Franciszek Skibiński: Willem van den Blocke. A Sculptor from the Low Countries in the Baltic Region (= Early Modern Cultural Studies), Turnhout: Brepols 2020, 394 S., 197 Abb., ISBN 978-2-503-58489-8, EUR 175,00
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Im Vergleich mit dem beliebten Bereich der Niederlandeforschung zur Malerei stellt die frühneuzeitliche niederländische Skulptur - trotz einer gewissen Intensivierung im letzten Vierteljahrhundert - ein untererforschtes Gebiet dar. [1] Grund dafür sind einerseits die großen Verluste, die gerade diese Gattung insbesondere infolge der Bilderstürme (1566, 1795) erlitt, andererseits auch die Tatsache, dass ein bedeutender Teil der niederländischen Bildhauer der Frühen Neuzeit außerhalb ihres Heimatlandes tätig war. Den niederländischen Kunstwanderern, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung europäischer Skulptur im 16. und 17. Jahrhundert geleistet haben, wurde dennoch lange - mit Ausnahme solcher Stars wie Giambologna oder François Duquesnoy - wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und das nicht nur außerhalb den Niederlanden. Denn auch die niederländische und belgische Kunstgeschichte des 19. und des Großteiles des 20. Jahrhunderts hatte Schwierigkeiten damit, die zahlreichen Künstler-Migranten in ihre nationale Narrative zu integrieren.
Das Phänomen einer besonderen Mobilität der niederländischen Künstler wurde in den letzten drei Jahrzehnten nur punktuell u.a. durch Ausstellungen angesprochen. [2] Vereinzelte Publikationen wie der Tagungsband The Low Countries at the Crossroads [3] und der der Migration gewidmete Themenband des Netherlands Yearbook for History of Art haben in der letzten Zeit das Forschungsfeld abgesteckt und zugleich auf die weißen Flecken auf der Karte der niederländischen Künstlermigration aufmerksam gemacht. [4] Langfristige Projekte des RKD (Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie - Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis in Den Haag) haben als Ziel, diese Lücken zu schließen, indem sie die Mobilität niederländischer Künstler digital dokumentieren und kartieren, sowie ihre Netzwerke rekonstruieren. [5]
Das Buch von Franciszek Skibiński, das einem dieser niederländischen Kunstwanderer - dem Bildhauer und Architekturentwerfer Willem van den Blocke (1550-1628) - gewidmet ist und als erstes in der neuen Serie Early Modern Cultural Studies des Verlags Brepols erscheint, profitiert von dieser Forschungsintensivierung. Zugleich leistet es einen bedeutenden Beitrag dazu, nicht zuletzt, weil es eine künstlerische Laufbahn in jener Region untersucht, die sonst selten im Zentrum der Betrachtung der auf West- und Südeuropa fixierten Kunstgeschichte steht - dem Ostseegebiet.
Die umfassende (394 Seiten) und reichlich (187 Abb.) sowie qualitativ bebilderte Publikation setzt sich aus einer Einführung, sieben analytischen Kapiteln und einem Fazit zusammen. Im ersten Kapitel führt Skibiński das Thema niederländischer Mobilität ein, indem er die typischen Lebensszenarien niederländischer Migranten der frühen Neuzeit, ihre beliebten Einwanderungsziele und die Rolle der Migrantennetzwerke kursiv beschreibt und dabei auch die 'Wanderungen' der vielen für den Export bestimmten niederländischen Kunstwerke thematisiert.
Im zweiten Kapitel wird das Schaffen des aus Mechelen stammenden, in Antwerpen und später in Königsberg und Danzig tätigen Künstlers vor dem Hintergrund seines durch die Migration geprägten Lebenswegs präsentiert. Es beruht auf einer kritischen Auseinandersetzung des Autors sowohl mit den van den Blocke betreffenden Quellen (zusammengestellt in einem Anhang, 277-300) als auch mit dem breiten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext seiner Tätigkeit.
Im dritten Kapitel stehen die hochrangigen Auftraggeber des Niederländers im Fokus: Herzog Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, die Könige von Polen Stephan Báthory und Sigismund III. Wasa sowie Adels- und Patriziergeschlechter des Königlichen Preußens. Hier rekonstruiert Skibiński die komplexen Netzwerke, die die Mobilität der Künstler förderten und die Realisierung anspruchsvoller Aufträge ermöglichten.
