellschaft. Dies wirft die Frage nach dem bisher kaum untersuchten Agieren der Treuhand-Niederlassungen auf, deren Akten allerdings erst noch erschlossen werden müssen.
Weiter untersucht werden sollte die sich bis Ende 1996 hinziehende Abwicklung des einstmals größten ostdeutschen Schwermaschinenbaukombinats SKET Magdeburg. Von der Bundesregierung, der Landesregierung und der Treuhand wurde SKET als "industrieller Kern" eingestuft und mit einer Milliarde DM gestützt. Dennoch kam es zur Gesamtvollstreckung. Die Pressesprecherin von SKET führte dies auf ein abgekartetes Spiel der BvS und der Konkurrenz zurück [3]. Unternehmensberater Roland Berger hingegen hielt SKET laut SPIEGEL weder für "sanierungs- noch überlebensfähig".
Abschließend zieht Michael Schönherr eine Bilanz der Tätigkeit der Treuhand. Er weist darauf hin, dass die Wirtschaft im Osten nur wenig wettbewerbsfähig war und vor allem infolge der Währungsunion ab Juli 1990 rasch zusammenbrach. Die Strategie der Turbo-Privatisierung entsprach dem Zeitgeist. Allerdings versäumte es die Treuhand, so ein Hauptkritikpunkt, an ihre Unternehmen in größerem Umfang Sanierungskredite auszureichen. Mit ihrer unter Detlev Rohwedder begonnenen und von Birgit Breuel fortgesetzten Politik des "Investor neutralen Verhaltens" nahm sie eine flächendeckende Deindustrialisierung in Kauf. Der größte Teil der ostdeutschen Betriebe kam in den Besitz westdeutscher Unternehmen. Sie fungieren oft nur als "verlängerte Werkbänke" und sind daher im Krisenfall eher von Arbeitsplatzabbau bedroht. Schönherr konstatiert einen Strukturbruch in der ostdeutschen "Arbeitsgesellschaft", der zu hohen Abwanderungszahlen führte und das gesellschaftliche Gefüge nachhaltig veränderte. Die von den Autoren aufgeworfenen Fragen bedürfen der weiteren quellengestützten Forschung und Diskussion.
Anmerkungen:
[1] MBO = Management-Buy-out; MBI = Management-Buy-in.
[2] Christopher J. Schwarzer: Inside Ost. Vom West-Berater zum Ostunternehmer, München 2014.
[3] Vgl. Angela Brockmann: SKET muss weg - ein realer Krimi, in: Schicksal Treuhand - Treuhand-Schicksale. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, hg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2019, 57-59.
Rainer Karlsch