Im folgenden Kapitel untersucht der Autor die Werkstatt van den Blockes in Danzig im Hinblick auf deren internes Gefüge und daraus folgende Produktionspraxis sowie vor dem Hintergrund der lokalen zünftigen Strukturen und Traditionen. Dies, sowie die oben erwähnte Quellenlektüre, erlaubt ihm die früheren Zuschreibungen zu revidieren. Ergebnisse dieser nüchternen Neubewertung des Œuvres van den Blockes findet sich zusammengefasst in einer Liste der zugeschriebenen Werke im Anhang (273-274).
Kapitel 5. und 6. fokussieren jeweils die Modelle für die architektonischen und ornamentalen Formen sowie die figurale Skulptur, derer sich van den Blocke in seinen Werken bediente. Hierbei zeigt Skibiński die Fertigkeit seines Protagonisten, die mitgebrachten niederländischen Modelle an den Geschmack und die Gewohnheiten seiner preußischen und polnischen Auftraggeber anzupassen, indes er auch Elemente des inzwischen gut verwurzelten polnisch-italienischen Models, insbesondere im Bereich der Grabmalskulptur, assimilierte. In dem Kontext ist zu erwähnen, dass der Autor, im gewissen Sinne, wie sein Protagonist ein Grenzgänger ist: der polnische Kunsthistoriker, der in Utrecht promovierte, verfügt über genau die notwendigen Kompetenzen, um auf Grund der Kenntnisse beider Kulturen und Kunsttraditionen die Adaptations- und Transformationsprozesse, die im Schaffen van den Blockes Ausdruck finden, überzeugend darstellen zu können.
Im letzten, dem siebten Kapitel fasst Skibiński seine Ergebnisse zusammen, indem er das Schaffen van den Blockes vor der Folie der Entwicklungen der Skulptur im Herzoglichen Preußen, Danzig und im Königreich Polen verortet. In einem Ausblick zeigt er darüber hinaus die Bedeutung Willems für die Weiterentwicklung der Danziger Skulptur in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dem Goldenen Zeitalter dieser Ostseehandelsmetropole, deren künstlerisches Image seine Söhne, der Bildhauer Abraham und der Maler Isaak, mitbestimmt haben.
Frei von dem hierarchischen Zentrum-Peripherie-Denkbild und vielmehr in den Kategorien des von beiden Seiten des Austausches betriebenen Kulturtransfers präsentiert das Buch Skibińskis die beispielhafte Karriere eines Vertreters einer ganzen Generation niederländischer Künstler. Durch die politische, konfessionelle und ökonomische Lage in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus ihrer Heimat vertrieben, fanden sie am Ziel ihrer Wanderung in der Ostseeregion einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung ihrer künstlerischen Konzepte. Es bleibt zu hoffen, dass die musterhafte Monografie Franciszek Skibiński über Willem van den Blocke zu weiteren, ebenso gründlichen Untersuchungen anderer Kunstwanderer inspirieren wird.
Anmerkungen:
[1] Reindert Falkenburg e.a. (eds.): Netherlands Yearbook for History of Art 45. Late Gothic and Renaissance Sculpture in the Netherlands, Zwolle 1994; Ethan M. Kavaler / Frits Scholten / Joanna Woodall (eds.): Netherlands Yearbook for History of Art 67. Netherlandish Sculpture of the 16th Century, Leiden / Boston 2018.
[2] Fiamminghi a Roma 1505-1608. Kunstenaars uit de Nederlanden en het Prinsbisdom Luik te Rome tijdens der renaissance. Auss.-Kat. Brüssel, Palais des Beaux-Arts, Rom, Palazzo delle Esposizioni, Mailand 1998; Frits Scholten (ed.): Adriaen de Vries, 1556-1626. Imperial Sculptor, Ausst.-Kat. Rijksmuseum Amsterdam / Zwolle 1998; Frits Scholten (ed.): Willem van Tetrode. Sculptor (c. 1525-1580), Ausst.-Kat. Rijksmuseum Amsterdam / Zwolle 2003.
[3] Krista De Jonge / Koen Ottenheym (eds.): The Low Countries at the Crossroads. Netherlandish Architecture as an Export Product in Early Modern Europe (1480-1680), Turnhout 2013.
[4] Frits Scholten / Joanna Woodall / Dulcia Meyers (eds.): Netherlands Yearbook for History of Art 63. Art and Migration. Netherlandish Artists on the Move, 1400-1750, Leiden / Boston 2014.
[5] ECARTICO. Linking Cultural Industries in the Early Modern Low Countries, ca. 1475 - ca. 1725: https://www.vondel.humanities.uva.nl/ecartico/ ; Gerson Digital, https://rkd.nl/nl/projecten-en-publicaties/projecten/621-gerson-digital (21.12.2021).
Aleksandra Lipińska